Nach dem “Safety Briefing” in dem wir erfahren was unserem Körper in 4200 m Höhe alles passieren kann, bekommen wir unser Auto, das sogar eine Gangschaltung hat und ich darf endlich wieder mal auf der richtigen Seite der Strasse fahren. Zwar maximal 45 Meilen pro Stunde, was mir auf den vierspurigen Strassen reichlich untertrieben vorkommt, aber eins merkt man hier sofort: Eile und Hawaii gehen nicht in einem Satz zusammen. Wir zuckeln also die Flanken des Vulkans hinauf, zuerst noch begleitet von reichlich grüner Hawaii-typischer Vegetation, bald aber erinnert nichts mehr an tropische Inselträume: wir sind in der Wüsten-ähnlichen Zone, die einen beträchtlichen Teil der Insel ausmacht. Ab und zu überholt von Autos, deren Reifen auf Augenhöhe an mir vorbeiziehen, erreichen wir um etwa 9 Uhr abends Hale Pohaku, die Quartiere der Beobachter die an den gut 10 Teleskopen auf Mauna Kea arbeiten, auf fast 3000 m Höhe. Alle Beobachter müssen dort ihre erste Nacht verbringen, um ihre Lungen an den niedrigen Sauerstoffgehalt der Luft zu gewöhnen. Doch nicht nur das: Beobachter dürfen sich nicht länger als 14 Stunden über 3000m aufhalten und müssen jeden Morgen den holprigen Weg vom Gipfel (4200 m) wieder zurück fahren um hier zu übernachten.
Wir versuchen so lange wie möglich wach zu bleiben um uns an den Beobachtungsrythmus zu gewöhnen. Das ist nicht leicht nach mehr als 40 Stunden unterwegs, auf der anderen Seite auch schon egal, denn ehrlichgesagt weiss ich nicht mehr wie spät es jetzt wo gerade wäre und ob ich eigenltich müde bin.
Wir holen uns also Kaffee aus der Cafeteria. Dort sitzt ein einsamer Kerl, der offenbar das gleiche Ziel verfolgt wie wir und uns in freudiger Erwartung einer möglichen Konversation verstohlene Blicke zuwirft. “Are you Astronomers?” Das ist unter den gegebenen Umständen eine reichlich suspekte Frage. Während des folgenden Gesprächs finden wir heraus dass unser Gesprächspartner wissenschaftlicher Berater des US Department for Homeland and National Security ist und den Auftrag hat, den Laser, den das Gemini Observatorium in den Himmel schiesst, um schärfere Bilder zu bekommen, zu überwachen. Genau. Wir erfahren, dass das Department für Heimatland und Nationale Sicherheit besorgt ist, dass der hochenergetische Laser möglicherweise die Elektronik von Spionagesatelliten, deren Position den Astronomen natürlich nicht bekannt ist, beeinträchtigen und sogar zum Absturz bringen könnte. Deswegen müssen alle Beobachtungen von Beamten der Regierung überprüft und abgesegnet werden. (Hier hoffe ich auf ein paar Kommentare seitens der Verschwörungstheoretiker). Jetzt weiss ich was der Situation Room ist und dass die Chief Generals Wissenschafter nicht so gern mögen.
Am nächsten Tag (Abend) starten wir unsere erste Beobachtungsnacht. Endlich auf den Gipfel von Mauna Kea, der höchste Berg im pazifischen Ozean, manchen Stimmen zufolge sogar der höchste Berg der Welt, von seiner Basis am Meeresgrund aus gemessen (obwohl mir diese Art der Messung etwas unsinnig erscheint).
Wir rumpeln eine halbe Stunde lang über den unasphaltierten Weg, überholen einige Touristenbusse, die Touren zum Sonnenuntergang und den Teleskopen anbieten. An Spitzentagen bevölkern einige hundert Touristen das schmale Plateau, das einige der besten Teleskope der Welt beherbergt. Ab und zu fragen Leute ob sie mal durchschauen können, was (leider) nicht geht. Nicht weil wir gemein sind und sie nicht lassen, sondern weil keines der Teleskope hier ein Okular hat. Astronomen schauen normalerweise nicht durch Teleskope.
Wir sehen eine Frau mit einem Baby am Arm. Die empfohlene Altersgrenze hier ist 16 Jahre, da der niedrige Sauerstoffgehalt der Luft ernsthafte Probleme, z.B. Wachstumsstörungen und Hirnschäden bei Kindern hervorrufen kann. Nach 10 Minuten frage ich mich, ob die Hirnschäden auch Erwachsene betreffen können: unser Telescope Operator beginnt uns die Funktionen des Teleskops und seiner Sofware zu erklären, ich höre ihn reden und denk mir “ääääähhh…”. Ich versuche mich in den diversen Fenstern auf den diversen Bildschirmen zu orientieren, aber mein Fokus funktioniert nicht so ganz. Ja, das ist die erste Nacht auf 4200m Höhe, so geht es den meisten. Manchen geht es noch schlechter: Übelkeit, Erbrechen und Kollaps sind zwar nicht besonders häufig, kommen aber vor. Der Sauerstoffgehalt hier beträgt etwa 40% des Meeresniveaus. Beobachter sind hier extrem fehleranfällig, eine schlechte Kombination mit den extrem hohen Betriebskosten (~1USD pro Sekunde). Fehler kann man sich hier nicht leisten. Der gesamte Beobachtungsablauf ist deshalb so wenig interaktiv wie möglich gestaltet. Alle Beobachtungen sind bis ins kleinste Detail durchgeplant und vorbereitet, wir klicken alle halben Stunden auf ein paar Buttons.
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