Schlechten Journalismus muss man nicht lange suchen. Schlechten Wissenschaftsjournalismus leider auch nicht. Gerade macht die Kritik am Wissenschaftsmagazin GEO die Runde, wo man sich beim Thema “Alternativmedizin” ordentlich in die Nesseln gesetzt hat. Ich habe lange überlegt, ob ich auch etwas dazu äußern soll. Nicht, weil ich die Sache nicht bedenklich finde. Das ist sie, leider! Nein, ich fand das alles einfach enorm deprimierend…
Das da draußen viel zu viele Menschen sind, die Wissenschaft nicht faszinierend finden, habe ich akzeptiert. Ich fände es zwar toll, wenn jeder sehen könnte, wie spannend die Welt um uns herum ist. Aber mir ist klar, dass Menschen verschieden sind und sich nicht jeder für die gleichen Dinge interessiert. Damit habe ich kein Problem. Etwas seltsamer finde ich es schon, wenn Menschen heutzutage der Wissenschaft regelrecht feindlich gegenüber stehen. Unsere Welt, unser gesamter Alltag ist von vorne bis hinten von der Wissenschaft dominiert. Die Errungenschaften der Forschung sind so komplett in unser Leben integriert, dass die Wissenschaft für den Normalbürger quasi unsichtbar geworden ist. Insofern fällt es natürlich einfach, so zu tun, als bräuchten wir sie nicht.
Nur damit kein Missverständnis entsteht: Es ist durchaus angebracht, der Wissenschaft kritisch gegenüber zu stehen. So wie alle anderen Produkte menschlichen Schaffens auch, können die Produkte der Wissenschaft positive und negative Folgen haben. Wissenschaft beschäftigt sich mit Unbekannten und man weiß zwangsläufig nicht, was am Ende entsteht. Der Wunsch des Menschen, die Natur grundlegend zu verstehen, hat dazu geführt, dass wir die elementaren Bausteine der Materie entdeckt und verstanden haben. Es hat aber auch dazu geführt, dass wir nun wissen, wie man eine gewaltige Atombombe bauen kann. Unser Wunsch wie die Vögel durch die Luft zu fliegen, hat Flugzeuge geschaffen und die Möglichkeit, innerhalb eines Tages jeden Punkt des Planeten zu erreichen. Aber auch Kampfflugzeuge und Bomber. Es wäre bescheuert, die Wissenschaft und ihre Errungenschaften blind zu verklären. Es ist aber noch viel dümmer, ihr komplett ignorant gegenüber zu stehen! Denn nur wenn man Ahnung hat, kann man die Risiken vernünftig einschätzen.
Ok – das soll jetzt hier keine allgemeine Abhandlung über Bedeutung und Gefahr wissenschaftlicher Forschung werden. Es geht um die Zeitschrift GEO (Ausgabe 8/2011) und deren Artikel über “Die neue Heilkunst”. Denn wenn es um die Medizin geht, tritt all das was ich oben über Wissenschaftsfeindlichkeit und Ignoranz geschrieben habe, noch viel deutlicher und schlimmer zu Tage. Man mag darüber streiten, wie Wissenschaft unser Leben am stärksten verändert und positiv beeinflusst hat. Aber welche Kriterien man auch immer anlegt: Die Ergebnisse der modernen, evidenzbasierten Medizin muss auf dieser Liste ganz oben stehen. Die Lebenserwartung der Menschen steigt immer weiter. Wir können heute Krankheiten problemlos heilen, an denen noch vor wenigen Jahrzehnten Menschen gestorben sind. Seuchen wie die Pest oder die Kinderlähmung sind in Europa mehr oder weniger ausgerottet. Wir können heute leicht und problemlos wirksame Medikamente gegen eine Vielzahl an Krankheiten bekommen. Aber trotzdem steht kaum eine wissenschaftliche Disziplin so sehr in der Kritik wie die Medizin. Und nirgendwo sonst findet man so viele Scharlatane, die mit der Angst der Menschen vor Krankheit und Tod Geld machen wollen. Nirgendwo sonst findet man so eine Vielzahl an abergläubischen, esoterischen und pseudowissenschaftlichen Vorstellungen die gleichzeitig auch noch in großen Teilen der Gesellschaft voll anerkannt sind. Und deswegen finde ich einen Artikel wie den in GEO so deprimierend.
Denn der Kampf gegen die Pseudomedizin ist mehr oder weniger schon verloren. Das Märchen der “sanften Alternativmedizin” die dort heilen kann, wo die “sterile Schulmedizin” nicht weiter weiß, ist mittlerweile so fest in der Gesellschaft verankert, dass es sinnlos erscheint, hier etwas ändern zu wollen. Homöopathische “Medikamente” sind in jeder Apotheke zu erhalten, werden von immer mehr Krankenkassen und Ärzten unterstützt und das obwohl es keine Belege für deren Wirksamkeit gibt. Homöopathie wird an Universitäten gelehrt obwohl sie direkt sämtlichen Erkenntnissen und Beobachtungen der modernen Naturwissenschaft widerspricht. Der Markt ist voll von abergläubischen “Therapien”, für deren Wirksamkeit es nicht nur keine Belege gibt, sondern deren Unwirksamkeit immer wieder demonstriert werden konnte.
