Das hier ist ein kleines Experiment. Normalerweise teilen Wissenschaftler die Ergebnisse ihrer Forschung der Öffentlichkeit erst mit, wenn sie fertig sind und sicher,dass sie was interessantes vorzuweisen haben. Ich möchte gerne mal den anderen Weg gehen und ausprobieren wie es ist, wenn man den ganzen Weg, von der ersten Idee bis hin zum Erfolg am Ende (oder zum Scheitern) öffentlich ablaufen lässt. Ich erhoffe mir davon nicht nur interessantes Feedback – sondern (und das ist der Hauptgrund für diesen Versuch) auch die aktive Mitarbeit all jener, die Lust dazu haben.
Das Problem, dass ich für dieses Projekt ausgesucht habe, ist die Trojaner-Asymmetrie. Darüber habe ich letztes Jahr schon einen langen Artikel geschrieben. Eine kurze Wiederholung schadet aber sicher nicht 😉
Das Problem
Bei den “Trojanern” handelt es sich um eine spezielle Gruppe von Asteroiden. Die Trojaner teilen sich ihre Bahn mit Jupiter; sie befinden sich in bzw. in der Nähe der sogenannten Lagrangepunkt L4 und L5. Diese zwei Punkte befinden sich 60 Grad vor bzw. hinter Jupiter entlang seiner Bahn und stellen genau die beiden Punkte dar, an denen sich die Kräfte von Jupiter und der Sonne die Waage halten:
Eigentlich gibt es 5 solcher Punkte – aber nur bei L4 und L5 können sich kleinere Objekte wie Asteroiden für lange Zeit halten. 1906 wurde der erste Trojanerasteroid im Lagrangepunkt L4 des Jupiter gefunden. Heute kennen wir einige tausend Jupitertrojaner (und eine Handvoll Trojaner des Mars und Neptun – ich will mich momentan aber auf die Jupitertrojaner beschränken) – man schätzt aber die Gesamtzahl viel höher ist. Von den Jupitertrojanern soll es in etwa genauso viel geben wie von den “normalen” Hauptgürtelasteroiden die ihre Bahnen zwischen den Orbits von Mars und Jupiter ziehen.
Rein aus dynamischer Sicht gibt es keinen Unterschied zwischen L4 und L5. Beide Punkte sind absolut identisch. Man würde also erstmal auch erwarten, dass sich bei L4 und L5 in etwa gleich viele Asteroiden befinden. Das ist aber nicht das, was man beobachtet! In meinem Artikel von letzen Jahr habe ich diese Grafik gezeigt:
Hier sieht man wie sich die Anzahl der Asteroiden bei L4 und L5 zwischen 1999 und 2005 verändert hat. Es gab immer deutlich mehr L4-Trojaner! In meinem Artikel von damals habe ich auch die möglichen Gründe für diese Trojaner-Asymmetrie aufgelistet:
- Beobachtungsgründe: L4 und L5 befinden sich ja an verschiedenen Stellen am Himmel. Vielleicht waren die Beobachtungsbedingungen für L4 besser als für L5 (weil L5 z.B. zeitweise dort am Himmel lag wo sich auch die Milchstrasse befindet und deswegen schlechter beobachtet werden konnte). Man vermutete, dass sich das Problem im Laufe der Zeit von selbst lösen wird. Dieses Argument wurde allerdings schon Ende der 80er Jahre gebracht – und eigentlich hat fast niemand an diese Lösung geglaubt da der Unterschied sich mit den neuen Entdeckungen nie verringerte.
- Unterschiedliche Entstehung: Manche Wissenschaftler vermuteten, dass die unterschiedliche Anzahl der Asteroiden auf verschiedene Entstehungsprozesse zurückzuführen ist. Unterschiedliche Kollisionsraten zwischen den Asteroiden bei L4 und L5 könnten in der heutigen Asymmetrie resultieren. Allerdings hat keine der dazu durchgeführten Arbeiten wirklich konkrete Ergebnisse gebracht.
- Chaos und Katastrophen: In der Frühzeit des Sonnensystems ging es ja ziemlich wild zu. Protoplaneten kollidierten miteinander (so entstand z.B. unser Mond) oder wurden durch die gravitative Wechselwirkung aus dem Sonnensystem geworfen. Ein solcher Protoplanet hat dabei vielleicht auch die Gruppe der L5 Trojaner durchquert und ihre Anzahl dezimiert. Das ist allerdings kaum wissenschaftlich nachzuweisen. Andere Simulationen beschäftigen sich mit der Migration der Planeten: in der Frühzeit des Sonnensystems haben sich die Umlaufbahnen von Jupiter und Saturn gemeinsam vergrößert – dabei könnte Jupiter die Trojaner quasi “eingefangen” haben. Dieser Einfangsprozeß verlief chaotisch, wodurch sich auch die unterschiedliche Anzahl der Asteroiden erklären läßt.
