Wer will, dass seine Schulbücher in bayrischen Schulen verwendet werden dürfen, muß ausreichend “Ehrfurcht vor Gott” haben. Der Cornelsen-Verlag hatte die offensichtlich nicht; deswegen musste er nun Passagen aus einem seiner Bücher streichen.
Es geht um Context 21; einem Lehrwerk für den Englischunterricht. Darin wird auch die amerikanische Schriftstellerin Susan Jacoby zitiert. Sie hat u.a. das Buch “Age of American Unreason” geschrieben das vom amerikanischen Anti-Intellektualismus handelt. Und das, was Jacoby sagt, scheint dem Bayrischen Kultusministerium nicht zu passen. Das evangelische Nachrichtenportal idea berichtet:
“In dem Kapitel „Fundamentalismus in Amerika” behauptet die Atheistin und Journalistin Susan Jacoby, dass „ein unbestreitbarer, starker Zusammenhang zwischen religiösem Fundamentalismus und einer fehlenden Bildung” besteht. Kreationismus habe „die öffentliche Bildung in vielen Regionen des Landes nachhaltig beeinflusst”. Er sei ein wichtiger Grund dafür, dass amerikanische Gymnasiasten weniger über die Wissenschaft wissen, als Gleichaltrige in Europa und Asien. “
Ok – so weit, so unspektaktulär. Aber sowas darf anscheinend in bayrischen Schulen nicht diskutiert werden. Denn das stimme
“teilweise nicht mit den in Artikel 131 der Bayerischen Verfassung formulierten Obersten Bildungsziele überein”
meint das Kultusministerium. Dieser Artikel 131 kann hier nachgelesen werden und ich bin ehrlich gesagt ein wenig schockiert:
“(1) Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden.
(2) Oberste Bildungsziele sind Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor religiöser Überzeugung und vor der Würde des Menschen, Selbstbeherrschung, Verantwortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Hilfsbereitschaft, Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne und Verantwortungsbewußtsein für Natur und Umwelt.
(3) Die Schüler sind im Geiste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen.
(4) Die Mädchen und Buben sind außerdem in der Säuglingspflege, Kindererziehung und Hauswirtschaft besonders zu unterweisen.
Ok, abgesehen davon, dass man Kinder nicht dazu “erziehen” kann bzw. soll ihre “bayrische Heimat” zu lieben – was soll der Unsinn unter Punkt 2? Oberstes Bildungsziel ist die Ehrfurcht vor Gott?? Hat Bayern schon mitbekommen, dass das Mittelalter vorbei ist? Und: ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein “Bildungsziel” irgendwie durch Bundesgesetze gedeckt ist – und die sollten doch Vorrang vor Landesgesetzen haben. Also was soll nun der Quatsch mit der Streichung dieser Passage in dem Schulbuch?
Man könnte vielleicht darüber streiten, ob der “unbestreibare, starke Zusammenhang” zwischen Fundamentalismus und fehlender Bildung tatsächlich so unbestreitbar und stark ist. Das Kultusministerium könnte kritisieren, dass diese Behauptung nicht ausreichend belegt ist (keine Ahnung ob das stimmt; ich weiß nicht, inwieweit in “Context 21” weitere Quellen angegeben werden) – obwohl ich nicht glaube, dass es schwer sein würde, solche Belege zu finden. Aber diese Passage zu zensieren, weil es ihr an “Ehrfurcht vor Gott” mangelt ist absolut lächerlich und hat im Deutschland des 21. Jahrhunderst nichts zu suchen!
Niemand muss Ehrfurcht vor “Gott” haben. Wenn die jeweiligen Gläubigen sich an irgendwelche Regeln und Tabus halten wollen, dann sollen sie das ruhig tun. Aber diese Regeln sind ihre Regeln und nicht die der Allgemeinheit. Der “Gott” der Christen ist nicht der Gott aller Menschen (und manche Menschen sollen es sogar schaffen, ohne irgendeinen “Gott” auszukommen…) – also hat man den Leuten auch nicht vorzuschreiben, dass sie vor “Gott” Ehrfurcht haben zu müssen oder diese Ehrfurcht gar als “oberstes Bildungsziel” festzuschreiben.
Ernsthaft – mich fasziniert es immer wieder, mit welcher Selbstverständlichkeit manche Leute anderen ihre Weltsicht aufdrängen wollen. Umso schlimmer, dass es diesmal nicht nur wie üblich die Kirche ist, sondern der Staat. Aber in Bayern scheint da ja wohl sowieso kein großer Unterschied zu sein…
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