Als sich Anfang des 17. Jahrhunderts langsam die Vorstellung durchsetzte, dass nicht die Erde reglos im Zentrum des Universums steht sondern stattdessen die Sonne umkreist, war schnell klar, dass man diese Bewegung eigentlich beobachten können müsste. Denn wenn die Erde sich bewegt, dann müssen die Sterne eine Parallaxe zeigen. Also machte man sich auf die Suche danach – und fand dabei etwas ganz anderes…
Was eine Parallaxe ist, kann jeder leicht selbst ausprobieren. Streckt den Daumen eurer Hand aus. Jetzt streckt die ganze Hand aus und schließt euer rechtes Auge. Betrachtet mit dem linken Auge den Daumen. Jetzt schließt ihr das linke Auge und betrachtet den Daumen mit dem rechten. Wechselt nun schnell zwischen den verschiedenen Augen hin und her: der Daumen scheint vor dem Hintergrund hin und her zu hüpfen. Aber natürlich bewegt sich hier nichts. Der Daumen steht still, der Hintergrund steht still – das einzige was sich ändert ist eure Beobachtungsperspektive! Die beiden Augen stehen ein paar Zentimeter auseinander und darum beobachtet ihr den Daumen mit verschiedenen Augen von verschiedenen Orten aus. Ähnliches könnt ihr beobachten, wenn ihr mit dem Auto fahrt: die Landschaft bewegt sich hier kein Stück; nur ihr verändert ständig euren Beobachtungspunkt. Und darum sieht es so aus, als würden sich die Bäume, die nah an der Straße sind, im Vergleich zu den Bergen im Hintergrund schneller bewegen.
Und wenn wir den Himmel betrachten, dann ändert sich unser Beobachtungspunkt ja auch ständig. Zumindest dann, wenn Kopernikus, Kepler und Galilei recht haben und die Erde sich tatsächlich bewegt. Dann steht sie im Sommer auf der einen Seite der Sonne und hat sich bis zum Winter auf die andere Seite der Sonne bewegt. Wir sehen also im Sommer aus einer anderen Richtung auf die Sterne als im Winter und so wie sich unser Daumen scheinbar bewegt hat, als wir zwischen den Augen gewechselt haben, müssten sich auch die Sterne scheinbar bewegen, wenn wir zwischen Sommer- und Winterposition wechseln. Wenn die Erde sich tatsächlich bewegt, dann müssen sich die Positionen der Sterne am Himmel im Laufe eines Jahrs ändern. Das nennt man “Parallaxe” und die Astronomen waren begierig, sie endlich zu messen!
Aber das war leichter gesagt als getan. Man wusste ja nichtmal, wie groß der Effekt den man messen wollte, eigentlich war. Nicht sonderlich groß auf jeden Fall, ansonsten hätte man ihn schon bemerkt. Aber da man keine Ahnung hatte, wie weit die Sterne entfernt waren, konnte man auch nicht abschätzen, wie groß die zu erwartende Parallaxe sein sollte. Denn die ist natürlich um so größer, je näher der Stern der Erde ist. Vielleicht waren die Sterne ja auch unendlich weit entfernt? Jede Menge berühmte und weniger berühmte Astronomen bemühten sich darum, die Parallaxe eines Sterns zu messen. Aber egal welchen Stern sie sich aussuchten: man fand nichts. Entweder die Erde bewegte sich doch nicht um die Sonne. Oder aber die Sterne waren wirklich verdammt weit entfernt. Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts gab es immer wieder mal Messungen, die eine scheinbare Bewegung der Sterne zu zeigen schienen. Aber die waren meistens ziemlich umstritten. 1725 wollte der britische Astronom James Bradley Licht ins Dunkel bringen, installierte ein Teleskop im Haus eines Freundes und machte sich daran, den Stern Gamma Draconis zu beobachten. Es war Anfang Dezember und der Stern blieb dort wo er war und bewegte sich kein Stück. Erst Mitte Dezember schien sich was zu tun – Gamma Draconis bewegte sich nach Süden! Das war zwar einerseits gut, denn man wollte ja eine Bewegung des Sterns messen. Andererseits war es auch ein wenig blöd, denn man wollte nicht so eine Bewegung messen. Wenn es sich tatsächlich um die parallaktische Bewegung handeln würde, dann müsste der Stern im Dezember seinen südlichsten Punkt schon erreicht haben anstatt noch weiter nach Süden zu wandern. Bradley checkte seine Instrumente, aber mit denen war alles ok. Also beobachtete er weiter. Gamma Draconis bewegte sich immer weiter nach Süden bis er im März wieder nach Norden schwenkte (die Bewegungen um die es hier geht sind allerdings winzig – sie liegen im Bereich von Bogensekunden und eine Bogensekunde ist ein 3600tel eines Grads) und diese Bewegung bis September fortsetze um dann wieder nach Süden zurückzukehren bis er im Dezember wieder dort war, wo man ihn im Jahr zuvor gemessen hatte.
