In der Himmelsmechanik ist es erstmal nicht allzu kompliziert, die grundlegenden Eigenschaften eines Modells zu bestimmen (obwohl es natürlich trotzdem jede Menge Fallstricke gibt). Die Himmelskörper sind einfach nur Punkt die eine gewisse Masse haben und sie wechselwirken rein gravitativ miteinander. Für die allermeisten Probleme ist dieser Ansatz völlig ausreichend und liefert ausreichend genaue Resultate. Manchmal will man aber spezielle Probleme lösen und muss das Modell exakter an die Realität anpassen. Dann muss man zum Beispiel berücksichtigen, dass die Planeten eben keine Punkte sind, sondern ausgedehnte Körper die nicht exakt kugelförmig sind. Man muss zum Beispiel die Einsteinschen Gravitationsformeln verwenden anstatt die des guten alten Newton. Oder man muss einige der sogenannten “nichtgravitativen Kräfte” berücksichtigen. Denn wenn man es genau nimmt, dann wird die Bewegung der Himmelskörper nicht nur allein von der Gravitation bestimmt. Eine der Kräfte, die hier in gewissen Fällen eine Rolle spielt entsteht aus dem Jarkowski-Effekt.
Überlegt hat sich die ganze Geschichte der russische Ingenieur Iwan Ossipowitsch Jarkowski und zwar schon im Jahr 1900. Ohne den bekannten Astronomen Ernst Öpik, der seine völlig unbeachtete Arbeit ein Jahrzehnt später wieder ausgegraben hatte wüssten wir aber wahrscheinlich nichts davon.
Jarkwoski hat untersucht, was eigentlich genau passiert, wenn die Sonne einen kleinen Himmelskörper – zum Beispiel einen Asteroiden – anstrahlt. Die Seite die der Sonne zugewandt ist, wird dadurch aufgeheizt. Die Rotation des Asteroiden dreht diese warme Seite natürlich irgendwann von der Sonne weg und sie kühlt wieder aus. Die “Nachmittagsseite” ist also immer wärmer als die “Vormittagsseite”. Die kommt ja gerade erst aus der Dunkelheit herüber rotiert wo sie die ganze Nacht Zeit hatte, auszukühlen. Die Wärme wird jetzt natürlich auch wieder abgestrahlt. Je wärmer etwas ist, desto mehr elektromagnetische Strahlung (Wärme ist ja Infrarotstrahlung) gibt sie ab. Das heisst, dass auch die Nachmittagsseite stärker strahlt als die Vormittagsseite. Wenn ein Körper elektromagentische Strahlung abgibt, dann entsteht dabei immer auch eine Kraft. Man kann das in gewissen Sinne als den “Rückstoss” betrachten, den die abgestrahlten Photonen erzeugen. Da dieser Rückstoss nun aber asymmetrisch ist, entsteht insgesamt eine Kraft, die von der Nachmittagsseite weg zeigt. Wenn der Asteroid in die Richtung rotiert, in die er sich auch um die Sonne bewegt (man nennt das “prograde Bewegung”), dann ist diese Kraft in seine Bewegungsrichtung gerichtet und der Asteroid wird nach außen gedrückt. Rotiert er gegen die Umlaufrichtung (retrograde Bewegung), dann zeigt die Jarkowski-Kraft gegen die Bewegungsrichtung und der Asteroid bewegt sich nach innen.
Den prograden Fall hab ich hier nochmal aufgezeichnet (natürlich nicht maßstabsgetreu):
Der Effekt ist natürlich winzig. Bei großen Himmelskörpern wie den Planeten ist er komplett vernachlässigbar und hat keinerlei beobachtbare oder messbare Auswirkungen. Auch bei Monden, Zwergplaneten oder großen Asteroiden merkt man kaum etwas. Der Jarkowski-Effekt spielt nur dann eine Rolle wenn man kleine Asteroiden betrachtet und auch dann macht er sich nur bei sehr langen Zeiträumen bemerkbar. Das erste Mal konkret beobachten konnte man ihn beim Asteroiden Golevka. Der ist klein, nur etwa 600 mal 1400 Meter groß. Er ist auch nicht allzu weit von der Erde weg, so daß man Radarmessungen benutzen konnte, um seine Form und seinen Abstand von der Erde exakt zu bestimmen. Mit der Auswertung von Messdaten die zwischen 1991 und 2003 gemacht wurden gelang es dann auch die Abweichung zu messen, die durch den Jarkowski-Effekt hervorgerufen wurde. Golevka war etwa 3.7 Meter von der Stelle entfernt, an der sich der Asteroid eigentlich befinden sollte. Ok, das ist wirklich eine winzige Abweichung und enstpricht einer wirkenden Beschleunigung von 10-10 m/s². Aber auch Kleinvieh macht Mist und über lange Zeiträume kann das eine Rolle spielen.
Der Jarkowski-Effekt kann beispielsweise dazu führen, dass ein Asteroid, der eigentlich auf einer sehr stabilen Bahn wäre, diese langsam aber sicher verändert und dann beispielsweise mit einem anderen Asteroiden kollidiert (oder gar einem Planeten). Er kann durch die Jarkowski-Kraft in eine Resonanz geschoben werden und dann ganz wo anders landen. Will man die Langzeitdynamik der Asteroiden verstehen und herausfinden, wie die verschiedenen Gruppen von Asteroiden zusammenhängen – zum Beispiel wieviele Asteroiden im Laufe der Zeit aus dem Hauptgürtel hinter der Marsbahn in die Nähe der Erde kommen können – dann muss man dafür auch den Jarkowski-Effekt berücksichtigen!
Und vielleicht können wir diesen Effekt auch einmal nutzen, um unsere Erde vor einer großen Katastrophe zu schützen. Denn sollten wir einmal einen Asteroiden auf Kollisionskurs entdecken – und sollten wir genug Zeit zur Verfügung haben: dann könnten wir zum Beispiel den Jarkowski-Effekt auf diesem Asteroiden künstlich verstärken. Wir könnten eine Seite weiß anmalen und die andere schwarz um so die asymmetrische Abstrahlung zu maximieren. Die Jarkowski-Kraft wird dann immer noch klein sein. Aber wenn genug Zeit vergeht, dann reicht sie vielleicht aus, um den Asteroiden von seinem Kollisionskurs abzubringen!
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