- Dynamische Gründe: Unser Sonnensystem ist ja eigentlich kein Dreikörperproblem in dem nur Jupiter, die Sonne und der Asteroid miteinander wechselwirken – Saturn wirkt beispielsweise auch gravitativ auf die Trojaner (und Jupiter); auch die anderen Planeten haben einen kleinen Einfluss. Und je nachdem wie diese Einflüsse wirken könnte L4 stabiler sein als L5. Bei den Lagrange-Punkten von Neptun ist die unterschiedliche Größe der Stabilitätsregionen mittlerweile ganz klar nachgewiesen. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn auch bei Jupiter dynamische Gründe für die Trojaner-Asymmetrie verantwortlich sind. Allerdings hatte man auch hier eigentlich nur wenig überzeugende Hinweise auf Unterschiede gefunden.
Im weiteren habe ich dann meine eigene Forschungsarbeit zum letzten Punkt vorgestellt und erklärt, dass es Hinweise darauf gibt, dass diese Asymmetrie tatsächlich dynamische Gründe haben kann. Ich habe allerdings auch erwähnt, dass zu diesem Zeitpunkt (September 2009) die Zahl der bekannten L5 Asteroiden annähernd gleich groß ist wie die um L4. Waren es also doch nur Beobachtungsgründe?
Ist die Sache noch aktuell?
An diesem Punkt habe ich das Problem dann verlassen. Ich habe mich seit der oben verlinkten Arbeit aus dem Jahr 2006 nicht mehr beruflich mit den Trojaner beschäftigt – ich habe mich dann immer stärker auf die Dynamik der Exoplaneten konzentriert. Aber das Problem der Trojaner-Asymmetrie hat mich trotzdem immer wieder beschäftigt.
Die erste Frage die sich hier sofort stellt lautet: Ist das Problem nun eigentlich noch ein Problem oder nicht? 2006, als mein Artikel dazu erschienen ist, war der Unterschied zwischen L4 und L5 deutlich sichtbar. Im September 2009 kannt man 1279 L4 und 1271 L5 Asteroiden – also keine Asymmetrie. Was man hier erstmal braucht, ist eine aktuelle Version der Grafik, die ich weiter oben gezeigt habe. Immerhin sind seit damals ja 5 Jahre vergangen. Wenn der Unterschied wirklich dauerhaft verschwunden ist, dann hat sich die ganze Sache mit der Trojaner-Asymmetrie wohl wirklich erledigt und das Problem lässt sich auf die unterschiedlichen Beobachtungsbedingungen zurückführen.
Die Anzahl der Trojaner in Abhängigkeit von ihrem Entdeckungszeitpunkt aufzuzeichnen ist nicht wirklich kompliziert. Es ist aber nicht völlig trivial und irgendwie hatte ich dazu nie die Zeit gefunden (meine eigentlich Arbeit hat im Moment ja leider eher wenig mit Himmelsmechanik sonder mehr mit dem virtuellen Observatorium zu tun). Sämtlich Daten zu den Trojaner-Asteroiden sind ja beim Minor Planet Center verfügbar – und wenn man sich die Sisyphos-Arbeit sparen möchte, für all die tausenden Asteroiden den genauen Entdeckungszeitpunkt rauszusuchen, dann bekommt man eine hinreichend genaue Annäherung aus ihren Bezeichnungen die ja verschlüsselt den Entdeckungszeitraum enthalten.
Glücklicherweise konnte ich für das Projekt schon einen Mitstreiter gewinnen und der hat so eine Grafik erstellt (Danke an David). So sieht das aus:
Hier sind die selben Daten nochmal – nur diesmal gemittelt über ein ganzes Jahr:
Erste Gedanken
Ok – was lässt sich damit nun anfangen. Ich habe mir bis jetzt absichtlich noch nicht allzuviele Gedanken darüber gemacht – denn ich will ja probieren das alles möglichst öffentlich ablaufen zu lassen. Ich werde hier jetzt also gleich – quasi live 😉 – all das aufschreiben, was mir bei diesen Bildern so einfällt. Und es kann übrigens gut sein, dass da ein paar dumme Sachen dabei sind 😉 Wenn euch was auffällt, sagt Bescheid.
