Ich habe eine Methode zur Erdbebenvorhersage entwickelt. Sie funktioniert wunderbar. Ich kann damit jedes zukünftig in Deutschland auftretende Erdbeben mit absoluter Sicherheit vorhersagen. Exakt, mit Ort, Zeit und Magnitude. Das ist kein Scherz. Wer meine Methode anwendet und die Ergebnisse auswertet wird feststellen, dass kein einziges Erdbeben stattfinden wird, ohne von mir vorhergesagt worden zu sein. Nochmal: das ist kein Scherz! Diese Methode existiert wirklich und leistet genau das, was ich eben beschrieben habe. Leider ist sie aber auch völlig unbrauchbar. Ihr könnt euch ja mal überlegen, warum das so ist (ich werde es am Ende des Artikels erklären). Es geht auf jeden Fall um Statistik.
Ich bin kein Experte für Statistik. Aber ich weiß, dass sie wichtig ist. Vor allem weiß ich, dass gewisse Aussagen einfach unsinnig sind, wenn man sie nicht mit vernünftiger Statistik untermauert. Allerdings findet man solche Aussagen erstaunlich oft in der Realität wieder.
Es geht dabei immer um Vorgänge der Form: “Phänomen X verursacht Phänomen Y”. Also – um beim Beispiel vom Anfang zu bleiben – “Eine bestimmte Planetenstellung verursacht Erdbeben” (etwas, was man von Astrologen häufig hört). Um diese Behauptung zu belegen, schaut man nun natürlich erstmal auf die vergangenen Ereignisse. Man wird sich eine Liste von Erdbeben besorgen und nachsehen, ob es jedesmal diese bestimmte Planetenstellung gegeben hat. Und siehe da: das war tatsächlich der Fall! Somit hat man nun also bewiesen, dass die Stellung der Planeten Erdbeben verursacht, nicht wahr?
Nein, man muss erstmal sicherstellen, dass man nicht nur einfach das gesehen hat, was man sehen wollte. Man muss sicherstellen, dass man nicht auf die selektive Wahrnehmung herein gefallen ist. Und das geht mit einer vernünftigen, objektiven Statistik. “Vernünftig” heisst in diesem Fall, dass man sich erstmal Gedanken über die Auswahl der Daten macht. Das lässt sich bei den Erdbeben gut demonstrieren. Die treten ja in verschiedenen Formen in Erscheinung. Es gibt täglich tausende schwache Erdbeben, die niemand außer den Meßgeräten bemerkt. Es gibt stärkere Erdbeben, die irgendwo im Nirgendwo passieren und von keinem bemerkt werden. Es gibt stärkere Erdeben, die überdurchschnittlich großen Schaden anrichten und dann ganz prominent in den Medien behandelt werden (wie z.B. das in Neuseeland). Und es gibt Erdbeben wie das in Haiti oder Japan die enorm stark sind. Würde man sich jetzt nur die Erdbeben raussuchen, die irgendwo prominent in den Medien aufgetaucht sind, dann hätte man eine völlig lückenhafte Statistik. Die Welt besteht aus jeder Menge Gegend, in der sich keine Menschen aufhalten und wenn ein Beben, das anderswo vielleicht Häuser zum Einsturz bringt nur irgendwo in der Wüste ein paar Dünen durchschüttelt oder im Meer ein paar Fische erschreckt, dann macht sowas eben keine Schlagzeilen. Genauso muss man sich überlegen, wo bzw. ob man die Grenze für seinen Datensatz setzt. Erdbeben der Stärke 2 bis 3 gibt es pro Jahr ein paar Millionen. Inkludiert man die alle in seine Statistik oder nicht?
Hat man sich nun auf einen vernünftigen Datensatz geeinigt, kommt die objektive Auswertung. Ein erster Schritt ist es tatsächlich, die Liste zu nehmen und nachzusehen, ob für jeden Eintrag dort die entsprechende Planetenstellung aufgetreten ist. Dann darf man aber nicht aufhören. Man hat jetzt erstmal nur festgestellt, wie groß die Anzahl der “richtig positiven” Fälle ist. “Richtig positiv” bedeutet in diesem Zusammenhang das es ein Erdbeben gab und gleichzeit die Planeten in der korrekten Stellung standen. Um genau zu wissen, woran man mit seiner Vorhersagemethode ist, muss man auch noch drei weitere Fälle untersuchen. Und zwar:
- Falsch negative Fälle: Wie oft gab es Erbeben ohne das eine entsprechende Stellung der Planeten aufgetreten ist?
- Falsch positive Fälle: Wie oft gab es keine Erdbeben, obwohl die entsprechende Stellung der Planeten aufgetreten ist?
- Richtig negative Fälle: Wie oft gab es kein Erdbeben, wenn es keine entsprechende Stellung der Planeten gab?
