Seit einiger Zeit wird überall wieder heftig über die Entstehung unseres Mondes diskutiert. Eine aktuelle wissenschaftliche Arbeit hat eine gewagte – und spannende – Hypothese aufgestellt: verantwortlich für die Existenz unseres Mondes könnte eine “natürliche Atombombe” im Inneren der Erde gewesen sein.
Das klingt beeindruckend – ich bin aber trotzdem skeptisch.
Der Mond unserer Erde ist ziemlich außergewöhnlich. Schaut man sich die anderen terrestrischen Planeten im Sonnensystem an, sieht man schnell seine Sonderstellung. Merkur und Venus haben überhaupt keinen Mond und Mars nur zwei Winzlige, die vermutlich früher Asteroiden waren bevor sie der Mars eingefangen hat. Die Erde aber hat ein Riesending von einem Mond – so große Monde haben sonst nur die Gasriesen Jupiter und Saturn.
Wo kommt unser Mond also her?
Darwins Sohn und der Mond
Die erste wissenschaftliche Theorie zur Entstehung des Mondes wurde im 19. Jahrhundert von George Darwin (rechts) aufgestellt – Charles Darwins Sohn.
Laut dieser “Abspaltungstheorie” hat sich die Erde früher viel schneller gedreht als heute und weil sie vor ein paar Milliarden Jahren auch noch nicht ganz fest sondern eher zähflüssig war, hat Material durch die schnelle Drehung von der Erde abgelöst und sich zum Mond geformt.
Diese Theorie erklärt gut die Zusammensetzung des Mondes: er besteht hauptsächlich aus Gestein wie das im Erdmantel. Aber sie hat ein gravierendes Problem: so schnell, wie die Erde sich drehen müsste, damit sich der Mond abspalten kann, hat sie sich niemals gedreht. Aus den Ablagerungen prähistorischer Meeresorganismen die ähnlich den Bäumen “Tagesringe” bilden, weiß man, dass die Erddrehung früher tatsächlich schneller war. Vor 400 Millionen Jahren dauerte ein Tag nur 22 Stunden – heute sind es zwei Stunden mehr und Grund dafür ist die Gezeitenreibung. Aber die Erde drehte sich nie so schnell, wie sie es laut Abspaltungstheorie tun hätte müssen. Auch wenn es eine schöne Theorie war – solange man nicht erklären konnte, durch welchen Mechanismus sich der Mond von der Erde abspalten hätte sollen, war sie nicht zu gebrauchen.
Im Laufe der Zeit gab es noch einige andere Theorien, die aber alle ihre eigenen Probleme hatten. In den 1970ern begann man dann damit, die sogenannte “Kollisionstheorie” zu entwickeln. Nach ihr sollte der Mond entstanden sein, als die Protoerde in der Frühzeit des Sonnensystems mit einem anderen Protoplaneten kollidierte. Bei dieser Kollision wurde Material aus der Erde herausgeschlagen und es bildete sich der Mond. Hier habe ich das alles detailliert beschrieben. Diese Theorie wird heute von so gut wie allen Astronomen als richtig angesehen.
Atomare Explosionen?
Zwei niederländische Wissenschaftler (Rob de Meijer und Wim van Westrenen) haben nun aber die gute alte darwinsche Abspaltungstheorie wiederbelebt. In ihrem Artikel “An alternative hypothesis for the origin of the Moon” kombinieren sie Darwins alte Idee mit einem originellen neuen Einfall: der Grund für die Abspaltung des Mondes war nicht die schnelle Rotation der Erde, sondern eine atomare Explosion!
Obwohl die Rotation natürlich auch eine Rolle spielt. Im “>Darwin-Ringwood-Wise-Modell” (benannt nach George Darwin und den Astronomen Ringwood und Wise, die Darwins Idee in dn 1960ern aufgriffen und modernisierten) rotiert die Protoerden immerhin mit einmal alle 2,65 Stunden um ihre Achse! Trotzdem reicht diese Geschwindigkeit noch nicht, um das nötige Material aus der Erde zu lösen. Es fehlt Energie – und de Meijer und van Westrenen haben eine interessante Idee, wo die hergekommen sein könnte:
“We show that this missing energy could be supplied by a supercritical georeactor in Earth’s core-mantle boundary (CMB), producing sufficient heat to vaporize and eject part of the bulk silicate earth.”
