Wenn ihr krank seid, was macht ihr dann? Sucht ihr euch eine Person, die ein Studium der Medizin absolviert hat oder jemanden, der sich dazu entschieden hat, dass es zwar nett wäre, Menschen zu heilen aber keine Lust auf ein langes Studium hatte? Geht ihr zu einem Arzt oder einem Heilpraktiker? Meinen Leserinnen und Lesern in Österreich stellt sich diese Frage nicht. Dort ist der Beruf des Heilpraktikers verboten, nur Ärzte dürfen Medizin betreiben. In Deutschland allerdings kann man auch ohne Medizinstudium die Heilkunst ausüben. Um “Heilpraktiker” zu werden, braucht es nicht viel:
“Voraussetzung für die Zulassung ist ein Mindestalter von 25 Jahren, die körperliche und geistige Eignung für den Beruf (ärztliches Attest und polizeiliches Führungszeugnis) sowie ein Hauptschulabschluss und die Genehmigung durch das zuständige Gesundheitsamt. Die Zulassung wird durch eine schriftliche und mündliche Überprüfung erworben, die sicherstellen soll, dass von dem Kandidaten keine unmittelbare Gefahr für die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung ausgeht. (…) Die Ausbildung ist nicht gesetzlich geregelt; sie dauert in privaten Schulen etwa zwei bis drei Jahre. Es besteht allerdings keinerlei gesetzliche Verpflichtung, eine organisierte Ausbildung zu absolvieren.”
Man sollte nun eigentlich meinen, dass für einen Heilpraktiker die selbe Berufsordnung gilt, wie für echte Ärzte. Immerhin sind beide für die Gesundheit ihrer Patienten verantwortlich. Dem ist aber nicht so. Ein Heilpraktiker ist im Gegensatz zu Medizinern nicht verpflichtet, seine Arbeit zu dokumentieren. Dieser Zustand ist absolut unverständlich und untragbar. Um ihn zu ändern, hat Ute Gerhardt die Online-Petition „Dokumentationspflicht auch für Heilpraktiker” gestartet, die noch bis 17. November unterzeichnet werden kann. Ich habe Ute gebeten, ihre Motivation für diese Petition in einem Gastbeitrag zu erklären. Hier ist er. Lest ihn, und wenn ihr danach genauso überzeugt seid, dass sich hier etwas ändern muss, wie ich, dann unterschreibt die Petition!
Was haben Anlagenberater, Pflegepersonal, Restaurantbesitzer und Ärzte gemeinsam? Richtig: Sie müssen ihr Tun dokumentieren.
Das ist nachvollziehbar, denn wer Verantwortung für andere Menschen trägt, haftet für die Qualität seiner Arbeit und ist verpflichtet, diese im Zweifelsfall nachträglich lückenlos zu belegen. Siehe z.B. das Wertpapierhandelsgesetz oder die entsprechende Verordnung für Versicherungsvertreter. Bei Ärzten ist es deren Berufsordnung. Pfleger in Krankenhäusern, Altenheimen, der ambulanten Pflege etc. müssen die Dokumentationspflicht laut Krankenpflegegesetz bzw. “Gesetz über die Berufe in der Altenpflege” beachten. Kantinen und Restaurants unterliegen der “Verordnung mit lebensmittelrechtlichen Vorschriften zur Überwachung von Zoonosen und Zoonoseerregern”. Sie müssen z.B. ab einer bestimmten Portionsanzahl sogenannte Rückstellproben ihrer Speisen aufbewahren und ggf. zur Analyse vorlegen können, falls der Verdacht besteht, die Speise könnte eine Erkrankung ausgelöst haben.
Umso seltsamer ist es, dass eine seit 20 Jahren wachsende Berufsgruppe, die unmittelbaren und oft gravierenden Einfluß auf die Gesundheit ihrer Kunden hat, keinerlei gesetzlich verankerter Dokumentationspflicht unterliegt:
“Die Heilpraktikerschaft besitzt seit 1945 kein rechtlich verbindliches Standesrecht mehr. Im Jahre 1992 wurde die ursprünglich verbindliche Berufsordnung mit entsprechenden Änderungen von den sechs großen Heilpraktikerverbänden als Satzungsrecht mit verbandsinternem Geltungswillen für die Mitglieder beschlossen. Da jedoch die BOH nicht einheitlich für alle Heilpraktiker gilt, besitzt sie auch keine rechtliche Bindungswirkung.”(Quelle: https://www.paracelsus.de/recht/hp_boh.html)
Das bedeutet in der Praxis nichts weniger als daß eine Dokumentation für Heilpraktiker zwar von den Verbänden empfohlen wird, tatsächlich allerdings vollkommen freiwillig ist. Sie ist ein Passus in der Satzung einiger Vereine – mehr nicht. Der Heilpraktiker kann die Dokumentation komplett unterlassen, verkürzen, fälschen oder im Fall eines Falles nachträglich vernichten. Er kann somit im Gegensatz zu einem Arzt, Pfleger oder auch nur einem Finanzberater beliebig herumpfuschen und anschließend die Beweislast im Handumdrehen auf den geschädigten Patienten abwälzen.