Ich habe hier im Blog schon oft genug über diese Pseudomedizin geschrieben, darüber wie gefährlich, unsinnig und größenwahnsinnig das Ganze ist. Aber was nützt das alles, wenn die großen und “seriösen” Medien auf den “Alternativ”-Zug aufspringen? Was nützt es, von “evidenzbasierter Medizin” zu schreiben, wenn die meisten Menschen der Meinung sind, es gäbe zwei verschiedene Arten von Medizin, die “Schulmedizin” und die “Alternativmedizin” (dieses Thema hat Anatol nebenan im Sprachlog übrigens sehr lesenswert beschrieben. Wenn nichtmal eine Zeitschrift wie GEO fähig ist zu akzeptieren, dass es nur eine Medizin gibt, die all die Medikamente, Therapien und Behandlungen umfasst, die wirken und stattdessen die Legende der “alternativen Medizin” propagiert, die anscheinend all das können soll, was die Medizin leistet, ohne aber an deren Methodik und Qualitätssicherung gebunden zu sein: dann scheint es kaum mehr möglich zu sein, die Idee der “sanften Alternative” zur bösen chemischen Medizin aus den Köpfen der Menschen zu bekommen.
Ich will den Artikel von GEO gar nicht im Detail auseinander nehmen. Das haben andere schon getan. Ich habe die Arbeitsweise von GEO einmal kennengelernt. Anläßlich des Pi-Tags im Jahr 2009 wurden wir bei unserer Veranstaltung den ganzen Tag von einem GEO-Team aus Reportern und Fotografen begleitet. Alles verlief höchst professionell und ich war enorm beeindruckt, wie viel Mühe sich die GEO-Leute gegeben haben, um einen gut recherchierten, korrekten und beeindruckend bebilderten Artikel zu erstellen (Die Reporterin hatte sogar die ersten 100 Nachkommastellen der Zahl Pi auswendig gelernt und – erfolgreich – die Aufnahmeprüfung für den Verein der Freunde Zahl Pi bestanden). Umso mehr hat es mich überrascht zu sehen, was über “Die neue Heilkunst” geschrieben wurde. Das fängt schon bei der Auswahl der Autorin an. Wenn man einen objektiven Artikel über Homöopathie & Co veröffentlichen will, dann sollte man vielleicht nicht unbedingt eine Journalistin engagieren, die sich selbst als Homöopathie-Gläubige outet. Und wenn man dann einen Artikel bekommt, sollte man spätestens nach so einem ersten Absatz aufmerksam werden:
“Mit zornesrotem Kopf steht Michael Baum, Krebsforscher, am Rednerpult und verteidigt die traditionelle Sicht seiner Zunft. Gerade hat sich im Publikum eine junge Anwältin gemeldet und ein flammendes Plädoyer gehalten – gegen die Ignoranz der Onkologen! Während ihrer Brustkrebsbehandlung sei man nie auf ihre Beschwerden eingegangen. Erst als sie sich einen naturheilkundlichen Therapeuten suchte, sei es ihr viel besser gegangen.” Alles Anekdoten, unwissenschaftliche Einzelbeobachtungen” faucht der Experte …”
Der zornige, fauchende Schulmediziner mit dem vor Wut roten Kopf gegen die arme, junge Anwältin die erst bei der “Alternativmedizin” einen sichere Hafen vor den ignoranten Ärzten fand… ja, wenn es schonmal so los geht, dann braucht man sich nicht wundern, wenn die Objektivität auf der Strecke bleibt. Die Trennung von “Schulmedizin” und “Alternativmedizin” wurde natürlich den ganzen Artikel über durchgezogen. Man muss sich nicht wundern, wenn angesichts solcher Werbung die Menschen immer öfter fordern, dass sich die “Schulmedizin” doch an die “Alternativmedizin” annähern sollte. Wie unsinnig diese Forderung ist, hat übrigens Sebastian Reusch erklärt und beschrieben wie eine andere Revolution in der Wissenschaft aussehen könnte. Es hätte ja noch die Hoffnung bestanden, dass man bei GEO halt einfach auf den tendenziösen Text über “Alternativmedizin” reingefallen ist. Kann ja passieren, jeder macht mal Fehler. Man hätte das in der nächsten Ausgabe richtig stellen können. Es ist nicht schlimm, Fehler zu machen – das ist Teil der Wissenschaft. Aber der Umgang von GEO mit der Kritik lässt diese Möglichkeit leider nicht sonderlich realistisch erscheinen. Nachdem man auf Facebook erst etwas patzig reagierte und konkrete Kritik am Artikel einforderte, schwieg man erstmal lange, nachdem diese konkrete Kritik geliefert wurde. Schließlich folgte doch noch eine relativ nichtssagende Replik und seitdem hat man sich anscheinend dafür entschieden, die Kommentare der Leute zu ignorieren. Das finde ich schade.
Es gibt so viel Mist in dem, was sich “Wissenschaftsjournalismus” nennt. Wenn sich nun auch noch die wenigen seriösen Medien dafür entscheiden, Aberglaube zu propagieren anstatt die Möglichkeit zu nutzen den Menschen zu zeigen, wie enorm faszinierend die reale Welt um uns herum ist, dann kann ich nur wiederholen, was ich zu Anfang gesagt habe: Ich finde das alles enorm deprimierend…
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