Das Higgs-Boson ist das derzeit am meisten gesuchte Elementarteilchen. Schon vor Jahrzehnten haben Teilchenphysiker seine Existenz vorhergesag denn mit ihm können sie erklären, warum Dinge eine Masse haben. Aber erst jetzt seit wenigen Jahren sind die Teilchenbeschleuniger gut genug, um es dingfest machen zu können. Elementarteilche zu entdecken ist aber eine komplizierte Angelegenheit. Man findet sie nicht einfach mal eben so irgendwo in der Gegend herum liegen. Man muss jede Menge Daten sammeln und hoffen, dass die Statistik irgendwann mal ausreicht, um eine Entdeckung verkünden zu können. Ich habe erst vor einiger Zeit detailliert erklärt, wie man das Higgs-Teilchen finden wird, falls man es denn finden wird. Langsam nähert sich das Ende des Jahrs und der große Teilchenbeschleuniger LHC (der einzige, der momentan in der Lage ist das Higgs zu finden), macht sich für die Winterpause bereit. Zeit, um zu fragen, wie es denn nun aussieht. Wo steckt das Higgs?
Bis jetzt läuft die Suche recht gut. Am LHC hat man schon ein paar hundert Billionen Teilchenkollisionen registriert. Die statistische Auswertung hat bis jetzt zwar noch nicht keine eindeutigen Hinweise auf die Existenz des Higgs geliefert. Aber es wird immer klarer, welche Eigenschaften das Teilchen nicht haben. Die beiden großen Teilchendetektoren am LHC – ATLAS und CMS – haben kürzlich zum ersten Mal ihre jeweiligen Daten kombiniert. So sieht der Status Quo aus:
Das Diagramm braucht vielleicht ein wenig Erklärung. Auf der x-Achse ist die Masse aufgetragen (in der bei Teilchenphysikern üblichen Einheit Elektronenvolt). Man weiß nämlich nicht, welche Masse das Higgs-Boson hat. Man kann nur vorhersagen, wie sich – je nach Masse – verhalten wird. Diese Vorhersagen findet man im Diagramm. Sollte das Higgs-Teilchen existieren und am LHC erzeugt werden, dann wird es nicht stabil bleiben, sondern gleich wieder zu anderen Teilchen zerfallen. Wie das passiert, hängt von der Masse ab. Es gibt also eine gewisse Erwartung, wie sich die Zerfallsprodukte bei den Teilchenkollisionen verhalten müssen, wenn das Higgs existiert. Diese Erwartung wird mathematisch durch die “cross section” ausgedrückt die man im Experiment misst und dann sie mit der Erwartung aus der Theorie vergleicht. Das Messergebnis wird durch die Erwartung dividiert und diese Zahl ist auf der y-Achse aufgetragen. Der Wert ist so normiert, dass man mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass das