Ich habe hier ja schon an vielen Stellen über die gängige Wissenschaftspolitik gemeckert. Über die demotivierenden befristeten Arbeitsverträge, über die Probleme der Doktoranden, über die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, über die mangelnde Förderung von guter Lehre und über die mangelnde Förderung der Öffentlichkeitsarbeit. Damit sich da was ändern kann, muss sich die Struktur der Universitäten grundlegend ändern. Und genau so eine Änderung fordert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in ihrem Templiner Manifest.
Dort steht:
Wir fordern daher Bund, Länder und Hochschulen zu einer Reform von Personalstruktur und Berufswegen in Hochschule und Forschung auf, die sich an den folgenden zehn Eckpunkten orientiert.
Und diese 10 Punkte sollte man sich mal ansehen und ein wenig darüber nachdenken.
Gleich im ersten Punkt wird ein wichtiges Thema angesprochen: “Promotionsphase besser absichern und strukturieren”:
“Für Doktorandinnen und Doktoranden fordern wir daher ausreichend tarifvertraglich geregelte Beschäftigungsverhältnisse zur Qualifikation mit Sozialversicherungsschutz, die mindestens drei Viertel der Arbeitszeit für die eigenständige Qualifikation vorsehen.”
Das ist wichtig! Wie ich schon in einem anderen Artikel geschrieben habe, ist die Situation ja heute nicht wirklich so toll. Viele Doktoranden machen alle möglichen Hilfsarbeiten für ihren Professor – aber nichts für ihre Doktorarbeit. In Österreich war es so, dass enorm viele Doktoranden ihre Doktorarbeit “nebenbei” erledigt haben; ohne dafür am Institut angestellt zu sein oder bezahlt zu werden (ich selbst hatte auch nur während 4 der 8 Semester meines Doktoratstudiums eine halbe Doktorandenstelle). Doktoranden leisten wichtige Arbeit und sollten auch dementsprechend behandelt werden!
Ebenso wichtig ist Punkt 2: “Postdocs verlässliche Perspektiven geben”. Heute ist es ja oft so, dass man sich nach dem Doktorat von Job zu Job weiterkämpen muss; mal gibt es hier einen Vertrag für ein Jahr, dann wieder eine Stelle für 3 Jahre (die ist aber auf einem anderen Kontinent), dann ist man mal ein Jahr arbeitslos und findet dann wieder für 6 Monate eine Stelle (wieder zurück auf den ersten Kontinent) – usw. Klar, man muss als Wissenschaftler auch ein bisschen rumkommen, das gehört dazu. Aber so extrem wie es derzeit läuft ist es nicht mehr lustig. Deswegen hat die GEW recht, wenn sie fordert:
“Promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Postdocs) müssen verlässliche berufliche Perspektiven haben: durch einen Tenure Track, der den dauerhaften Verbleib in Hochschule und Forschung ermöglicht – unabhängig davon, ob eine Berufung auf eine Professur erfolgt oder nicht. Voraussetzung dafür ist eine systematische Personalplanung und -entwicklung durch Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Die Hochschullehrerlaufbahn muss über unterschiedliche Karrierewege erreichbar sein, die Habilitation ist dabei immer nur eine Möglichkeit.“
Denn dieser ganze Krampf mit den befristeten Verträgen ist nicht nur einfach nervend und macht eine Lebensplanung unmöglich – es gibt damit auch ganz konkrete Probleme. Ich zum Beispiel arbeite für das virtuelle Observatorium (VO). Noch jedenfalls, denn mein Vertrag läuft bald aus. Das ist nicht schlimm (fürs VO jedenfalls nicht) denn es gibt beim deutschen VO noch andere Mitarbeiter. Aber die sitzen ebenfalls auf befristeten Stellen. Und wenn das Wissenschaftsministerium (das dieses Projekt momentan fördert) einmal auf die Idee kommt, die Gelder einzustellen und die befristeten Verträge nicht zu verlängern? Was passiert dann mit den ganzen Daten im VO? Sinn und Zweck des VO ist es ja, Daten dauerhaft zu verwalten, sich darum zu kümmern und bereitzustellen. So etwas über befristete Stellen zu erledigen ist eigentlich absurd (die anderen Länder die am VO beteiligt sind haben das erkannt und dort haben die Leute die daran arbeiten i.A. permanente Stellen). Deswegen fordert die GEW auch in Punkt 3 ” Daueraufgaben mit Dauerstellen erfüllen”. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein – aber die Realität sieht anders aus. Da hat man ein dauerhaftes Projekt (wie das VO) und da sitzt jemand mit einem 2-Jahres-Vertrag dran. Nach den 2 Jahren hat man sich gut eingearbeitet und wüsste Bescheid – aber dann läuft der Vertrag aus und man ist weg. Natürlich muss der Job weiter erledigt werden also wird neues Geld aufgetrieben; eine neue Stelle ausgeschrieben und eine neue Person übernimmt den Job; arbeitet sich erstmal lange ein weil sie keine Ahnung hat und wenn sie dann endlich alles kann, was man so braucht – dann läuft der Vertrag aus.
