Die Biologen wissen mittlerweile ziemlich genau, wie sich das Leben im Lauf der Evolution so verändert hat, dass dabei die heutige Situation entstanden ist. Auch über die Entstehung des Lebens (das ist übrigens nicht Teil der Evolutionstheorie, auch wenn das viele fälschlicherweise glauben) haben wir viele gute Vorstellungen – aber hier ist noch nicht alles bis in letzte Detail geklärt. Auch wenn es so scheint, als wäre das Leben tatsächlich hier auf der Erde entstanden besteht auch theoretisch die Möglichkeit, dass es sich anderswo im All gebildet hat und erst später auf die Erde kam. Manche Biologen meinen auch, dass die Komplexität des Genoms als eine Art Uhr verwenden kann und daraus zurück zum Zeitpunkt der Entstehung des Lebens rechnen kann. Das wäre demnach noch schon vor etwa 10 Milliarden Jahren entstanden, also lange, bevor es die Erde überhaupt gab.
Diese Panspermie-Hypothese hat übrigens wenig mit Geschichten von Aliens, die durch die Milchstrasse fliegen und DNA “aussähen” zu tun so wie sie z.B. von Erich von Däniken und seinen Kollegen erzählt werden.
Normalerweise sprechen die Vertreter der Panspermie von sehr einfachen Lebensformen – zum Beispiel Bakterien – die sich im Inneren von Kometen oder Meteoriten befinden und so durchs All reisen und schließlich auf der Erde landen. Andere, darunter auch der große Astronom Fred Hoyle, meinen, dass sich die primitives Leben direkt im Weltraum bilden kann und interstellarer Staub beispielsweise aus Bakterien besteht. Einer der ersten Vertreter der Panspermie, Svante Arrhenius schlug 1908 vor, dass Mikroben durch atmosphärische Prozesse bis in die äußersten Schichten der Atmopshäre eines Planeten gelangen und von dort dann durch den Strahlungsdruck des Sternwindes zu anderen Planeten reisen können.
Auch wenn Panspermie prinzipiell möglich sein kann, gibt es doch einige Probleme. Die primitiven Lebensformen bzw. die Lebenskeime müssen sich ja irgendwie durchs All bewegen. Dabei müssen sie nicht nur extreme Temperaturunterschiede aushalten sondern auch extreme Strahlung – und das oft über sehr lange Zeiträume. Wir kennen zwar von der Erde einige Organismen die extreme Bedingungen aushalten können – aber es ist fraglich ob sie tatsächlich Jahrtausende oder noch viel länger im freien All überleben können. Und das müssen sie, wenn sie von anderen Planetensystemen zu uns reisen wollen. Die vorgeschlagenen Panspermie-Modelle in dem die Lebensformen via Komet oder Sonnenwind von Planet zu Planet reisen funktionieren eigentlich nur innerhalb eines Sonnensystems. Aber nach all dem was wir heute über die anderen Planeten der Sonne wissen ist es eher unwahrscheinlich, dass der Ursprung des Lebens auf ihnen liegt.
Der mexikanische Astronom Hector Javier Durand-Manterola hat nun kürzlich eine weitere spannende Möglichkeit vorgestellt. In seinem Artikel “Free-floating planets: a viable option for panspermia” behauptet er, dass das Leben nicht nur von einem anderen Planeten zur Erde gereist ist, sondern dass es seinen Planeten dabei gleich mitgebracht hat…
Es geht dabei um sogenannte “free-floating planets”. Also Planeten, die alleine durchs All fliegen und keinen Stern umkreisen. Von diesen Objekten muss es jede Menge geben. Denn überall dort wo Planeten entstehen, kommt es in der chaotischen Frühzeit des Planetensystems zu jeder Menge nahen Begegnungen zwischen den Protoplaneten bei denen einige ganz aus dem Einflussbereich des Sterns geworfen werden. Wenn sich nun auf so einem Planeten primitives Leben entwickelt hat, dann könnte es mit dem Planeten durchs All reisen. Es wäre zwar ohne Sonne dort relativ kalt – aber der Planet könnte immer noch geothermische Energie erzeugen und sein Inneres – und z.B. auch einen unterirdischen Ozean – warm halten. Erreicht so ein Planet irgendwann wieder einmal zufällig einen Stern, taut seine Atmosphäre auf und durch die Interaktion zwischen Sternwind und Atmosphäre können einfache Lebensformen vom Gastplanet auf einen Planeten des Systems transferiert werden.
