Die Sonne lässt sich im Moment (zumindest hier bei mir) nicht blicken und versteckt sich hinter den Wolken. Sie wird schon wissen warum – denn kürzlich hat man herausgefunden dass die Sonne Kometen von anderen Sternen geklaut hat. Und das waren gar nicht mal so wenige…
In unserem Sonnensystem gibt es nicht nur einen Stern und acht Planeten sondern auch noch jede Menge Kleinkram: Asteroiden und Kometen. Die Kometen kommen im Allgemeinen aus den entferntesten Winkeln des sonnensystems: der Oortschen Wolke. Die entstand, als das System noch jung war und es wilder zu ging als heute. Aus den Planetesimalen der ursprünglichen protoplanetaren Scheibe die die Sonne umgab haben sich zwar die Planeten gebildet – aber diese (Proto)Planeten haben dann mit ihrer Gravitationskraft viele der Planetesimale aus dem System geschmissen. Aber nicht komplett: auch wenn viele der Steinbrocken tatsächlich ganz in den interstellaren Raum geworfen wurden, haben sich einige davon doch nicht ganz von der Sonne lösen können und umkreisen sie nun im Abstand von einigen zehntausend Astronomischen Einheiten (eine AE entspricht dem mittleren Abstand zwischen Erde und Sonne). Die entferntesten Objekte kann man bei etwa hundertausend AE finden – das ist schon auf halbem Weg zum nächsten Stern!
Das Sprungbrett zur Oortschen Wolke ist die “scattered disk” (auf deutsch die “gestreute Scheibe”). Die scattered disk fängt dort an wo der Kuipergürtel (der Asteroidengürtel außerhalb der Neptunbahn) endet: bei etwa 50 Astronomischen Einheiten. Wir kennen mittlerweile einige solcher SDOs (Scattered Disk Objects); am bekanntesten sind der Zwergplanet Eris und der große Asteroid Sedna aber Beobachtungsdaten über den Übergangsbereich zwischen scattered disk und Oortscher Wolke gibt es keine. Dazu sind die Entfernungen zu groß und die Objekte zu klein. Die theoretischen Modell zeigen aber, dass es in der Oortschen Wolke etwa zehnmal mehr Kometen geben muss als in der gestreuten Scheibe. Theoretische Überlegungen und Simulationen zeigen ebenfalls, dass es in der Oortschen Wolke etwa 400 Milliarden Kometen gibt die größer als 1 Kilometer sind. Also sollte es etwa 40 Milliarden davon in der gestreuten Scheibe geben. Beobachtungen und entsprechende Hochrechnungen scheinen aber zu zeigen, dass es nur etwa 600 Millionen gibt. Dieser Unterschied ist dann doch etwas zu groß um einfach ignoriert zu werden.
Natürlich kann es viele Gründe geben, warum die Zahlen nicht zusammenpassen. Was die alleräußersten Bereiche des Sonnensystems angeht sind unsere Beobachtungen sehr dünn bzw. nicht-existent und bei den Modellrechnungen gibt es viele potentielle Fehlerquellen. Aber Harold Levison vom Southwest Research Institut in Colorado und seine Kollegen haben nun eine interessante Lösung vorgeschlagen: vielleicht hat die Sonne die überschüssigen Kometen aus den Oortschen Wolken anderer Sterne geklaut?
Ich habe ja letztens schonmal darüber geschrieben, dass unsere Sonne kein Einzelkind war sondern gemeinsam mit vielen anderen Sternen entstanden ist. Mittlerweile haben sich die Wege getrennt – aber früher waren die Sonne und ihre Geschwister noch näher beieinander. Und vielleicht kam es da zu einem Ausstausch von Kometen? Die Frage ist nicht neu – schon 1990 hat man diesen Vorschlag gemacht. Damals konnte man aber keine wirklich gute Antwort finden weil die Möglichkeiten zur Simulation solcher Prozesse noch nicht gut genug waren. Heute ist das anders und wie die Ergebnisse nun aussehen haben Levison und seine Kollegen kürzlich in ihrer Arbeit “Capture of the Sun’s Oort Cloud from Stars in Its Birth Cluster“ veröffentlicht.
Da wurden erstmal viele verschiedene Ausgangssituationen geschaffen und unterschiedlich große Sternengruppen (mit zwischen 30 und 300 Sternen). Jeder Stern bekam eine eigene gestreute Scheibe mit Kometen und zwischen den Sternen gab es, so wie es in der frühen Umgebung der jungen Sonne der Fall war, jede Menge Gas. Dann wurde das ganze mit den passenden physikalischen Gesetzen ausgestattet und laufen gelassen; etwa 10 bis 50 Millionen Jahre lang. Das Gas lies man nach 3 Millionen Jahren langsam verschwinden (was in Einklang mit den Sternentstehungsmodellen ist) und dann begannen sich die jungen Sterne voneinander zu entfernen. Die interessante Frage war nun natürlich: kommt es zwischen den Sternen zum Ausstausch von Kometen und wenn ja, in welchem Ausmaß?
Wie zu erwarten war, waren die möglichen Endzustände weit gestreut. Manche Sterne haben alle ihre Kometen behalten und auch keine neuen dazu eingefangen. Andere Sterne haben sich aber gleich bis zu einem Viertel der scattered disk eines andere Sterns geschnappt! Das ging auf zwei verschiedene Arten: einmal gab es die Kometen, die bei nahen Begegnungen zweier Sterne ins All geschleudert wurden und sich von da an frei und ungebunden durch den Haufen bewegten. Je nachdem wie es sich dann im Laufe der Zeit gerade ergibt wurden diese zufällig von anderen Sternen eingefangen. Die zweite Möglichkeit ist der direkte Ausstausch zwischen den zwei Oortschen Wolken zweier sich begegnender Sterne. So ein direkter Ausstausch kam zwar selten vor – war dann aber meisten immer sehr effektiv!
Die Simulationen zeigen also, dass ein Austausch von Kometen durchaus möglich ist. Aber die reine Möglichkeit sagt noch nichts über die Realität aus. Hat nun unsere Sonne Kometen geklaut oder nicht? Die Frage ist immer noch schwierig zu beantworten weil man zu wenig Informationen über die Zusammensetzung des ursprünglichen Haufens hat. Einige simple Abschätzungen bringen die Autoren aber zu dem Fazit:
“Thus, because we know of no other mechanism that can compensate for this discrepancy, it is likely that over 90% of the observed Oort cloud comets have an extrasolar origin.”
Klingt cool! Aber halt auch ziemlich spekulativ. Bis wir definitiv wissen, wieviel Kometen anderer Sterne die Sonne geklaut hat, wird wohl noch ein wenig Zeit vergehen. Aber die Sache wäre sowieso schon verjährt; sie könnte sich also ruhig mal wieder blicken lassen…
Levison, H., Duncan, M., Brasser, R., & Kaufmann, D. (2010). Capture of the Sun’s Oort Cloud from Stars in Its Birth Cluster Science DOI: 10.1126/science.1187535
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