In Jena gibt es Nazis. Drei davon sind momentan über all in den Medien. In Jena gibt es Nazis. In Ostdeutschland gibt es Nazis. In Westdeutschland gibt es Nazis. Leider findet man diese Idioten auf der ganzen Welt. Rechtsextremismus ist ein reales Problem. Trotzdem ist es absurd so zu tun, als wäre Jena eine Nazi-Hochburg, in die man sich nur unter Gefahr für Leib und Leben trauen kann. Genau diesen Eindruck erweckt aber eine Reportage des ZDF.
Die Kameras folgen dem Münchner Buchautor Steven Uhly, der sich in den wilden Osten wagt und nach seinem Besuch in Jena demonstrativ erleichert wieder in das “sichere” München zurück fährt. Der ganze Beitrag erweckt den Eindruck, als Ausländer, Linker, oder sonstwie Auffälliger sollte man sich besser aus Jena fernhalten, wenn man nicht Gefahr laufen will, von Nazis verprügelt zu werden.
Wie gesagt. In Jena gibt es Nazis. So wie auch in allen anderen deutschen Städten (sogar in München soll schon mal der eine oder andere Rechtsradikale gesehen worden sein). Und diese Nazis machen genau die gleichen Probleme wie im Rest der Welt auch. Jetzt aber den Eindruck zu erwecken, als wäre Jena die Nazihochburg, der man sich aus dem sicheren Westen nur mit Unbehagen nähern darf, ist vollkommen absurd. Ich (weder “Wessi” noch “Ossi”) lebe seit bald 7 Jahren in Jena. Die Aktivitäten der Rechtsradikalen hier unterscheiden sich nicht wesentlich von denen anderswo in Deutschland (oder Österreich). Jena ist eine Universitätsstadt mit knapp über 100000 Einwohnern von denen etwa ein Viertel Studenten sind. Immer mehr davon kommen von außerhalb Thüringens, von außerhalb Ostdeutschlands. Und ich vermute mal, dass sie nicht deswegen kommen, weil hier ständig die Nazis durch die Straßen marschieren. Jena ist eine normale deutsche Stadt, und man braucht keine Angst haben, hier zu wohnen oder zu Besuch zu kommen. Zumindest nicht mehr Angst, als man im Rest von Deutschland zu haben braucht. Nazis gibt es leider überall. Im Ergebnis der letzten Stadtratswahl in Jena taucht die NPD übrigens nicht mal auf. Bei der Bundestagswahl 2009 bekam die NPD in Jena 1,9% und lag damit nur wenig über dem Gesamtergebnis von 1,5%).
Ich habe keine Ahnung, warum das ZDF es für eine gute Idee gehalten hat, wieder einmal die alten Klischees von “Ossi” vs. “Wessi” zu bedienen (den Kram hab ich als Ausländer sowieso nie verstanden, jetzt ist das schon 20 Jahre her, da könnte man das ja langsam mal bleiben lassen), Vorurteile zu verbreiten und den Leuten Angst einzujagen. Das geht auch anderen so. Tommi Uhlemann hat einen offenen Brief an das ZDF geschrieben (lest ihn!), ScienceBlogs-Kollegin Anke (die so wie ich auch in Jena wohnt), fand den ZDF-Beitrag genauso absurd und bei Jenapolis kann man sogar eine Petition unterschreiben. Wie ein gut recherchierter Beitrag zum Thema Rechtsextremismus in Jena aussehen kann, zeigt übrigens die ZEIT.
Ihr könnt euch übrigens gerne mal selbst davon überzeugen, dass man in Jena nicht mehr Angst haben muss als anderswo. Am Freitag (25. Nov. 2011) findet hier die Lange Nacht der Wissenschaft statt. Ich habe schon das letzte Mal darüber berichtet und werde das auch diesmal wieder tun. Das Programm ist vielfältig und zahlreich – und ich freue mich besonders auf die Eröffnungsshow mit Ralph Caspers. Kommt nach Jena! Es lohnt sich.
Und um es noch einmal klar zustellen. Mir ist völlig klar, dass ich persönlich weniger Gefahr laufe, von Nazis belästigt zu werden als Menschen die z.B. eine andere Hautfarbe haben. Ich habe allerdings auch nirgends im Artikel behauptet, dass in Jena alles in Ordnung ist, nur weil mir nichts passiert ist. Ich habe gesagt, dass es in Jena ebenso Nazis gibt wie anderswo und das man hier ebenso Probleme kriegen wie anderswo. Daraus folgt aber nicht, dass Jena eine Nazi-Hochburg wäre. Ich habe außerdem nicht allgemein von Ostdeutschland gesprochen. Sondern von Jena. Das es Gegenden gibt, in denen es wesentlich mehr Nazis existieren als anderswo (und diese Gegenden tendentiell eher in Ostdeutschland liegen), habe ich nicht bestritten. Der Artikel ist auch nicht dazu gedacht gewesen, das Problem des Rechtsextremismus zu verharmlosen oder zu ignorieren. Ich habe mich nur über einen vorurteilsbehafteten und tendenziösen ZDF-Bericht aufgeregt, in dem der Eindruck erweckt wird, Jena wäre eine besonders gefährliche Nazi-Stadt. Das ist falsch. In Jena wird von Bürgern und Politikern wie in kaum einer anderen Stadt gegen Rechtsextremismus vorgegangen, der Oberbürgermeister wurde erst vor wenigen Tagen für sein Engagement gegen Rechtsextremismus ausgezeichnet.
Nachtrag (24.11.2011): Es gibt eine Stellungnahme der für den Beitrag verantwortlichen Redaktion. Darin sagt man im wesentlichen, dass im Osten mehr rechtsextrem motivierte Übergriffe und Nazis existieren (was stimmt) und es deswegen legitim ist, Jena so darzustellen, wie man es getan hat (was nicht stimmt). Hier könnt ihr die Stellungnahme lesen, zusammen mit einer guten Antwort darauf (und einer Demonstration, warum man sich am besten lieber nicht in die “Westdeutsche Drogenzone” wagen soll). Die Leipziger Internetzeitung berichtet ebenfalls ausführlich. Und Anke fasst in ihrem Blog ebenfalls die Reaktionen zusammen.
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