Nibiru aka Planet X macht keine Anstalten zu verschwinden. Zumindest nicht aus dem Internet – dass er in der Realität nicht existieren kann, habe ich ja schon früher erklärt und daran hat sich nichts geändert. Trotzdem verschwindet er nicht, in YouTube-Videos und Interneforen wird weiterhin fleißig die schlimme Botschaft verbreitet: Ein bisher unbekannter Planet schwirrt durchs Sonnensystem, auf Kollisionskurs mit der Erde und schon in wenigen Monaten ist alles vorbei. Wenn wir nicht sowieso alle sterben, wird der Planet zumindest gewaltige Katastrophen hervor rufen und Millionen von Menschen müssen sterben. Die Politiker und die NASA wissen Bescheid, vertuschen aber alles gnadenlos. Aber wie üblich gehen sie dabei so stümperhaft vor, dass überall im Internet Beweise zu finden sind.
Tja. Ich bin kein Politiker (obwohl ich mit 17 Jahren man Jugendgemeinderat der Stadt Krems war) und auch nicht bei der NASA (Ehrlich, es gibt auch Astronomen die nichts mit der NASA zu tun haben. So gut wie alle Astronomen haben nichts mit der NASA zu tun…) also muss ich auch nichts vertuschen und kann hier die volle Wahrheit schreiben. Das werde ich morgen tun – da könnt ihr einen ausführlichen Beitrag von mir lesen (Nachtrag: diesen hier), in dem ich ein für alle mal erkläre, wie jeder – ganz ohne astronomisches Studium und ohne sich auf irgendwelche potentiell gefälschten Informationen der NASA zu verlassen – überprüfen kann, ob es Planet X gibt oder nicht (und dabei ganz nebenbei noch jede Menge Himmelsmechanik lernt). Also quasi das “Final Update” zum Thema Nibiru.
Unter diesem Namen – “Nibiru final update” – macht auch gerade ein Dokument bzw. ein Video die Runde, in der der komplette Planet-X-Wahnsinn noch einmal aufgekocht wird. Außerdem ist es ein Paradebeispiel für das, was in den Köpfen der Verschwörungstheoretiker so abläuft und als Einstimmung auf meinen morgigen Artikel möchte ich hier kurz ein wenig dazu sagen (vor allem auch, damit ich mir die Antworten auf die dutzenden Emails spare, die ich zu diesem Text momentan dauernd bekomme).
Das, worum es geht, ist eine pdf-Datei mit dem “Nibiru_Final_Update.pdf” und sie findet sich überall im Netz. Ursprünglich stammt sie wohl von einer klassischen Truther-Website (wakenews.net, ich verlinke jetzt nicht auch noch extra drauf), bei dir sich so ziemlich jedes verschwörungstheoretische Klischee bestätigt, das man so kennt. Die Themenliste könnte man problemlos als Index für ein Buch zum Thema “Verschwörungstheorien des 20. und 21. Jahrhunderts” verwenden, es ist alles da. Also natürlich auch der ganze Unsinn zum nicht stattfindenen Weltuntergang 2012, mitsamt Planet X, Nibiru und Komet Elenin. Die besagte Datei, die anscheinend im deutschen Sprachraum besonders durch ein Video eines gewissen “Conrebbi” (keine Ahnung wer das ist, aber es sieht alles nach einem klassischen Verschwörungstheoretiker aus) populär geworden ist, erscheint anonym und hat ganze 117 Seiten von denen eine fehlerhafter als die nächste ist. Wollte ich jeden einzelnen Fehler korrigieren, jede falsche Aussage richtig stellen, dann müsste ich wohl mindestens ebenso viele Seiten schreiben. Ich beschränke mich daher mal auf die dümmsten und heftigsten Falschaussagen in dieser Datei (Und warum lassen sich eigentlich alle plötzlich so aufscheuchen? Da krieg ich monatelang fast keine Emails mehr zu Planet X – mittlerweile überwiegen bei mir Fragen zu Sonnenstürmen, Polsprüngen und Elenin – und nur weil jetzt irgendwer ohne Namen den ganzen alten Mist in ein pdf packt und ins Internet stellt, werden alle plötzlich nervös?).