Tja. Was machte man nun mit so einer Beobachtung die man gar nicht bestellt hatte? Bradley probierte sie zu erklären. Vielleicht liegt es daran, dass der Mond ein wenig an der Erdachse rüttelt? Die Gravitationskraft des Mondes würde dazu führen, dass die Achse der Erde ein klein wenig schwankt und die Sterne würden dann am Himmel eine scheinbare Bewegung vollführen die der von Gamma Draconis ähnlich wäre. Aber das gilt dann für alle Sterne und einer der Gamma Draconis genau 180 Grad gegenüberliegt, müsste gerade die umgekehrte Bewegung zeigen. Als Bradley einen passenden Stern untersuchte, verlief die Bewegung hier tatsächlich umgekehrt – allerdings nicht so weit südlich/nördlich wie man es erwartet hätte. Der Mond hatte also nichts damit zu tun. Bradley beobachtete weiter, fand immer mehr Sterne die diese seltsame Bewegung zeigten und keine Erklärung dafür. Das geschah erst im Jahr 1728. Angeblich kam Bradley die Idee, als er sah, wie sich die Fahne am Mast eines Schiffes auf der Themse bewegte, obwohl der Wind seine Richtung beibehielt. Aber das Schiff selbst änderte die Fahrichtung und darauf kam es an! Wenn wir das Schiff durch die Erde ersetzen, den Wind durch das Licht und die Fahne durch die Sterne, dann haben wir eine Erklärung für das seltsame Verhalten, das Bradley beobachtete.
Die Erde bewegt sich durchs All. Und das Licht hat eine endliche Geschwindigkeit. Beides wusste man zu Bradleys Zeiten noch nicht völlig sicher, aber es waren gute und wahrscheinliche Annahmen. Wenn das aber tatsächlich so ist, dann bewegt sich die Erde in der Zeit die das Licht braucht um von einem Ende des Teleskops zum anderen zu laufen ein klein wenig. Stünde der Stern exakt senkrecht über dem Teleskop, dann würde sein Licht wegen der Bewegung der Erde trotzdem nicht genau in der Mitte des Bildes ankommen sondern leicht verschoben. Wenn der Lichtstrahl in der Mitte bleiben soll, müsste man das Teleskop um einen kleinen Winkel kippen (genauso wie man den Regenschirm leicht kippt, wenn man damit durch den Regen rennt). Wie groß diese Abweichung ist, hängt davon ab, wie sich die Erde bewegt. Die Erde wird sich mal auf den Stern zu bewegen und mal von ihm weg; also parallel zur Richtung aus der das Licht kommt. Dann ist die Abweichung sehr gering. Dazwischen bewegt sie sich aber genau senkrecht zur Richtung des Lichts und da ist die Abweichung am größten. Im Laufe eines Jahres wird man also sehen, wie die Abweichung größer und wieder kleiner wird: genauso wie es Bradley beobachtet hatte. Heute nennen wir dieses Phänomen Aberration (was aber auch nichts anderes heisst als “Abweichung”).
Das war wirklich eine geniale Erkenntnis. Bradley konnte damit nicht nur zeigen, dass sich die Erde tatsächlich um die Sonne bewegt und nicht umgekehrt. Er konnte auch den Wert für die Geschwindigkeit des Lichts berechnen und erhielt ein wesentlich besseres Ergebnis als Ole Rømer der knapp 50 Jahre zuvor das erste Mal einen solchen Wert berechnet hatte. Bis dann die ersten echten Parallaxen gemessen werden konnten, dauerte es noch bis 1838 als Friedrich Wilhelm Bessel in Königsberg die parallaktische Bewegung des Sterns 61 Cygni beobachtet und berechnete, dass er sich etwa 10 Lichtjahre von der Erde entfernt befand! Kurz danach wurden Parallaxen von Alpha Centauri (durch Thomas Henderson) und Vega (durch Wilhelm Struve) veröffentlicht und von da an fand man immer mehr. Es zeigte sich, dass die Sterne tatsächlich verdammt weit weg waren und es deswegen so schwer gewesen war, ihre winzigen parallaktischen Bewegung zu messen.
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