Glücklicherweise scheinen die Politiker ja doch nicht mit allem durchzukommen. Eine überführte Plagiatorin zur europäischen Wissenschaftspolitikerin zu befördern war dann doch ein bisschen zu viel. Wissenschaftler und Vertreter der wissenschaftlichen Organisationen in Deutschland haben deutlich klar gemacht, was davon zu halten ist und schließlich musste Frau Koch-Mehrin zurücktreten. Bzw. wurde sie aus dem entsprechenden Ausschuss entfernt. Sie darf als deutsche Volksvertreterin immer noch für unsere Belange bei der Europäischen Union eintreten. Wer keine Lust hat, sich von jemanden vertreten zu lassen, der nachweislich wissenschaftlich betrogen hat, der kann immer noch die Petition für Koch-Mehrins Rücktritt unterschreiben Und wer weiter auf dem Laufenden bleiben will, was die Plagiate angeht, der ist bei “De Plagio” richtig: ein Blog das gemeinsam von Autoren der ScienceBlogs und der SciLogs betrieben wird.
Man fragt sich bei der ganzen Geschichte ja, ob die Politiker die Menschen tatsächlich für so dumm halten und meinen, über solche Sachen würde sich niemand aufregen? Oder ob das Plagiieren einfach als Kavaliersdelikt gilt über das man sich keine weiteren Gedanken machen muss. So wie ein Strafzettel wegen Falschparken… Scheinbar ist das so – denn Guttenberg und Koch-Mehrin waren ja nicht die einzigen. Auf den Plagiatsdokumentationsseite VroniPlag und Initiative Transparente Wissenschaft finden sich noch jede Menge andere Fälle. Eines ist mir dabei allerdings aufgefallen; speziell als ich die Themengebiete der Dissertationen angesehen habe:
- Margarita Mathiopoulos: Politikwissenschaft
- Karl-Theodor zu Guttenberg: Rechtswissenschaft
- Silvana Koch-Mehrin: Wirtschaftswissenschaft/Geschichte
- Johannes Hahn: Philosophie
- Uwe Brinkmann: Rechtswissenschaft
- Georgios Chatzimarkakis: Politikwissenschaft
- Veronica Saß: Rechtswissenschaft
- Mario-Max Schaumburg-Lippe: Rechtsiwssenschaft
Ok, 7 Leute sind kein wirklich großer Datensatz. Aber unter all den Plagiaten findet sich kein einziges aus dem Bereich Naturwissenschaft. Das kann Zufall sein – wie gesagt, das ist keine Statistik – und falls sich herausstellen sollte, dass Naturwissenschaftler ebenso oft des Plagiats überführt werden wie alle anderen, dann ist alles was jetzt folgt hinfällig. Oder es liegt daran, dass es hier nur um Politiker geht und da liegt es nahe, dass die eher Jura oder Politikwissenschaft studieren anstatt Physik (wobei die Bundeskanzlerin da wieder eine Ausnahme ist). Und sicherlich liegt es nicht daran, dass Naturwissenschaftler die besseren Menschen sind und nicht betrügen. Aber es würde ihnen vermutlich trotzdem schwer fallen, ein Plagiat durchzuziehen.
Ich hab ja schon öfter mal probiert, mich in die Lage von Koch-Mehrin, Guttenberg oder anderen Plagiatoren zu versetzen. Wie kommt man auf die Idee, einfach abzuschreiben und die Forschung anderer als seine eigene auszugeben. Wie zieht man das durch? Mein Arbeitsgebiet ist die Astronomie und momentan die Dynamik extrasolarer Planeten. Mal angenommen ich wolle nun eine Arbeit über die dynamische Stabilität von sagen wir Gliese 876 schreiben (ein dynamisch sehr interessantes System). Jetzt bin ich aber nebenbei dummerweise auch noch Minister, muss mich um meine Familie kümmern, hab anderweitig Stress und viel zu tun oder schaffe es schlicht und einfach nicht, die Arbeit vernünftig zu verfassen. Was würde passieren, wenn ich einfach abschreibe? Ich such mir einfach eine passende Arbeit zum Thema – die hier zum Beispiel – vielleicht noch ein paar andere dazu und mit copy & paste ist meine Arbeit schnell fertig. Genauso schnell aber wäre sie auch als Plagiat enttarnt; ganz ohne VroniPlag und Crowdsourcing. Würde ich meine Arbeit irgendwo veröffentlichen wollen, dann würden die Gutachter (sofern es gute Gutachter sind) sicherlich erstmal schauen, inwiefern meine Ergebnisse zur Stabilität von Gliese 876 den früheren Ergebnissen entsprechen. Und dabei müssen sie unweigerlich merken, dass ich abgeschrieben habe. Sollte die Arbeit dank schlechter und ungenauer Gutachter doch veröffentlich werden, dann wird sie auf jeden Fall die Aufmerksamkeit all derjenigen Wissenschaftler auf sich ziehen, die ebenfalls an Gliese 876 gearbeitet haben und dann werden die, von denen ich abgeschrieben habe, den Betrug ebenfalls sofort bemerken.
