Bei unseren amerikanischen Kollegen von ScienceBlogs.com geht es gerade rund. Die Blogger verlassen scharenweise die Plattform – Neuron Culture, Science after Sunclipse, Good Math, Bad Math, Neurotopia und Laelaps haben schon ihre Abschiedsbeiträge geschrieben (das sind zumindest die, die ich auf die Schnelle finden konnte; vielleicht sind es noch mehr) und Unmengen anderer Blogger haben wütende Blogposts verfasst (hier z.B. PZ Myers oder Orac oder überlegen ebenfalls, ScienceBlogs.com zu verlassen. Was ist passiert? Bei SB.com gibt es ein neues Blog – es heisst Food Frontiers und wird von PepsiCo betrieben (das sind die mit der Cola).
Ok – grundsätzlich kann ich verstehen, dass es seltsam erscheint, wenn eine Firma wie PepsiCo unter dem Label “ScienceBlogs” schreibt. Aber trotzdem kann ich die Aufregung und Hysterie der amerikanischen Kollegen nicht ganz nachvollziehen.
Denn rein prinzipiell könnte so ein Blog durchaus interessant sein und sicher auch viel über Wissenschaft erzählen. Denn Wissenschaftler arbeiten ja nicht nur an Universitäten sondern eben auch in der Industrie. Und auch in Firmen wie PepsiCo. Und PepsiCo füllt ja nicht nur Cola in Flaschen ab sondern erzeugt und entwickelt auch jede Menge andere Getränke/Lebensmittel. Da gäbe es sicher viele spannende Themen: Verfahrenstechnik; Lebensmittelchemie; Materialphysik, usw.
Natürlich wäre es was anderes, wenn nun die PR-Abteilung von PepsiCo das Blog nutzen würde um einen Beitrag nach dem anderen darüber zu verfassen wie super schmackhaft, gesund und wichtig die PepsiCo-Produkte sind. Das wäre reine Werbung die nichts im inhaltlichen Teil von ScienceBlogs zu sachen hat. Ob das tatsächlich der Fall sein wird? Keine Ahnung – bei Food Frontiers gibt es bis jetzt nur einen einzigen “Hallo, da sind wir”-Artikel. Ich verstehe also nicht wirklich, warum sich die amerikanischen Blogger-Kollegen nun so enorm aufregen. Zumindest könnte man damit abwarten, bis klar ist, dass PepsiCo das Blog wirklich nur für fiese Schleichwerbung unter dem Deckmantel der Wissenschaft nutzt…
Aber die eigentliche Frage ist ja eine grundsätzlichere. Wie ich oben schon gesagt habe, arbeiten Wissenschaftler nicht nur an Universitäten sondern auch überall in der Industrie und Wirtschaft. Sind die per se weniger glaubwürdig; weniger unabhängig; wenig verläßlich? Sind Blogs von Industrie-Wissenschaftler a priori mehr PR-Blogs anstatt Wissenschaftsblog? Ab wann gilt man als “Industrie-Blogger”? Ich bin sicher keiner; ich habe bis jetzt nur für Universitäten gearbeitet. Aber sollen wir zum Beispiel jetzt Christian von Frischer Wind rausschmeissen weil er auch ne GmbH gegründet hat in der Dinge verkauft werden die mit seiner Forschung zu tun haben? Das wäre doch völlig absurd.
Ohne zu wissen, was bei “Food Frontiers” nun genau gebloggt wird, kann ich kein abschließendes Urteil über die Sache bilden. Klar, PepsiCo ist ein “böser” Riesenkonzern – aber nicht die amerikanische Gesellschaft für Astrologie oder sonst irgendeine Organisation bei der man sofort davon ausgehen kann, dass Unsinn gebloggt werden wird. Ich denke, dass Wissenschaftler in der Industrie genauso interessante Forschung betreiben können wie die Wissenschaftler an den Universitäten. Und Industrie-Forscher sollten meiner Meinung auch bei ScienceBlogs die Möglichkeit haben, über ihre Forschung zu bloggen. Natürlich nur, solange in den Texten kein wissenschaftlicher PR–Unsinn verbreitet wird. Die Aufregung, die nun bei SB.com herrscht kann ich – noch – nicht nachvollziehen.
Nachtrag: Bei Dr. Isis gibt es einen lesenswerten Artikel zum Thema und einige interessante Erläuterungen über Forscher in der Industrie.
Nachtrag 2: Das Pepsi-Blog wurde mittlerweile zurückgezogen.
Nachtrag 3: Ok – nachdem ich diesen Beitrag gelesen habe, kann ich die Aufregung verstehen. Da scheint vor allem hinter den Kulissen einiges schief gelaufen zu sein.
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