Diese ständigen Personalwechsel macht man natürlich auch aus finanziellen Gründen und nicht nur in der Forschung sondern auch in der Lehre. In Punkt 4 des Manifests schreibt die GEW daher:
“4. Prekäre durch reguläre Beschäftigung ersetzen
Viele Hochschulen lassen unter großem finanziellen Druck einen erheblichen Teil ihrer Pflichtlehre von Lehrbeauftragten erbringen. Mit der Ausbeutung von Dumping-Lehrkräften muss Schluss sein! Dort, wo Lehrbeauftragte dauerhaft Lehr- und Prüfungsaufgaben wahrnehmen, müssen diese sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse erhalten. Soweit zur Ergänzung des Lehrangebots Lehraufträge sinnvoll sind, müssen Mindeststandards im Hinblick auf Bezahlung, Vertragsdauer und Verlängerungsoption gelten.”
Ein ebenfalls oft vernachlässigtes Thema findet sich bei Punkt 5: ” Im Gleichgewicht lehren, forschen und leben” in dem die GEW wieder mal das eigentlich selbstverständliche fordern muss:
“Wissenschaft ist ein normaler Beruf, auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ein Recht auf eine Work-Life-Balance. Das setzt eine familiengerechte Gestaltung von Hochschule und Forschung voraus. Dabei gehen wir von einem breiten Familienverständnis aus, das alle Lebensgemeinschaften einschließt, in denen Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Wir fordern bedarfsgerechte Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder, die Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse von Beschäftigten mit betreuungs- und pflegebedürftigen Angehörigen und die Realisierung entsprechender Arbeitszeitmodelle.”
Punkt 6 fordert die Durchsetzung eines ausgeglichenen Geschlechtsverhältnisses und Punkt 7 bessere Mitspracherechte für die Uni-Mitarbeiter. Punkt 8 will das die Mobilität der Wissenschaftler gefördert wird (aber auch niemand bestraft wird, der nicht mobil sein will). Punkt 9 will, dass die Unis sich an den Bedarf anpassen. D.h., dass Unis und Forschungseinrichtungen entsprechend ausgebaut werden müssen, wenn der Bedarf (und damit ist nicht nur rein die Zahl der studierwilligen Menschen gemeint) das nötig macht. Das mag ebenfalls selbstverständlich erscheinen – aber wenn man sich ansieht, wie man zum Beispiel in Österreich auf steigenden Studentenzahlen reagiert, dann versteht man, warum sowas gefordert werden muss. Der letzte Punkt schließlich fordert, dass alle Beschäftigungsverhältnisse tarfivertraglich ausgehandelt werden müssen.
Auch wenn man über die Details der einzelnen Punkte diskutieren kann: insgesamt spricht das Templiner Manifest sehr wichtige Themen mit denen sich die Wissenschaftspolitiker auf jeden Fall beschäftigten müssten. Ob sie das auch tun werden ist eine andere Sache. Und ob so ein Manifest daran etwas ändern kann, ist leider zweifelhaft. Mit Manifesten ist das ja so eine Sache… (erinnert sich noch wer an das Internet-Manifest?). Aber egal – ich finde das Templiner Manifest unterstützenswert. Und vielleicht ändert sich ja ausnahmsweise wirklich einmal was.
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