Ich habe an der Universität Wien Astronomie studiert. Das ist in Österreich ein eigenständiges Studium; im Gegensatz zu Deutschland, wo man Physik inskribieren und sich später auf Astrophysik spezialisieren muss. In Wien habe ich am Institut für Astronomie der Uni Wien gearbeitet. In Jena dann am Astrophysikalischen Institut. Ich bin Mitglied in der Österreichischen Gesellschaft für Astronomie und Astrophysik (ÖGA²), aber nicht im deutschen Pendant, der Astronomischen Gesellschaft (AG). Ich habe wissenschaftliche Arbeiten in den Zeitschriften “Astronomy and Astrophysics” und “Monthly Notices of the Royal Astronomical Society” veröffentlicht. Diese Artikel kann man beim “Astrophysics Data System (ADS) der NASA abrufen.
“Astronomie” und “Astrophysik” bezeichnen beide die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Himmelsobjekten im Universum. Aber was ist eigentlich genau der Unterschied?
Wenn ich nach meiner Ausbildung gefragt werden, dann antworte ich immer mit “Ich bin Astronom”. Viele meiner Kollegen und Bekannten bezeichnen sich selbst aber als “Astrophysiker”, und das, obwohl sie im wesentlichen die gleiche Wissenschaft betreiben wie ich. Im Gegensatz zu Paarungen wie “Astronomie/Astrologie” oder “Geophysik/Biophysik” ist bei “Astronomie/Astrophysik” völlig unklar, worin der Unterschied zwischen den beiden Begriffen besteht. Nicht einmal die Astronomen bzw. Astrophysiker selbst scheinen eine konkrete Trennung durchzuführen. Gibt es überhaupt einen Unterschied? Dazu später mehr, zuerst möchte ich von einer Umfrage berichten, die Maria Drout, Diplomandin an der Cambridge Universität (angewandte Mathematik und theoretische Physik) erstellt hat. Darin geht es um die öffentliche Wahrnehmung von Astronomie. Noch sind die Daten nicht komplett ausgewertet, bei astrobites hat Maria aber schon eine kleine Vorschau veröffentlicht, die sich speziell mit der Frage “Astronomie vs. Astrophysik” beschäftigt.
An der Umfrage haben 1630 Menschen teilgenommen, 17% davon waren Astronomen/Astrophysiker und 33% mit einem Astronom/Astrophysiker befreundet. Alle Teilnehmer wurden gefragt, ob es ihrer Meinung nach einen Unterschied zwischen Astronomie und Astrophysik gibt. So sehen die Ergebnisse aus, aufgeschlüsselt nach der Nähe zur Astronomie/Astrophysik und dem Art der Ausbildung (anklicken, dann wird das Diagramm größer):
Als erstes fällt auf: Die Mehrheit der befragten sieht tatsächlich einen Unterschied zwischen Astronomie und Astrophysik. Allerdings sind es überwiegend Astronomen/Astrophysiker, die keinen Unterschied zwischen beiden Begriffen sehen. Besonders beim rechten Bild sieht man gut, dass die Leute, die Astronomie/Astrophysik studieren, am stärksten gespalten sind (Bei den Astro-Doktoranden waren es z.B. 46% die “strongly agree/agree” angegeben haben und 48% haben “strongly disagree/disagree” gewählt).
Interessant auch die Frage, wie “hart” die Befragten Astronomie bzw. Astrophysik als Wissenschaft einschätzen. Für “hard science” bzw. “soft science” gibt es im deutschen keine wirklich gute Übersetzung. Aber eine Wissenschaft ist umso “härter”, je “wissenschaftlicher” sie wahrgenommen wird, je akkurater ihre Fähigkeiten sind, Vorhersagen zu machen, je exakter und objektiver sie ihr Forschungsgebiet beschreiben kann. Physik ist zum Beispiel “härter” als “Soziologie” die wiederum “härter” ist als die Philosophie (und um etwaigen Diskussionen gleich zuvor zu kommen: Hier geht es nicht darum, die Qualität der Forschungsarbeit zu beschreiben). Wie auch immer – so haben die Leute geantwortet:
Es gibt hier kaum Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppe: ALLE haben sowohl Astronomie als auch Astrophysik überwiegend als “harte” Wissenschaft eingeschätzt. Interessanterweise aber wird die Astrophysik von mehr Menschen als “hart” angesehen als die Astronomie.