Das klassische plagiieren – also Texte kopieren und keine Quellen angeben – scheint irgendwie in der Naturwissenschaft nicht zu funktionieren. Hier geht es darum, konkrete, nachprüfbare Fakten herauszufinden. Und die kann ich nicht einfach abschreiben. Außerdem ist die Naturwissenschaft nicht so sehr von der Sprache dominiert sondern von der Mathematik. Die Geistes- und Sozialwissenschaften funktionieren ein wenig anders; hier verfasst man eher Bücher als kurze wissenschaftliche Texte. Man arbeitet vorrangig mit Texten und kaum mit neutraler Mathematik. Es geht darum, vorhandene Texte ausgiebig zu analysieren, Meinungen und Kommentare abzugeben und die Schlussfolgerungen sind im Vergleich zur Naturwissenschaft oft eher vage. All das begünstigt das reine Abschreiben und lässt es länger unentdeckt bleiben. Es ist also nicht verwunderlich, wenn sich keine Naturwissenschaftler unter den aktuellen Plagiatsfällen finden. Das funktioniert bei der naturwissenschaflichen Arbeitsweise einfach nicht wirklich gut. Klar, es ist durchaus möglich, dass man z.B. die Einleitungskapitel einer Dissertation bei denen es nur um die Darstellung des Status Quo geht, einfach aus Lehrbüchern abschreibt (und das wird sicherlich auch vorgekommen sein). Aber die wissenschaftliche Arbeit anderer als seine eigene Forschungsleistung auszugeben ist wesentlich schwieriger. Zumindest per copy & paste. Das bedeutet natürlich nicht, dass es in der Naturwissenschaft kein wissenschaftliches Fehlverhalten gibt. Man muss es nur anders anstellen.
Anstatt meine Arbeit über Gliese 876 einfach abzuschreiben könnte ich mir die Ergebnisse auch einfach ausdenken. Oder ich klaue mir trotzdem die Daten aus einer anderen Arbeit aber modifiziere und manipuliere sie einfach so, dass man den Diebstahl auf den ersten Blick nicht merkt. Falsche oder gestohlene Daten zu veröffentlichen ist zwar etwas aufwendiger als reines copy & paste und wenn man es vernünftig machen will, muss man schon einiges über sein Fach wissen (wäre also vielleicht schwierig für Diplomande/Doktoranden) aber genauso schwierig ist es dann auch, so einen Fall aufzudecken. Denn da müsste die Arbeit schon von unabhängigen Kollegen wiederholt werden. Aber selbst wenn es dann zu Widersprüchen kommt, ist das noch kein eindeutiges Zeichen für Betrug; ich könnte mich auf unterschiedliche Methodiken, unterschiedliche Modelle etc rausreden. Erfundene bzw. manipulierte Daten zu enttarnen ist nicht leicht. Ich kann nur jedem das Buch “Plastic Fantastic” von Eugenie Samuel Reich empfehlen. Dort wird detailliert der Skandal um den deutschen Physiker Jan Hendrik Schön beschrieben der 13 Arbeiten gefälscht hatte, als neuer Superstar der Szene galt und kurz davor stand als jüngster Direktor an ein Max-Planck-Institut berufen zu werden bevor er endlich aufgeflogen ist.
Wissenschaftliches Fehlverhalten gibt es also auch selbstverständlich – und leider! – in der Naturwissenschaft. Dort wo es Menschen gibt, gibt es immer auch Menschen, die Fehler machen oder betrügen. Allerdings wird man die schwarzen Schafe unter den Naturwissenschaftler nicht so einfach per Crowd-Sourcing à la VroniPlag enttarnen können. Um klassische Plagiate entdecken zu können, braucht man nur Zugang zu ausreichend Quellen, vernünftigen Suchmaschinen und muss fähig sein zu lesen. Wer gefälschte oder manipulierte Daten aufdecken will, muss auch die wissenschaftliche Hintergründe beherrschen und verstehen, was die Daten bedeuten sollen. Brauchen wir also ein VroniPlag, dass speziell von Naturwissenschaftlern betrieben wird?
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