Wer mein Blog regelmäßig liest, der weiß dass ich mich nicht nur sehr für wissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit einsetze sondern auch besonders dafür, Kinder mit der Wissenschaft in Kontakt zu bringen. Möglichst früh. In einem kürzlich veröffentlichten Artikel im Focus scheint der Chemiker Salman Ansari anderer Meinung zu sein. Er spricht von einer “Frühkindlichen Bildungshysterie”.
Auf die Frage, was Ansari – der selbst das Buch “Schule des Staunens. Lernen und Forschen mit Kindern” geschrieben hat – denn von Chemie- bzw. Wissenschaftsbüchern für 2jährige hält, antwortet er:
“Ich plädiere dafür, Chemieunterricht erst in der zehnten Klasse einzuführen. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Vorher sind Kinder nicht in der Lage, in Modellen zu denken. Sie können sie bis zu einem gewissen Grad lernen, verstehen können sie sie nicht. Chemie und Physik sind viel zu abstrakt, damit überfordern wir jüngere Kinder”
Also nichts mit wissenschaftlicher Erziehung schon im Kindergartenalter? Warum eigentlich nicht… Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass kleine Kinder sich durchaus für Wissenschaft interessieren. Sie interessieren sich für die Natur und ihre Umwelt und stellen jede menge Fragen. Und bringt man sie mit Wissenschaft in Kontakt, dann sind sie fasziniert. Was spricht also dagegen, Kindergartenkinder etwas über Wissenschaft zu erzählen?
Dazu sagt Ansari etwas sehr Interessantes:
“FOCUS-SCHULE: In vielen Kindergärten gibt es heute sogenannte Forscherkisten mit kindgerechten Versuchsanordnungen zu Themen wie Luft, Farbe, Schall oder Elektrizität. Was haben Sie dagegen, wenn eine Erzieherin ein- oder zweimal in der Woche mit den Kindern so ein Experiment macht?
Ansari: Eine vorgegebene Versuchsanordnung kann gar nicht kindgerecht sein. Solche Experimente sind viel zu kompliziert.”
Ja, allerdings! Wenn man einfach nur ein paar Experimente designt und sie den Kindergärten in die Hand drückt, dann ist das oft wirklich nicht, dass was man haben will. Was nutzt das tollste Experiment, wenn es nicht vernünftig vorgeführt wird? Wenn es nicht detailliert erklärt werden kann? Wenn man nicht auf alle Fragen der Kinder antworten kann? Wenn man das Experiment nicht spontan abwandeln oder erweitern kann um auf die aktuelle Situation zu reagieren – usw.
Ich will jetzt nicht behaupten, dass die Betreuer in den Kindergärten alle unfähig sind und sowas nicht können. Aber ein Pädagoge ist eben kein Naturwissenschaftler und wenn dann in der Kita das Experiment einfach stur nach Anleitung abgearbeitet wird, dann lernen die Kinder dabei auch nicht wirklich viel. Ansari sagt:
“Mit der Interpretation solcher Versuche tun sich Laien schwer, selbst wenn sie eine entsprechende Fortbildung gemacht haben. Erzieherinnen oder Grundschullehrer sind nun mal keine Naturwissenschaftler. Die Gefahr ist groß, dass die Kinder durch die Erklärungen zu solchen Versuchen Fehlvorstellungen erwerben, die später nur mühsam zu korrigieren sind. Außerdem: Selbst Erwachsene haben Schwierigkeiten zu erklären, wie ein Stromkreis funktioniert. Warum sollten wir Kinder schon im Kindergarten mit Themen belasten, die sie unmöglich nachvollziehen können?”
Da stimme ich prinzipiell zu – aber ich würde als Konsequenz nicht unbedingt die Beschäftigung der Kindergärten mit der Wissenschaft abschaffen. Ich würde auch nicht soweit gehen und die bisherige Herangehensweise als “schädlich” für die Kinder bezeichnen. Ich würde mich lieber dafür einsetzen, dass eben auch Erzieherinnen und Grundschullehrer ein solides naturwissenschaftliches Fundament haben. Dann können sie auch vernünftig mit den Kindern arbeiten und das ganz ohne vorgegebene Experimente (auch wenn sowas als Anregung natürlich sehr nützlich ist!). Das findet auch Ansari gut:
“Sinnvoll wäre es, den Alltag zum Anlass für einen Dialog zu nehmen. Wenn ich einen Kindergarten besuche, und wir sitzen im Sandkasten, versuche ich, ein Gespräch über Sand zu beginnen. Ich sage vielleicht: „Es ist immer Sand im Sandkasten und nie Gartenerde.” Dann fangen die Kinder an zu überlegen. Vielleicht sagt irgendwann eines: Sand ist praktischer, er ist schneller wieder trocken als Erde. Dann diskutieren die Kinder, ob das stimmt. Danach schauen wir, ob eines eine Idee hat, wie man das überprüfen kann. Mit zurückhaltender Anleitung entwickeln die Kinder dann selbst ein Experiment.”
Ja – genauso funktioniert es. Wenn man die Kinder selbst überlegen lässt und sich auf ihre unmittelbare Alltagsumgebung bezieht, dann bekommt man die besten Ergebnisse. Es wäre äußerst wünschenswert, wenn sich nicht nur Erzieherinnen und Betreuer in den Kindergärten vermehrt auf diese Weise engagieren würden. Am besten wäre es, wenn generell die Zusammenarbeit zwischen Kitas, Schulen und Universitäten viel mehr intensiviert würde. Bringt die Kinder rein in die Unis und lasst sie den ganzen Betrieb mal ansehen und ihre Fragen stellen! Holt die Wissenschaftler raus aus ihren Büros und Laboren und bringt sie dazu, den Kindern etwas über ihre Arbeit zu erzählen.
P.S. Auch der letzte Vorschlag von Ansari hat irgendwas für sich. Auf die Frage, was man denn in den Mittelschulen anstatt Chemie lehren soll, antwortet er “Kochen und Backen” 😉 (Ne ernsthaft – sowas halte ich durchaus für sinnvoll – vielleicht nicht statt Chemie aber auf jeden Fall zusätzlich bzw. in Kombination mit Chemie)
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