Im letzten Punkt wurde gefragt, ob eine bestimmte Firma/Organisation eher einen Astronom oder einen Astrophysiker einstellen würde oder ob es egal ist:
Diese Ergebnisse haben mich doch ein wenig überrascht. Viele Leute (meistens die Mehrheit), war der Meinung, dass es für Schulen, Finanzfirmen oder die NASA keinen Unterschied machen sollte, ob man einen Astronom oder Astrophysiker einstellt. Besonders die Astronomen/Astrophysiker selbst denken, dass es hier keinen Unterschied macht. Bei den Leuten ohne astronomischen Hintergrund aber sieht das anders aus (und das sind dann wohl auch meistens diejenigen, die darüber entscheiden, wer eingestellt wird oder nicht). 30 % davon meinen, dass Astrophysiker besser als Lehrer geeignet sind als Astronomen, 39% halten Astrophysiker in der Finanzbranche für qualifizierter und 47% denken, dass Astrophysiker bei der NASA brauchbarer sind als Astronomen (nur jeweils 8%, 3% und 5% halten Astronomen für besser qualifiziert).
Diese Daten sind alle sehr interessant (und ich bin schon sehr gespannt auf die fertige Auswertung, bei der auch die anderen Fragen inkludiert sind). Aber über den Unterschied zwischen Astronomie und Astrophysik haben wir dadurch auch nicht wirklich etwas gelernt, auch wenn nun klar ist, dass der Rest der Welt offensichtlich genauso verwirrt ist.
Ich kann leider auch keine wissenschaftlich brauchbare Analyse zur Unterscheidung von Astronomie und Astrophysik bieten (aber das ist etwas, dass auf meiner Langzeit-To-Do-Liste steht). Vorerst kann ich euch nur meine persönliche Meinung und Erfahrung anbieten. Nach allem was ich bisher gesehen und erlebt habe, bin ich eigentlich davon überzeugt, dass “Astronomie” und “Astrophysik” nicht mehr wirklich dazu verwendet werden, um unterschiedliche Dinge zu bezeichnen. Ob sich eine Wissenschaftlerin als “Astronomin” oder “Astrophysikerin” bezeichnet oder eine Forschungseinrichtung als “Astronomisches Institut” oder “Astrophysikalisches Institut” ist mehr oder weniger beliebig. Mir wäre kein Fall bekannt, wo die Bezeichnung tatsächlich einen konkreten Unterschied in der Ausrichtung der Forschung bezeichnet. Kein Institut würde sagen “Bei uns gibt es nur die Fachrichtungen X, Y und Z und kein A, B oder C, denn wir sind ein astronomisches Institut und kein astrophysikalisches”. Kein Wissenschaftler würde sagen “Frag einen Astronom, ich bin Astrophysiker und kenn mich damit nicht aus”.
Das bedeutet aber nicht, dass es früher keine derartigen Unterschiede gegeben hat. Früher gab es tatsächlich erstmal nur die Astronomie. Das Wort “Astrophysik” ist erst im 19. Jahrhundert aufgekommen, als sich die Astronomie durch die Entwicklung der Spektroskopie und der Astrofotografie komplett gewandelt hatte. Vorher konnte man im Prinzip nur Position, Bewegung und Helligkeit der Sterne aufzeichnen. Dank der neuen Techniken war es aber nun auch möglich, die Zusammensetzung der Sterne zu erforschen, die Mechanismen, die in ihnen ablaufen, man konnte eine Physik der Sterne betreiben. Diese neuen Forschungsgebiete wurden daher als “Astrophysik” bezeichnet. Wie genau dieser Prozess abgelaufen ist, wer daran beteiligt war und was dazu geführt hat, dass diese Unterscheidung heute im Wesentlichen nicht mehr existiert, ist eine andere Frage auf die ich momentan keine Antwort habe (ich habe mal darüber was in einem Buch gelesen und sobald ich mich erinnert habe, welches Buch das war, sage ich Bescheid 😉 ). Bis es soweit ist, freue ich mich über sachdienliche Hinweise. Vielleicht gibt es wissenschaftshistorische Arbeiten zu diesem Thema die meiner Recherche entgangen sind? Oder vielleicht haben sich Sprachwissenschaftler (Anatol?) sich der Sache schon einmal angenommen? Ich jedenfalls werde mich weiterhin als “Astronom” bezeichnen!
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