Ich weiß, gestern hat – meteorologisch gesehen – der Frühling begonnen und der Winter geht wahrscheinlich allen schon auf die Nerven. Warum fange ich dann auf einmal wieder mit Schneeballschlachten an? Weil es um Astronomie geht! Genauer gesagt um weiße Zwerge und Kometen. Interstellare Kometen.
Über die Entstehung von Planeten wurde hier bei ScienceBlogs ja schon oft geschrieben. Die Kurzfassung: aus einer großen Staub- und Gaswolke entsteht durch Verdichtung ein Stern. Aus dem restlichen Gas und Staub entstehen durch Zusammenballung zuerst kleine, meter- bis kilometergroße Brocken, die Planetoide aus denen dann wieder die Protoplaneten entstehen. Einige Zeit lang ists dann recht voll im jungen Planetensystemen und andauernd kollidiert irgendwas mit irgendwas anderem. Oft werden durch die starken Gravitationskräfte bei nahen Begegnungen auch Planetoide ganz weit weg geworfen. So hat sich in unserem Sonnensystem beispielsweise die Oortsche Wolke gebildet. Das ist eine Region, gaaaanz weit draussen (zehn- bis hundertausende Mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde) in der sich Milliarden Planetoide (und vielleicht auch der eine oder andere Planet) aufhalten. Sie bilden ein großes Reservoir für langperiodische Kometen. Aber theoretisch könnte es auch sein, dass so ein Planetoid bei der Planetenentstehung durch eine nahe Begegnung mit einem Protoplaneten so viel Schwung mitbekommt, dass er komplett aus dem Sonnensystem rausfliegt und nicht mehr gravitativ an die Sonne gebunden ist. Er wird zu einem interstellaren Kometen. So ein Komet besteht ja aus einer Mischung aus Gestein/Staub und Eis. Viel Eis und deswegen auch viel Wasserstoff und Sauerstoff.
Natürlich haben wir so ein Ding noch nicht beobachtet. Wir schaffen es mit den heutigen technischen Mitteln ja noch nicht mal, Kometen in der Oortschen Wolke unseres Sonnensystems zu sehen – da liegen interstellare Kometen ganz außer Reichweite. Aber trotzdem wäre es ganz interessant zu wissen, ob es die gibt und vor allem wieviele davon. Es gibt zum Beispiel Abschätzung die von etwa 0,00045 Kometen ausgehen die sich in jedem interstellaren Raumquadrat mit einer Kantenlänge von einer astronomischen Einheit (der mittlere Abstand zwischen Erde und Sonne) befinden. Wenn das so ist, dann würden zum Beispiel diese Kometen mehr zur Menge des interstellaren Sauerstoffs beitragen als alle anderen Quellen. Aber die Schätzungen bisher waren eben nur Schätzungen und die waren relativ fehleranfällig. Es wäre super, wenn man das irgendwie genauer bestimmen könnte.
Klar, das geht – meint zumindest Michael Jura von der Universität Kalifornien in Los Angeles. In seinem Artikel “An Upper Bound to the Space Density of Interstellar Comets” erklärt er, wie das funktionieren soll. Und zwar mit weißen Zwergen! Ein weißer Zwerg ist das, was von einem typischen Stern am Ende seines Lebens übrig bleibt. Irgendwann hat ein Stern wie unsere Sonne all seinen Wasserstoff im Kern in Helium fusioniert und die Kernfusion wird schwächer. Dadurch sinkt auch der Strahlungsdruck der bisher der Gravitationskraft entgegen gewirkt und den Stern vorm Kollaps bewahrt hat. Jetzt schrumpft der Stern, wird dichter und heißer und es kann ein neuer Fusionsprozess einsetzen bei dem nun Helium verbrannt wird. Der stärkere Strahlungsdruck dehnt den Stern wieder aus; seine äußeren Atmosphärenschichten schieben sich immer weiter nach außen. So entsteht ein roter Riese. Irgendwann ist aber die Kernfusion tatsächlich am Ende. Ein typischer Stern hat dann nur noch einen kleinen Kern der fast vollständig aus den Fusionsendprodukten Kohlenstoff und Sauerstoff besteht. Die äußeren Schichten des roten Riesen wurden schon längst komplett abgestossen und alles was bleibt ist dieser Kern der in etwa so groß wie die Erde (aber immer noch mindestens halb so schwer wie die Sonne!) ist: ein weißer Zwerg.
So ein weißer Zwerg hat meistens auch noch eine dünne Atmosphärenschicht. Meistens besteht sie aus Wasserstoff; bei einer speziellen Untergruppe aus weißen Zwergen aber fast ausschließlich aus Helium. Solche “DB Dwarfs” enthalten so gut wie keinen Wasserstoff mehr und sie sind es, die man benutzen kann um mehr über interstellare Kometen herauszufinden. Dazu hat Jura sich wieder eine ganz spezielle Untergruppe der DB Dwarfs angesehen. Und zwar die, deren Temperatur hoch genug ist. Wenn die mehr als 22000 Kelvin beträgt, dann ist der Sternwind (das Analog zum Sonnenwind) des weißen Zwergs stark genug um zu verhindern, dass sich Wasserstoff aus der Nähe des Zwergs bzw. von Asteroiden die sich noch um den Zwerg bewegen auf ihm ansammeln kann. Es bleibt also eigentlich nur noch der Wasserstoff übrig, der sich in den interstellaren Kometen befindet. Und Kometen enthalten reichlich Wasserstoff; in einem Kometen steckt oft mehr Wasserstoff als in eine kompletten DB dwarf! Je mehr solcher interstellarer Kometen da draussen tatsächlich rumschwirren desto größer ist die Chance, dass sie mit einem DB Dwarf zusammenstossen. Aus der Menge des dort enthaltenen Wasserstoffs kann man also eine Obergrenze für die Anzahl der interstellaren Kometen bekommen!
Die Details sind natürlich wesentlich komplizierter. Man muss Modelle entwickeln, die beschreiben wie sich ein weißer Zwerg verhält; wie sich der Wind eines weißen Zwergs verhält und der Wasserstoff, der auf ihn trifft. Aber dann kann man diese DB dwarfs tatsächlich verwenden um die Menge der interstellaren Kometen abzuschätzen! Jura macht dies mit zwei weißen Zwergen – GD 190 and BPM 17088 – und kommt zu dem Schluss, dass die bisherigen Schätzungen was die Anzahl der interstellaren Kometen angeht viel zu optimistisch waren. Nicht mehr als die Hälfte, sondern nur etwa 1 Prozent des interstellaren Sauerstoffs wird von den Kometen gestellt. Damit müssen sich jetzt auch die Leute beschäftigen, die an der Planetenentstehung arbeiten – denn mit diesen Informationen kann man auch die Modelle zur Entstehung der Oortschen Wolke verfeinern.
Und wir stellen zum Schluss fest, dass anscheinend auch die Sterne keine rechte Lust mehr auf Schneeballschlachten haben. Also her mit dem Frühling!
M. Jura (2011). An Upper Bound to the Space Density of Interstellar Comets Astronomical Journal arXiv: 1102.4319v1
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