Es war einmal vor langer, langer Zeit, da gab es noch keine Planeten. Keine Erde, keinen Mars, keinen Saturn, keinen Jupiter – vor 4,5 Milliarden Jahren gab es nichts. Nur eine junge Sonne und eine große Scheibe aus Gas und Staub, die sie umgab. Der Staub tat das, was Staub eben so tut: Er klumpte zu immer größeren Flusen und schließlich Brocken zusammen. Am Ende umkreisten unzählige größere und kleine Felsbrocken die Sonne. Man nennt sie Planetesimale und aus ihnen entstanden schließlich die Planeten. Die Planetesimale kollidierten miteinandern, bildeten immer größere Objekte, solange, bis schließlich nur noch ein paar große Planeten übrig waren (anfangs wahrscheinlich sogar mehr Planeten als heute noch übrig sind). Ein paar Bausteine allerdings wurden nicht benutzt. Man kann sie heute immer noch die Sonne umkreisen sehen. Einer davon wurde kürzlich mit einer Sonde besucht. Dabei fand man heraus, dass er genau aus dem Material besteht, aus dem damals die Erde entstand.
Das, was früher die Planetesimale waren, nennen die Astronomen heute “Asteroiden” oder “Kometen”. Ganz weit draußen im Sonnensystem gibt es noch jede Menge von ihnen; dort hat sich nie ein Planet gebildet. Aber auch näher an der Sonne findet man noch viele Asteroiden. Als Jupiter, der größte Planet des Sonnensystems, entstand, hat seine Gravitationskraft dafür gesorgt, dass in seiner Nähe kein weiterer Planet entstehen konnte. Er verhinderte, dass sich die Planetesimale zu einem größeren Objekt zusammenballen konnte. Stattdessen wurden die kleinen Felsbrocken durch die Kraft des Jupiter aus dem System geschleudert oder auf Bahnen gezwungen, die zur Kollision mit anderen Planeten führten. Das, was vom ursprünglichen Reservoir an Planetenbausteinen noch übrig ist, nennen die Astronomen heute den “Asteroidengürtel” (genauer sollte es eigentlich der “Hauptgürtel” oder “Hauptgürtel der Asteroiden” heißen). Er befindet sich zwischen den Bahnen von Jupiter und Mars. Auch heute noch führen die gravitativen Störungen des Jupiter immer wieder dazu, dass Asteroiden aus ihrer Bahn geworfen werden, den Hauptgürtel verlassen und zu erdnahen Asteroiden werden. Sie bewohnen dann den Bereich zwischen den Bahnen des Mars und der Venus. Allerdings nicht für lange – erdnahe Asteroiden überleben nur einige zehn- bis hunderttausend Jahre bevor sie mit einem Planeten oder Sonne kollidieren oder ganz aus dem System fliegen. Im inneren Sonnensystem ist kein Platz mehr für weitere Asteroiden und falls von den Planetesimalen, aus denen Erde, Venus und Merkur vor langer Zeit entstanden sind, noch welche übrig waren, sind sie heute verschwunden.
Manchmal haben die Astronomen aber auch Glück. Im Jahr 2004 wurde die Raumsonde Rosetta gestartet. Ihr Ziel ist der Komet 67P/Tschurjumow-Gerasimenko, den sie erst im Jahr 2014 erreichen wird. Auf ihrem Weg durchquert sie auch den Hauptgürtel und obwohl dort viel Platz ist und die Chancen, einem Asteroiden zu begegnen nur gering sind, haben es die Wissenschaftler doch geschafft, eine Bahn zu wählen, bei der Rosetta ein paar von ihnen aus der Nähe ansehen kann. 2008 hat sie den Asteroid Šteins besichtigt und 2010 flog sie in nur 3200 Kilometer Entfernung am Asteroid Lutetia vorbei. Dabei machte sie wunderbare Aufnahmen und Messungen dank derer Wissenschaftler nun herausgefunden haben, dass Lutetia nur ein Immigrant im Asteroidengürtel ist. Ursprünglich stammt der Asteroid aus dem inneren Sonnensystem. Er ist einer der Bausteine, aus dem die Erde vor 4,5 Milliarden Jahre entstanden ist.