Eigentlich könnte man ja schon nach dem ersten Absatz aufhören. Der lautet so:
“You’ll notice here that I hardly make mention of gravity, if at all. That’s because in actuality gravity doesn’t really exist. What is known as gravity is actually magnetism, by which heavenly bodies out in space attract and repel each other and establish complex magnetic relationships. On Earth, much of the so-called gravity is simply atmospheric pressure that gives weight to small (relative to the planet) objects (…)”
Schon im ersten Satz macht der anonyme Autor also deutlich, dass ihm die Realität völlig egal ist und das er außerdem keine Ahnung von Naturwissenschaft hat. Das Gravitation existiert und kein Magnetismus ist, gehört zu den grundlegenden Erkenntnissen der Wissenschaft und wenn das nicht stimmen würde, dann wäre so ziemlich alles andere auch falsch. Das scheint aber nicht der Fall zu sein – denn ansonsten würde sie ja nicht so gut funktionieren und all die tollen Sachen hervorbringen, die unseren Alltag ausmachen: Computer, Fernseher, Autos, Flugzeuge, Handys, etc. Das Planeten NICHT durch magnetische Kräft wechselwirken ist offensichtlich, wenn man auch nur die geringste Anung von Physik hat. Würden die Wissenschaftler das alles falsch verstehen, dann hätte keine Raumsonde je ihr Ziel erreicht, kein Satellit würde die Erde umkreisen und die Signale senden, die man z.B. im Navi empfängt. Satellitenfernsehen gäbe es nicht und auch keine Satellitenbilder im Wetterbericht. Aber gut, wer tatsächlich der Meinung ist, dass die Gravitationskraft durch den Druck der Erdatmosphäre hervorgerufen wird, dem ist nicht mehr zu helfen. Dann müssten ja z.B. die (Extrem)Bergsteiger merken, wie sie immer leichter werden, je höher sie klettern.
Wenn ein Text schon so absurd anfängt, dann braucht man im Folgenden nicht mehr auf große Erkenntnisse hoffen. “Nibiru Final Update” enttäuscht in dieser Hinsicht auch gar nicht. Zuerst werden einmal sämtliche alten Geschichten wiederholt. Natürlich ohne auch nur im geringsten zu probieren, ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen – sowas ist in der Verschwörer-Szene ja nicht üblich. Darum findet man auch gleich auf der zweiten Seite diesen Dauerbrenner des Nibiru-Unsinns:
“Nasa shut down Iras, the infrared telescope that originally detected Nibiru in 1983, but left it to continue orbiting Earth”
Ja, die NASA hat 1983 angeblich Nibiru entdeckt und das entsprechende Weltraumteleskop dann ganz schnell deaktiviert und alles vertuscht. Diese Geschichte macht seit Jahren die Runde und kein einziger der Infokrieger hat sich die Mühe gemacht, sie mal zu überprüfen. Jeder Weltuntergangsprophet hat die “Fakten” die sich überall im Internet finden einfach kopiert, ohne darüber nachzudenken. Tut man das, dann sieht man nämlich schnell, was an der Story wirklich dran ist. Aber zuviel Recherche schadet der eigenen Weltsicht, also lässt man das wohl lieber.
Im pdf folgen jede Menge Daten zu Nibiru, ohne irgendwelche Quellen anzugeben. Dafür wird wieder mal mit Google-Sky rumgespielt und eine Infrarotaufnahme des roten Riesen CW Leonis für Nibiru gehalten (Und dass der Autor die Winkelangabe “Bogensekunde” (“arcsec“) mit der Entfernungseinheit “Parsec” verwechselt und daraus alle möglichen Eigenschaften von Nibiru ableitet: Dazu fehlen mir tatsächlich die Worte).
Als nächstes folgt ein weiterer glorreicher Moment der Recherche und des kritischen Denkens. Der unbekannte Autor stellt fest:
“As for the outer magnetic field, it is now close enough for the left edge of it (from Earth’s POV) to completely overtake Saturn. It reached the planet on about 1 December 2010, causing super-massive storms to rage across its atmosphere and forcing the solar system’s second largest planet to tilt away from normal by almost 90°!”