Nur wenn man in seiner Statistik alle diese vier Fälle berücksichtigt, ist sie halbwegs aussagekräftig (natürlich gibts da noch viel mehr Kritierien die man bei einer guten Statistik berücksichtigen muss). Aber in der Realität beschränkt man sich überraschend oft nur auf die Berechnung der richtig positiven Fälle und ignoriert den Rest. Das trifft nicht nur auf Astrologen zu (auch wenn die das regelrecht systematisch praktizieren). Erst gestern hat mich ein Kommentator auf eine Arbeit von Mensur Omerbashich aufmerksam gemacht, die sich ebenfalls mit der Erdbebenvorhersage beschäftigt und es sogar auf den preprint-Server arXiv geschafft hat (wenn auch nicht in eine echte Fachzeitschrift). Ok, der Autor gibt auf seiner Homepage als seine größten Leistungen die “vollständige Widerlegung der allgemeinen Relativitätstheorie von A. Einstein und der Quantentheorie von M. Planck” an und verbietet explizit allen Freimaurern, Illuminaten und Bilderbergern seine “Theorien” zu zitieren. Man kann sich also schon in etwa denken, dass man hier nicht viel echte Wissenschaft zu sehen kriegen wird. Und tatsächlich findet man in der Arbeit im Prinzip genau die Behauptungen der Astrologen wieder; diesmal nur in wissenschaftlicher Sprache verpackt. Es wird behauptet dass die Stellung der Planeten Erdbeben verursacht. Immer wenn die Erde in einer Linie mit anderen Himmelskörpern steht, kommt es bei uns zu großen Erdbeben. Ich habe zwar in einem anderen Artikel schon detailliert erklärt, warum es – was die gravitative Wirkung angeht – völlig egal ist, ob die Planeten in einer Reihe stehen oder nicht. Aber schauen wir uns an, was Omerbashich genau getan hat.
Um die Behauptung “Wenn die Erde in einer Linie mit anderen Himmelskörpern steht gibt es Erdbeben” halbwegs ernst nehmen zu können, braucht es eine vernünftige, objektive Statistik. Wie sieht es also mit der vernünftigen Datenauswahl aus? Omerbashich hat sich einerseits zwar nicht nur auf die medial prominenten Beben beschränkt. Andererseits scheint er aber keinen Plan zu haben, welche Himmelskörper den nun in einer Reihe stehen können um Erdbeben zu verursachen. Gut, es kommen alle Planeten in seiner Liste vor. Aber auch der relativ unspektakuläre Komet Elenin. Unspektakulär zumindest aus wissenschaftlicher Sicht. Das einzig außergewöhnliche ist die Tatsache dass wir ihn im Herbst vielleicht ohne Teleskop sehen werden können. Aus irgendeinem Grund ist er aber zum Lieblingshimmelskörper der Pseudowissenschaftler und Esoteriker geworden. Elenin sei nicht nur ein paar Kilometer groß sondern mindestens so groß wie ein Planet wird da behauptet (hier verwechseln die Leute den Umfang der Koma, also der Gas- und Staubwolke die den Kern umgibt mit dem Kometenkern selbst); er wäre ein außerirdisches Raumschiff oder würde mit der Erde kollidieren. Oder eben Erdbeben verursachen. Rein physikalisch jedenfalls unterscheidet Elenin nichts von Millionen anderen kleinen Himmelskörpern im Sonnensystem die aber alle nicht in der Statistik auftauchen. Es handelt sich also nicht um einen vernünftigen Datensatz. Auch mit der Objektivität steht es schlecht. Wie gehabt werden erstmal nur die richtig positiven Fälle betrachtet und Omerbashich leitet daraus eine Trefferquote von 90% für seine “Vorhersagemethode” ab. Aber die restlichen drei Fälle (falsch-positiv, falsch-negativ, richtig-negativ) werden völlig ignoriert. Wie zu erwarten war ist diese Statistik also völlig unbrauchbar um irgendwas zu belegen.
Besonders die Falsch-Positiv-Rate wird gerne mal ignoriert. Nicht nur bei Astrologen und Pseudowissenschaftern. Viel schlimmer kann es sein, wenn dies bei medizinischen Studien passiert. Das klassische Beispiel sind hier HIV-Tests. Wenn man den Verdacht hat, HIV-positiv zu sein, dann kann man einen entsprechende Test machen. Fällt der Test nun positiv aus, bedeutet das allerdings nicht automatisch, dass man auch HIV-positiv ist. Denn kein Test ist perfekt. Ein guter Test hat eine hohe richtig-positiv-Rate. Das bedeutet, wenn jemand krank ist, wird das auch in der Mehrzahl der Fälle erkannt. Aber es gibt ja auch noch die Falsch-Positiv-Rate. In einer gewissen Anzahl an Fällen wird der Test also das Ergebnis liefern das man krank ist, obwohl das nicht stimmt! Um einschätzen zu können, was das Ergebnis “Der HIV-Test war positiv” bedeutet, muss man diese Rate unbedingt kennen! Das ganze kann noch viel komplizierter und regelrecht paradox werden, wenn man das Bayestheorem berücksichtigt und die verschiedenen Risikogruppen bei HIV. Christian hat das nebenan im Detail erklärt. Wer mehr zu diesem Thema wissen will (bzw. generell mehr über Statistik), dem empfehle ich dringend das Buch “Wenn Gott würfelt: oder Wie der Zufall unser Leben bestimmt” (im Original: “The Drunkard’s Walk: How Randomness Rules Our Lives”). Mlodinow rechnet dort zum Beispiel vor wie die Aussage seines Arztes, dass er mit einer Chance von 99.9% HIV-positiv sei sich bei korrekter statistischer Behandlung zur 90.9 prozentigen Chance, dass er nicht infiziert ist, wandelte.
Vernünftige und objektive Statistiken sind wichtig! Schade, dass sich das noch nicht allgemein herumgesprochen hat…
Ach ja: meine tolle Methode zur Erdbebenvorhersage. Die funktioniert ganz einfach: ich prognostiziere für jeden Tag des Jahres, an jedem Ort Deutschlands ein Erdbeben. Damit stelle ich sicher, dass meine richtig-positiv-Rate 100 Prozent beträgt. Natürlich ist dann auch die falsch-positiv-Rate wahnsinnig hoch und macht die “Methode” völlig unbrauchbar. Hohe richtig-positiv-Raten sind also noch lange nicht alles…
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