An der Grenze zwischen Erdmantel und Erdkern – also etwa 2900 Kilometer unter der Erdoberfläche! soll es einen “superkritischen Georeaktor” gegeben haben der ausreichend Hitze erzeugt hat, um den Anstoß zur Mondentstehung zu geben.
Es ist tatsächlich möglich, dass sich auf natürlichen Weg nukleare Reaktoren bilden. Ein bekanntes Beispiel ist der Naturreaktor Oklo in Westafrika. Dort entstand eine Urankonzentration, in der eine Kettenreaktion einsetzte, die eine halbe Millione Jahre lang Energie erzeugte. Zwar nicht viel – aber immerhin noch eine Leistung von 100 kW. Allerdings war das auch schon vor 2 Milliarden Jahren und von einem natürlichen Reaktor kann man nicht allzuviel verlangen 😉
Frühere Arbeiten von de Meijer und van Westrenen haben ergeben, dass sich auch in der Frühzeit der Erde genug Uran und Thorium konzentrieren konnte um natürliche Reaktoren im inneren der Erde bilden könnten. Und so ein Reaktor soll vor etwa 4,5 Milliarden Jahren überkritisch geworden sein und so den letzten Anstoß zur Mondentstehung gegeben haben.
Eine interessante Hypothese! Aber ist sie auch plausibel? Wie erklärt dieses Szenario die heutige Eigenschaften des Mondes? Die Autoren schreiben:
Immediately after the separation of the proto-Earth and proto-Moon, the rotation period of the proto-Earth becomes 5.7 h. Due to tidal forces, energy and angular momentum are transferred from the Earth to the Moon until they have, with their increased mass, the present properties.
Ok – das ist nicht sehr aufschlußreich. Das müsste man schon detailliert erklären. Aber de Meijer und van Westrenen schreiben selbst, dass ihr Model nur ein qualitatives ist und kein quantitatives:
Quantitative models would require detailed dynamical calculations, but these will be hard to constrain due to the general lack of of data on the precise conditions in Earth’s deep interior 4.5 Ga ago.
Das ist meiner Meinung nach der größte Schwachpunkt der Arbeit. Für die Kollisionstheorie gibt es viele Simulationen, die – auch wenn sie die Realität nur näherungsweise beschreiben – die heutigen Eigenschaften des Erde-Mond-Systems recht gut beschreiben. So etwas bräuchte es auch für die revitalisierte Abspaltungstheorie.
Simulation der Kollisionstheorie (CC-BY-SA 3.0, Anynobody)
Mal sehen, wie die Theorie in der wissenschaftlichen Community ankommt. Und ob sich jemand findet, der probiert, entsprechende Simulationen durchzuführen. Dann könnte man vielleicht besser einschätzen, ob an der Theorie der nuklearen Explosion was dran ist. Denn der einzige andere Weg wäre momentan die genauere Untersuchung von Mondgestein. Da ist es allerdings zweifelhaft, ob wir hier in nächster Zeit neue Proben bekommen…
Übrigens sind auch die Geologen skeptisch: Gunnar Ries und Stryke haben ebenfalls – und lesenswert – über das Thema gebloggt. Gunnar hält das ganze für “Geophantasie” und Stryke meint (gemeinsam mit Tilman Spohn vom DLR) dass “es nicht zur Aufheizung und Explosion käme, weil die Energie zuvor durch Vulkanismus abgebaut würde”.
So wie es im Moment aussieht, wird also die Kollisionstheorie in naher Zukunft nicht abgelöst werden. Aber spannend ist die ganze Geschichte auf jeden Fall…
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