Das Magnetfeld des unheimlichen Eindringlins soll also den Saturn umgekippt haben. Bilder sollen es beweisen:
Links ist ein Bild des Saturn aus dem Planetariumsprogramm Stellarium. Rechts ist eine echte Aufnahme des Saturn zum gleichen Zeitpunkt die der Autor irgendwo im Internet ausgegraben hat. Sie sind ganz offensichtlich nicht identisch. Es ist wirklich erstaunlich, wie viele Menschen das glaubwürdig finden. Dabei muss man sich nur ein paar ganz grundlegende Gedanken machen um zu sehen, dass hier nichts Außergewöhnliches vor sich geht. Mein erster Gedanke wäre in diesem Fall wohl: “Was? Der Saturn ist gekippt? Warum habe ich davon nichts gehört?” Ein Planet, der einfach so umkippt, ist ein höchst dramatisches Ereignis! Das wären wissenschafliche Schlagzeilen der Sonderklasse, vergleichbar mit der Entdeckung von Leben am Mars. Der mysteriös-umgekippte Saturn wäre Thema in Zeitungen, im Fernsehen und alle astronomischen Internetblogs. Aber abgesehen von Verschwörungstheoretikern, die sich auf genau dieses anonyme pdf beziehen, hab ich keinen Pieps über den umgekippten Saturn gehört. Klar, wird ja auch alles geheim gehalten, meinen vielleicht jetzt viele. Blöd ist halt nur, dass sich am Himmel nichts geheim halten lässt. Der Saturn ist ein beliebtes Beobachtungsobjekt und schon in kleinen Teleskopen wunderbar mitsamt Ring zu sehen. Tausende Amateurastronomen beobachten ihn in jeder klaren Nacht. Und wenn der plötzlich umkippt, dann merken die das! Ich muss als gar nicht erst über die Physik nachdenken, die mir sagt, dass ein Planet mit seinen Ringen nicht einfach als komplette Einheit umkippen kann, um zu wissen, dass hier jemand Unsinn redet. Es ist leicht zu erklären, warum die Bilder unterschiedlich aussehen. Was würdet ihr zum Beispiel sagen. wenn ich behaupte, dass der große Turm mitten in Jena vorhin plötzlich umgekippt ist? Hier, ich hab nen Beweis – da ist alles komplett schief:
Spinn nicht rum!, werdet ihr zu Recht sagen. Es ist klar, dass ich einfach nur die Kamera schief gehalten habe. Bei terrestrischen Bilder ist die Perspektive leicht einzuordnen. Am Himmel ist es schwerer – wenn man nicht zufällig gerade die Sternbilder im Hintergrund erkennt, dann lässt sich schwer sagen, wie ein Bild orientiert ist ohne zu wissen, wie die Kamera jetzt gerade ausgerichtet war. Den Astronomen ist es ziemlich egal, ob ihre Kamera jetzt “schief” oder “gerade” auf den Himmel zeigt. Die Sterne sehen immer aus wie Sterne. Der anonyme Autor scheint außerdem nicht zu wissen, wie ein Teleskop funktioniert. Wer schon mal durch eines durch gesehen hat, weiß: Das Bild, das man sieht, steht auf dem Kopf! Das liegt an der Optik und stört die Astronomen ebenfalls wenig. Ob man den Saturn nun richtig rum oder auf dem Kopf stehend sieht, spielt für sie keine Rolle. Sie wissen, dass man nicht in Panik verfallen muss, wenn das Bild im Teleskop nicht so aussieht, wie das bei Stellarium…
Nun ja. Die pdf-Datei ist voll mit weiteren wissenschaftlichen Glanzleistungen bei denen man sich wahlweise amüsieren oder fremdschämen kann. Aus den vielen Fantasiezahlen im Artikel berechnet der Autor die Dichte des Planeten Nibiru:
“Nibiru’s composition: the element with a density closest to 1.965 g/cm3 is Cesium. Cesium is highly radioactive and extremely electropositive (meaning it exudes electricity). Perhaps this explains the high levels of radioactivity and undoubtedly electricity that was detected within the magnetic core containing the solid sphere (the planet itself) of Nibiru. Cesium is also silvery-gold in colour. This could explain why some believe it is made of gold and also why the Vatican commissioned a silvery-gold sculpture to be made in Nibiru’s image.”
Die Dichte von Nibiru beträgt also 1.965 g/cm³. Und da die Dichte von Caesium ebenfalls etwa 1.9 g/cm³ folgert der Autor messerscharf, dass Nibiru aus Caesium bestehen muss. Das ist zwar nicht “highly radioactive” wie behauptet wird. Nur die Isotope des Caesium sind radioaktiv, sie kommen aber in der Natur nicht vor sondern werden nur in Kernkraftwerken erzeugt. Aber ein radioaktiver Planet auf Kollisionskurs mit der Erde! Das ist zu schön um es sich durch die schnöde Realität verderben zu lassen… Die Erde hat übrigens eine mittlere Dichte von 5.5 g/cm³. Genau wie Radium, das im Gegensatz zu Caesium tatsächlich radioaktiv ist. Ganz offensichtlich ist die Erde also eine radioaktive Radiumkugel!
