Im Großen und Ganzen haben wir mittlerweile recht gut verstanden, wie Planeten entstehen (Ludmila hat das hier schön zusammengefasst). Ein Protostern ist von einer riesigen Wolke aus Gas und Staub umgeben und diese kleinen Teilchen stoßen zusammen und bleiben quasi aneinander kleben. Sie werden immer größer und größer bis daraus zuerst Planetesimale (d.h. Asteroiden) und dann schließlich Protoplaneten entstehen. Je nachdem wie groß diese Planetenkerne sind und wie weit sie sich vom Stern entfernt befinden können sie sich dann auch noch eine sehr dichte Atmosphäre zulegen und so zu Gasriesen wie Jupiter werden.
Was die Details angeht, gibt es noch einige offene Fragen. Es ist zum Beispiel noch etwas unklar, wie im oben beschriebenen Standardmodell das Wachstum der Planetoiden im Meterbereich abläuft. Wie die ganz kleinen Staubteilchen und die großen Asteroiden zusammenstoßen und damit anwachsen können hat man verstanden. Der Zwischenschritt macht aber noch etwas Probleme. Auch die Frage der Migration ist immer noch umstritten. Wir wissen heute, dass die großen Planeten in unserem Sonnensystem nicht dort entstanden sind, wo sie sich heute befinden sondern in der Zwischenzeit ein wenig durchs Sonnensystem gewandert sind. Und wir haben mittlerweile auch einige Exoplaneten entdeckt, die nach allem was wir momentan über die Planetenentstehung wissen nicht dort entstanden sein können wo sie sich befinden sondern ebenfalls migriert sein müssen. Aber über die Details dieses Prozesses und seine genaue Rolle bei der Planetenentstehung wissen wir noch nicht genug.
Sergei Nayakshin von der Universität Leicester hat nun die verschiedensten Forschungsergebnisse zur Planetenentstehung zu einem neuen Modell zusammengesetzt das viele der bestehenden Probleme lösen könnte.
Seine Thesen hat er im Oktober auf einem Symposium der Internationalen Astronomischen Union zum Thema “The Astrophysics of Planetary Systems: Formation, Structure, and Dynamical Evolution” vorgestellt und kürzlich dazu einen Artikel bei arXiv veröffentlicht: “A new view on planet formation”.
Im Gegensatz zum oben beschriebenen sogenannten “core accretion”-Szenario der Planetenentstehung, bei der sich aus den kleinsten Staubteilchen immer größere Objekte und schließlich Planeten entwickeln geht er von einer Konkurrenztheorie aus: der sogenannten “disc fragmentation”. Die funktioniert im Prinzip so wie die Enstehung von Sternen. Da bilden sich in einer großen Gaswolke gravitative Instabilitäten und die zuerst gleichförmigen Wolke aus Gas fragmentiert und es bilden sich Klumpen die weiter kontrahieren und dann schließlich zu Sternen werden. Genauso können in der Gas- und Staubscheibe die den Protostern umgibt Instabilitäten auftreten. Sie fragmentiert und es bilden sich Klumpen aus denen dann die Planeten entstehen. Das Modell funktioniert wunderbar um zu erklären wie zum Beispiel Doppelsterne entstehen oder Systeme in denen ein Stern von einem braunen Zwerg umkreist wird. Wenn es aber um Planetensysteme geht, dann hat es ein Problem: die Fragmentation findet nur ab etwa 50 Astronomischen Einheiten (das ist die fünfzigfache Entfernung zwischen Erde und Sonne) statt. Näher am Stern funktioniert das nicht. Und die so entstehenden Klumpen sind im Allgemeinen groß – sie haben etwa die zehnfache Masse des Jupiter. Die “disc fragmentation” erzeugt also große Objekte, die weit von ihrem Stern entfernt sind – also nicht geeignet um die Planeten unseres Sonnensystems zu erklären.
Oder vielleicht doch. Nayakshin hat verschiedene Modelle kombiniert und daraus das neue Model des “Tidal Downsizing” gemacht. Das sieht so aus:
- Zuerst enstehen, weit entfernt vom Stern, große planetare “Embryos” durch “disc fragmentation”.
- Durch die Interaktion mit dem Gas in der protoplanetaren Scheibe migrieren diese Embryos dann näher an den Stern.
- In den Embryos findet nun ein Prozess ähnlich der “core accretion” statt: aus kleinen Staub- und Gasteilchen bilden sich größere Objekte. Die Embryos selbst bestehen also aus vielen kleineren und größeren Klumpen
- Wenn die Embryos dem Stern zu nahe kommen, führen die zwischen Stern und Embryo wirkenden Gezeitenkräfte dazu, dass sie zerbrechen. Das Resultat können entweder kleine Planeten mit dünner Gashülle sein (so wie z.B. die Erde) oder aber wenn mehr Gas des Embryos übrigbleibt Planeten wir Uranus oder Jupiter.
Wichtig ist hier die Reihenfolge, meint Nayakshin. Zuerst müssen die Embryos weit draussen durch “disc fragmentation” entstehen und dann migrieren sie nach innen. Dort brechen sie dann auf und erzeugen Planeten, so wie wir sie kennen. Und tatsächlich erklärt dieses Modell die Struktur unseres Sonnensystems recht gut. Der Abstand, bei dem die Gezeitenkräfte der Sonne stark genug sind, um so einen Embryo zu zerreissen liegt bei etwa 2 bis 3 Astronomischen Einheiten. Alles was innerhalb dieses Radius liegt, dürfte keine massiven Atmosphären mehr haben. Und tatsächlich findet man die terrestrischen Planeten (Merkur, Venus, Erde und Mars) alle innerhalb von 3 Astronomischen Einheiten Abstand von der Sonne. Der “Kleinkram” der neben den großen Planetenkernen im Embryo zusammenklumpte wurde mehr oder weniger direkt am Gezeitenradius zurückgelassen: das ist der Asteroidengürtel der sich zwischen 2 und 3 Astronomischen Einheiten erstreckt. Und ein wenig außerhalb dieses Gezeitenradius war die Kraft weniger stark und die Überreste der Embryos konnten dichtere Atmosphären behalten. Und das sind dann die Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun.
Ein elegantes Modell. Ich bin leider nicht ausreichend Experte für Planetenentstehung um wirklich beurteilen zu können, wie plausibel es wirklich ist. Wenn die Embryos alle mindestens 50 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt entstehen müssen, wo kommen dann zum Beispiel die Asteroiden des Kuipergürtels (der sich zwischen 30 und 50 Astronomischen Einheiten erstreckt) her? Die hat Nayakshin in seinem Artikel leider nicht erwähnt.
Vermutlich bleibt uns wirklich nicht mehr übrig als abzuwarten, bis in den nächsten Jahren Weltraumteleskop wie CoRoT, Kepler oder GAIA ihre Arbeit gemacht haben und wir die Eigenschaften von ein paar zehntausend Exoplaneten genauer kennen. Dann haben wir ausreichend Daten um wirklich zu sehen, welche Vorgänge bei der Planetenentstehung eine wichtige Rolle spielen und welche nicht. Aber es würde mich nicht wundern, wenn am Ende etwas Ähnliches wie das “Tidal Downsizing” dabei rauskommt…
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