Blogger werden ja öfter mal von großen Firmen verklagt oder abgemahnt. Meistens zu Unrecht und meistens, weil sich die Firma denkt: Hey, so ein kleiner Blogger, was soll der schon machen? Dessen kritische und für uns unangenehme Meinung klagen wir einfach weg, der kann sich sowieso nicht wehren. Oft setzt dann aber der Streisand-Effekt ein: gerade durch den Versuch, die Kritik zu unterdrücken, wird sie erst so richtig verbreitet. Ein ganz besonderer Fall dieser Art ist kürzlich passiert und die Berichterstattung darüber hat es sogar bis ins renommierte “British Medical Journal” geschafft. Fabio Turone berichtet dort unter dem Titel “Homoeopathy multinational Boiron threatens amateur Italian blogger” über einen großen Homöopathie-Konzern, der einen italienischen Blogger mit Klagen bedroht hatte. Warum? Weil er der Ansicht war, das Homöopathie Unsinn ist.
Der Blogger ist Samuel Riva, 28 Jahre alt und Informatiker aus Mailand. Er betreibt ein Blog – Blog(0) – und hat darin kürzlich über Homöopathie berichtet. “Homöopathie – Mythen und Legenden” waren die beiden Artikel überschrieben und ihnen hat er die gleiche grundlegende Kritik an der Homöopathie geübt, die man überall, zum Beispiel auch hier bei ScienceBlogs, lesen kann. Zuerst erklärte er, dass Homöopathie nichts mit “Pflanzenmedizin” zu tun hat (hat sie wahrlich nicht). Dann beschreibt er, wie der Arzt Samuel Hahnemann damals die Homöopathie entwickelte, darüber, dass ihre Methodik nichts mit Logik oder Wissenschaft zu tun hat (hat sie wirklich nicht) und rechnet vor, dass in den homöopathischen “Medikamenten” kein Molekül des Ausgangstoffes mehr enthalten ist. Riva erklärte besonders die Korsakow-Methode der Verdünnung. Dabei wird nur ein einzelnes Glas verwendet, man verdünnt darin den Ausgangsstoff und schüttet dann alles wieder weg. Nur ein Tropfen bleibt im Glas zurück, der wieder verdünnt wird. Erneut landet alles im Ausguss – bis auf einen Tropfen – und so weiter. Er beschrieb diese absurde Methode der Verdünnung um die Wirkung des “Medikaments” zu erhöhen und um zu demonstrieren, dass es tatsächlich Menschen gibt die daran glauben und Firmen, die “Medikamente” auf diese Art und Weise produzieren, zeigte er ein Bild eines Oscillococcinum-Präparats, hergestellt vom Homöpathie-Konzern “Boiron”. Der Grundstoff für dieses Mittel ist Entenleber bzw. ein Entenherz und es gilt unter den Anhänger der Homöopathie als wunderbares “Medikament” gegen Grippe. Es wird in einer Verdünnung von 200C verkauft, das bedeutet, auf ein Teil der Enteninnereien kommt ganze 100200, also 10400 Teile Wasser. Das ist eine Zahl mit 400 Nullen… und es ist durchaus verständlich, dass man das absurd findet.
Die Firma Boiron fand das allerdings nicht absurd. Klar, immerhin verdient sie mit der Herstellung solcher “Medikamente” jede Menge Geld. “[D]as Unternehmen kann schon seit Jahren sowohl Umsatz als auch den Gewinn zumindest im Trend steigern. Das durchschnittliche Umsatzwachstum der vergangenen sieben Jahre lag bei acht Prozent jährlich, während der Gewinn je Aktie um durchschnittlich um 21 Prozent gesteigert werden konnte.” schreibt die FAZ im Juni. Irgendjemand bei Boiron dürfte dann wohl aufgefallen sein, dass da jemand ihre Grippe-Globulis nicht so toll findet. Fabio Turone schreibt in seinem Artikel im British Medical Journal:
“On 28 July Boiron fired off a letter to the internet provider, complaining that both the articles and the captions were “untrue and derogatory both of homeopathy and [the] company,” and responsible for tarnishing the company’s reputation and causing “serious damage,” which it could seek to recover in court. The letter asked the internet provider to remove all references to Boiron and its products from the two articles immediately, and to prevent the blogger from further accessing his blog, or else the company would sue the service provider and the blogger.”
Boiron hat sich also an den Internetprovider von Riva gewandt und verlangt, die Artikel zu entfernen, da sowohl der Konzern als auch die Homöopathie herabgewürdigt werden. Wenn der Internetprovider nicht sofort alle Hinweise auf Boiron entfernen und Riva aus seinem Blog aussperren würde, dann würde Boiron sowohl den Provider als auch den Blogger verklagen. Wer italienisch kann, kann hier alles, inklusive des Briefes von Boiron, im Original nachlesen. So etwas scheint öfter zu passieren. Silvia Nencioni, die Chefin der Italienischen Abteilung von Boiron wird im BMJ-Artikel so zitiert:
“We regularly monitor all media, including the web, to see what is being said about our company, and occasionally we contact those who are critical to ask for corrections [to be made] or to be given the right of reply,” Silvia Nencioni, chief executive officer of Boiron Italy, who signed the letter, told the BMJ.
Tja, die Sache ging ja wohl diesmal nach hinten los. In den USA wird nun sogar eine Sammelklage gegen Boiron vorbereitet, in der die Kläger dem Konzern vorwerfen, falsch mit der Wirksamkeit von Oscillococcinum geworben zu haben. Über 100 Seiten haben schon über diesen Fall berichtet, schreibt Riva und es werden immer mehr. Zu Recht, denn es ist nicht verboten zu sagen, dass Homoöpathie völliger Unsinn ist. Es ist nicht verboten die absurden Methoden der Homöopathie öffentlich zu diskutieren und vor zu rechnen, das in homöopathischen Präparaten keinerlei Wirkstoff mehr vorhanden ist. Es ist auch nicht verboten, zu erklären, dass auch Oscillococcinum nicht gegen Grippe wirkt (wie viele Studien mehrmals festgestellt haben, zum Beispiel dieser Cochrane-Report). Es ist auch nicht verboten, darauf hinzuweisen, dass es einen multinationalen Homöopathie-Konzern gibt, der dieses Mittel herstellt. Es ist verständlich, dass die Homöopathien und vor allem die Hersteller der homöopathischen Mittel so etwas nicht gerne hören. Aber die Realität lässt sich nicht wegklagen!
P.S. Wer mal sehen will, was die “sanfte Naturmedizin” so anrichten kann, der soll den Artikel “Furchtbare Mütter und Homöopathie” von Gunnar Ries lesen…
Nachtrag (18.08.11 19:30): Via Twitter verkündet @BoironUSA gerade Interessantes:
Wie jetzt? Homöopathie lindert nur die Symptome? Ich dachte, die wäre so wahnsinnig “ganzheitlich” und würde immer “den ganzen Menschen betrachten”? Reine Symptombehandlung wirft man doch unter Homöopathen immer nur der bösen “Schulmedizin” vor…
Nachtrag: Ah – ich sehe gerade, dass Ulrich auch schon darüber gebloggt hat. Aber gut – je mehr Aufmerksamkeit diese Geschichte bekommt, um so besser!
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