Klingt spektakulär. Aber wie wahrscheinlich ist so ein Szenario? Free-floating planets gibt es zumindest schon mal. Wir kennen sogar schon einige Kandidaten. Aber treffen die oft genug auf fremde Planetensysteme um tatsächlich eine praktikable Möglichkeit für die Panspermie zu bieten? Genau das wollte Hector Javier Durand-Manterola herausfinden. Dazu hat er eine simple Abschätzung gemacht. Durand-Manterola hat unsere Milchstrasse in gleich große Kuben unterteilt in deren Mitte ein Stern sitzt, der von einem Planetensystem umgeben ist. Dann hat er die Wahrscheinlichkeit bestimmt, mit der ein Planet, der frei seine Bahn durch die Milchstrasse zieht, so ein Planetensystem durchquert. In der Randzone der Galaxis in der sich unsere Sonne befindet findet man im Durchschnitt alle 2,5 Parsec (knapp 8 Lichtjahre) einen Stern. Den Weg eines sich dort befindenen free-floating planets würden bei einem Umlauf um das Milchstrassenzentrum etwa 21500 Planetensysteme kreuzen. Wenn jedes System während seiner Entstehung einen Planeten ausgeworfen hat gibt es in dieser Gegend also auch mindestens 21500 free-floating planets. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 2.8×10-4 – das sind etwa 3 von 10000 – trifft so ein Planet auf ein fremdes Planetensystem. Das bedeutet, dass während der 54 Rotationen, die unsere Milchstrasse bisher schon hinter sich gebracht hat, 325 fremde Planeten ein anderes Planetensystem (das sich in etwa gleich weit vom galaktischen Zentrum enfernt befindet wie die Sonne) durchquert haben. So eine Durchquerung dauert dann bis zu 138 Jahre und das ist laut Durand-Manterola genug Zeit für einen Transit von simplen Lebensformen.
Ok… das klingt interessant. Und spannend. Aber so wirklich glücklich bin ich mit der Arbeit von Durand-Manterola nicht (und das liegt nicht daran, dass der Text in der Schriftart Comic Sans verfasst wurde). Der Artikel ist bisher nur beim preprint-Server arXiv erschienen und (noch) nicht in einem peer-reviewten Journal. Würde man mich bitten, ein Gutachten über diesen Artikel zu erstellen, dann würde ich den Editoren der Zeitschrift erstmal sagen, dass ich die Idee prinzipiell extrem spannend finde und absolut wert, untersucht und veröffentlicht zu werden. Allerdings müsste Durand-Manterola die Arbeit noch ein bisschen erweitern. Die Abschätzung die er gemacht hat ist zwar technisch nicht falsch – aber es ist unklar, wie nahe sie tatsächlich an die Wirklichkeit heranreicht. Die galaktische Dynamik ist nicht trivial und tendentiell sogar chaotisch. Man müsste jetzt erstmal detailliert überprüfen, ob die Vereinfachungen die Durand-Manterola gemacht hat wirklich nur Vereinfachungen sind die am allgemeinen Ergebnis nur wenig ändern – oder ob die reale Situation ganz anders ist. Das geht eigentlich nur mit numerischen Simulationen der Bewegung der Sterne und free-floating planets im galaktischen Schwerefeld. Wenn diese Simulationen dann zeigen, dass die Vereinfachungen von Durand-Manterola ok sind, dann ist alles in Ordnung. Ansonsten müsste man die Abschätzungen anhand der Simulationsergebnisse neu durchführen. Oder noch besser: gleich das ganze Problem komplett durchsimulieren und die Begenungsfrequenz von free-floating planets und Planetensystemen numerisch bestimmen.
Der Artikel müsste also mindestens um eine ausführliche Diskussion der Gültigkeit der Abschätzungen erweitert werden; einer Diskussion, bei der die diversen Ergebnisse zur galaktischen Dynamik inkludiert werden. Am besten wäre es aber, wenn man den Ansatz von einer reinen Abschätzung der Wahrscheinlichkeit zu einer numerischen Simulation des Problems ändert. Mal sehen – vielleicht macht Durand-Manterola das ja noch. Oder ein andere Wissenschaftler bastelt eine entsprechende Simulation. Spannend genug wäre das Thema jedenfalls!
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