Hier ist übrigens auch die “silbrig-goldene Skulptur” von Nibiru, die der Vatikan (hätte mich gewundert, wenn der nicht auch mit dabei gewesen wäre) angeblich in Auftrag geben hat lassen:
Sieht jetzt aus meiner Sicht nicht so unbedingt nach Planet aus – aber aus verschwörungstheoretischer Sicht ist er rund, und das reicht völlig! (dazu später mehr) – und es ist auch keiner. Es ist das Kunstwerk “Sfera con Sfera” des Italieners Arnaldo Pomodoro das er 1990 gemacht hat. Neben jeder Menge anderer Kugelkunstwerke die anscheinend sowas wie sein Markenzeichen sind und überall auf der Welt rumstehen.
Danach erklärt der Autor was denn so alles passieren wird, wenn Nibiru und Elenin der Erde nahe kommen. Sein Einfluss ist schon zu spüren: Vogelsterben, Erdbeben in Japan, Sonnenstürme, etc – all das verdanken wir dem magnetischen Einfluss der bösen Himmelskörper. Und natürlich wird alles in Zukunft viel schlimmer werden. Naja- in diesem Tonfall geht es weiter, bis dann am 27. September Nibiru genau zwischen Erde und Sonne stehen und eine Sonnenfinsternis verursachen soll:
“27 September 2012: Nibiru comes directly between the Sun and Earth. Unlike Elenin a year earlier, it sits right on the ecliptic and will therefore cause a great solar eclipse.”
Dann kippt die Erde um, es gibt Katastrophen, wir werden alle sterben, etc und so weiter. Die letzten paar dutzend Seiten des Dokuments bestehen dann aus wahllos zusammenkopierten Bilder, die – jedes aus ihrem Zusammenhang gerissen – vermutlich belegen sollen, dass die “Eingeweihten” immer schon über Nibiru Bescheid wussten. Man findet hier eine wilde Auswahl, alles was halbwegs rund ist, wird sofort als Nibiru identifiziert. Hier, das hier zum Beispiel – könnt ihr Nibiru sehen?
Mit ein paar Zitaten aus der biblischen Offenbarung und der “Kolbrin-Bibel” endet das Dokument (Die “Kolbrin-Bibel” soll angeblich eine echte Sammlung antiker Texte sein, existiert aber nur in den Bücher von Marshall Masters und Janice Manning, zwei Autoren einschlägiger 2012-Panikbücher).
Alles in allem gab es in diesem “Nibiru final update”-pdf wenig Neues. Nur der gleiche alte Unsinn auf typische Art der Verschwörungstheoretiker und Infokrieger präsentiert. Alles wurde wild durcheinander geworfen, Informationen aus allen Ecken des Internet wurden ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Fakten zusammengewürfelt. Alles kann als Beleg für alles andere dienen, solange es die äußere Form wahrt und auf den ersten Blick nicht allzu unglaubwürdig aussieht. Nachgeprüft werden die Informationen sowieso nicht. Selbst denken ist in der Szene anscheinend verpönt, man begnügt sich damit, das nachzuplappern was man irgendwo anders gehört hat und irgendwelche unzusammenhängenden Informationen gewaltsam zusammen zu bringen um Pseudofakten zu schaffen mit denen dann alles und nichts bewiesen werden kann. “Nibiru final update.pdf” ist ein Paradebeispiel dafür, wie selbständiges Denken NICHT funktioniert. Es zeigt vielmehr eindrucksvoll, wie man – genügend Ignoranz und Unkenntnis der Naturwissenschaften vorausgesetzt – sein vorgefertigtes Weltbild durch Pseudofakten “bestätigen” kann: man muss nur bereit sein, überall dort Verbindungen zu sehen, wo keine sind und nicht zu lange über irgendwas nachdenken. Wie es richtig geht, möchte ich dann morgen demonstrieren. Da kann sich jeder selbst überzeugen, dass dort draussen kein Nibiru und kein Planet X existiert (Nachtrag: Dieser Artikel ist hier zu finden).
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