- Das zweite Bild mit den gemittelten Werten scheint zu zeigen, dass die Trojaner-Asymmetrie nach wie vor existiert. Der Zeitraum zwischen 2005 und 2010 ist qualitativ nicht wirklich anders als der zwischen 2000 und 2005. Das erste Bild mit den ungemittelteten Daten macht die Sache aber wieder ein wenig komplizierter.
- Was war in dem Zeitraum los, als man kurzfristig mehr L5-Asteroiden kannte? Gab es da irgendeine besondere Beobachtungskampagne? Besonders gute Bedingungen für die Beobachtung bei L5? Warum gerade in diesem Zeitraum? Wenn es was mit der Bahn von Jupiter zu tun hätte, dann müsste sich sowas periodisch wiederholen. Aber die Periode von Jupiter beträgt 12 Jahre und Ende der 1990er kannte man gerade Mal ein paar hundert Trojaner – zuwenig wahrscheinlich für eine vernünftige Statistik.
- Kann Statistik hier irgendwie weiterhelfen? Kann man auf die Daten irgendwelche Tests anwenden die zeigen, wie wahrscheinlich es ist, dass wir so eine asymmetrische Kurve zufällig bekommen obwohl in Wahrheit gleich viel Asteroiden vorhanden sind?
- Welche Instrumente entdecken eigentlich momentan die meisten Trojaner? Sind das eher Raumsonden, automatisierte Surveys oder doch Einzelbeobachtungen verschiedenster Astronomen? Lassen sich daraus irgendwelche Schlüsse über bevorzugte Entdeckungszeitpunkte bzw. Entdeckungswahrscheinlichkeiten bei L4/L5 ziehen?
Soweit meine ersten Gedanken dazu. Es scheint so zu sein, als würde die Trojaner-Asymmetrie tatsächlich noch existieren. Aber ich will das Problem diesmal gerne wirklich gründlich behandeln und daher sollte man sich doch noch ausführlich Gedanken über eventuelle beobachtungsbedingte Gründe machen bevor man weitergeht. Ich möchte also erstmal probieren, die oben aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Und ich hoffe, ihr helt mir dabei! Ich selbst bin ja kein Beobachter – aber ich weiß, dass viele meiner Leserinnen und Leser kompetente (Amateur)Astronomen sind die oft und gerne den Himmel beobachten. Wenn ihr also irgendwelche Ideen habt – immer raus damit!
Ich würde es generell super finden, wenn man dieses Problem gemeinschaftlich angehen könnte. Das “Open Science” aus dem Titel soll sich ja nicht nur auf die öffentliche Darlegung meiner Arbeit und Gedanken beziehen. Vielleicht können wir ein Internetforum (oder gibts da heutzutage schon was Moderneres?) anlegen wo wir unsere Ideen und Ergebnisse sammeln können und wo alle mitdiskutieren können, die Lust haben? Wenn wir dann später tatsächlich auch die dynamischen bzw. die anderen möglichen Gründe für die Trojanerasymmetrie untersuchen, dann geht das sowieso nur mit numerischen Simulationen. Und je mehr sich dann beteiligen, desto einfacher und schneller gehts. Außerdem müssen wir auch nochmal die komplette Literatur durchforsten und schauen, was ob sich bei den bisherhigen Untersuchungen über die Trojaner irgendwas interessantes oder für die Asymmetrie relevantes ergeben hat. Sowas würde man typischerweise einen armen Diplomanden machen lassen 😉 Aber wenn sich genug beteiligen, dann geht das auch ganz leicht. Und keine Angst: man muss kein studierter Astronom sein, um sich zu beteiligen 😉 Jeder der Lust hat mitzumachen, ist herzlich willkommen -.und das nötige Wissen sammeln wir im Laufe der Zeit schon auf 😉
Ich freue mich also auf eure Kommentare und Ideen! Und wer weiß – vielleicht lösen wir das Problem ja wirklich! Dann können (müssen!) wir die Ergebnisse natürlich auch veröffentlichen und wenn das hier in einer echten wissenschaftlichen Veröffentlichung endet wäre das natürlich ein super Erfolg (wenns auch vielleicht kompliziert werden wird, die Autorenreihenfolge auszudiskutieren 😉 ).
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