Nun mag manch einer der Ansicht sein, ein Heilpraktiker sei im Grunde nichts anderes als ein Mensch, der sich mit Omas harmlosen Hausmittelchen den Lebensunterhalt verdient und damit keinen Schaden anrichten kann. Das wäre allerdings ein fataler Irrtum.
Heilpraktiker sind unter anderem dazu berechtigt, Psychotherapien anzubieten, intramuskuläre Spritzen zu geben, kleinere Operationen durchzuführen (z. B. Abszesse öffnen) oder gar Infusionen zu verabreichen und diese auch selbst herzustellen – ohne sie ausdrücklich genehmigen zu lassen oder Rückstellproben hinterlegen zu müssen. Eine schriftliche Anmeldung mit Rezeptur beim Gesundheitsamt gilt als ausreichend. Sollte also einmal etwas schiefgehen, weil z.B. die Rezeptur letzten Endes doch nicht eingehalten wurde, ist keine Probe zur Überprüfung vorhanden. Wenn der Heilpraktiker zudem jeglichen Hinweis auf das verabreichte Mittel aus seiner Patientenakte tilgt oder es darin gar nicht erst erwähnt, kann er für die fehlerhafte Dokumentation und für den Behandlungsfehler nur mit Mühe belangt werden. Und im Gegensatz zum Arzt nicht straf-, sondern nur zivilrechtlich.
Ähnliches gilt für Fälle, in denen Heilpraktiker ihren Patienten falsch beraten. Wenn sie ihnen z.B. von Impfungen abraten oder ihnen ans Herz legen, die vom Arzt verschriebene Arznei abzusetzen. Des weiteren sind die Fälle problematisch, in denen der Heilpraktiker seinen Patienten eigentlich zum Arzt überweisen müßten, weil er eine Erkrankung hat, die ein Heilpraktiker überhaupt nicht behandeln darf und/oder kann. Hier kommt es durchaus vor, daß sogar öffentlich ein Unterdrücken jeglichen Hinweises auf diese Erkrankung in der Akte empfohlen wird, um sich vor eventuellen Regressansprüchen zu schützen, wie man zum Beispiel in diesem Forum nachlesen kann (archivierter Link).
Was passiert eigentlich, wenn der Patient durch den Heilpraktiker geschädigt wird und sich beschwert? Dr. Jan Leidel, von 1985 bis 2009 Leiter des Gesundheitsamtes Köln beschrieb einen häufig beobachteten Ablauf folgendermaßen:
„Wir haben oftmals das Problem, dass Heilpraktiker die Behauptung ihrer Patienten abstreiten und das als Missverständnis herausstellen. Der Patient hat das nicht richtig verstanden, das stimmt gar nicht. Und dann wird es für uns schwierig, weil man natürlich auch hier im Zweifel für den Angeklagten entscheiden muss.”(Quelle: https://www.rbb-online.de/kontraste/ueber_den_tag_hinaus/gesundheit/gefaehrliche_heilpraktiker.html)
Selbst die Heilpraktikerverbände räumen ein, daß ihnen die Hände gebunden sind:
“Klaus Wischmann, Fachverband der Heilpraktiker Bremen: ‘Wir haben faktisch keine Möglichkeit, Kollegen, die ihre Grenzen überschreiten, aus diesem Beruf zu entfernen. Die Mitgliedschaft in unseren Verbänden ist freiwillig, die Verbände haben die Form eines eingetragenen Vereines, und wenn natürlich wir in dieser Form auf unsere Mitglieder einwirken, das tun wir selbstverständlich, dann endet das häufig damit, dass diese Kollegen einfach aus unserem Verband austreten und unsere Zugriffsmöglichkeiten sind damit beendet.'”(Quelle: https://www.rbb-online.de/kontraste/ueber_den_tag_hinaus/gesundheit/gefaehrliche_heilpraktiker.html)
Wird jedoch ein Arzt wg. Fehlverhaltens aus seiner Landesärztekammer geworfen, kann er automatisch auch nicht mehr praktizieren und die Patienten sind somit vor ihm geschützt. Denn die Ärztekammern sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Ihre Statuten haben somit automatisch Gesetzescharakter. Selbst die bereits erwähnten Pfleger und Finanzberater unterliegen strikteren gesetzlichen Regelungen als ein Heilpraktiker.
Angesichts dieser Sachlage ist ein Verzicht auf die Dokumentationspflicht bei Heilpraktikern in doppelter Hinsicht unverhältnismäßig: Zum einen im Vergleich zur Dokumentationspflicht der oben genannten vergleichbaren Berufsgruppen und der Finanz- und Versicherungsberater. Vor allem aber im Hinblick auf die Rechte der betroffenen Patienten. Hier setzt nun die Online-Petition „Dokumentationspflicht auch für Heilpraktiker” an, die noch bis zum 17. November mitgezeichnet werden kann – im Interesse der betroffenen Patienten, denen zur gesundheitlichen Schädigung und den damit verbundenen Kosten nicht auch noch die Beweislast aufgebürdet werden darf.
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