Um das herauszufinden, haben Astronomen der Europäischen Südsternwarte (ESO) gemeinsam mit Kollegen aus Frankreich, Kanada und den USA das Spektrum von Lutetia untersucht. Das bedeutet, dass man nachgesehen hat, wie viel Sonnenlicht eines bestimmten Wellenlängenbereichs von der Oberfläche des Felsbrockens reflektiert wird. Je nach der Zusammensetzung des Objekts sieht das Spektrum anders aus. Man kann es also mit den Spektren vergleichen, die auf der Erde gefundene Meteorite liefern und nachsehen, wo es Übereinstimmungen gibt. Das sieht zum Beispiel so aus:
In schwarz sieht man die Messwerte, die man für das Spektrum von Lutetia gewonnen hat. Rot und Blau sind Spektren von Meteoriten die man im Labor gewonnen hat. In diesem Fall handelt es sich um zwei verschiedene Arten von Kohligen Chondriten, der Ornans Gruppe (CO) und der Vigarana Gruppe (CV). Die Übereinstimmung ist nicht sonderlich gut. Ganz anders sieht es hier aus:
Hier wurde das Spektrum von Lutetia mit dem eines Enstatit-Chondriten verglichen. Diese Meteoriten sind selten. Anders als bei den kohligen Chondriten enthalten sie Eisen hauptsächlich in chemisch reduzierter Form (das heißt, die Eisenatome haben Elektronen anderer Atome aufgenommen). Das Eisen ist also nicht wie üblich oxidiert, die Enstatit-Chondrite müssen also aus einer Umgebung stammen, in der es weniger Sauerstoff gab als dort, wo die kohligen Chondrite entstanden. Das war näher bei der Sonne der Fall. Dafür, dass die die Enstatit-Chondrite aus dem inneren Sonnensystem stammen, sprechen auch anderen Messungen (z.B. die Untersuchung von Isotopenverhältnissen). Lutetias Spektrum stimmt wunderbar mit dem eines Enstatit-Chondriten überein und die Astronomen nehmen daher an, dass der Asteroid ebenso ursprünglich aus dem inneren Sonnensystem stammt. Er ist also einer der ganz wenigen übrig gebliebenen Bausteine, aus denen auch die Erde entstanden ist.
In den Hauptgürtel ist Lutetia auf die gleiche Art und Weise gelangt, wie auch heute noch die erdnahen Asteroiden durch das innere Sonnensystem geschubst werden. Immer wen ein Asteroid in die Nähe eines Planeten gelangt, wird er durch dessen Gravitationskraft ein wenig beschleunigt und landet auf einer neuen Bahn. Ein typischer erdnaher Asteroid wird so im Laufe der Jahrtausende von einem Planet zum anderen geschleudert, bis er am Ende ganz aus dem Sonnensystem fliegt oder bei einer Kollision zerstört wird. So sieht das zum Beispiel für den Asteroid Izdhubar aus:
Die x-Achse des Bildes gibt die zeitliche Entwicklung der Asteroidenbahn an (in Einheiten von 1000 Jahren). Im oberen Teil des Bildes sieht man, wie nahe der Asteroid sich Erde, Mars und Venus nähert. Die schwarze Linie (“1 LD”) zeigt den Abstand des Mondes von der Erde an. Nach etwa 20000 Jahren kam Izdhubar zum Beispiel der Venus in etwa so nahe, wie der Mond der Erde und nach knapp 140000 Jahren hatte Izdhubar eine nahe Begegnung mit der Erde, die ihn bis weit innerhalb der Mondbahn brachte. Der untere Teil des Bildes zeigt die zeitliche Entwicklung der großen Halbachse der Asteroidenbahn, also dem mittleren Abstand zwischen Asteroid und Sonne. Man erkennt deutlich, wie jede nahe Begegnung zu einem Sprung in der großen Halbachse führt und wie Izdhubar hin und her geschubst wird. So wird es auch Lutetia ergangen sein. Irgendwann in der Frühzeit des Sonnensystems kam sie einem der noch jungen Protoplaneten zu nahe und wurde in den heutigen Hauptgürtel der Asteroiden geschleudert. Dank dieses glücklichen Zufalls hat Lutetia die Entstehung der Planeten überlebt und steht uns heute als einmalige Informationsquelle zur Verfügung. Bis heute hat man erst 3 andere Objekte gefunden, die Lutetia in ihrer Zusammensetzung ähneln aber keines davon ist ähnlich gut erforscht. Lutetia ist ein idealer Kandidat für eine Weltraummission, bei der eine Raumsonde Proben entnimmt und zurück zur Erde bringt. Dann könnten wir das Material aus dem die Erde entstand direkt im Labor untersuchen. Und das wäre wahnsinnig cool!
Pierre Vernazza, Philippe Lamy, et al (2011). Asteroid (21) Lutetia as a remnant of Earth’s precursor planetesimals Icarus, 216, 650-659
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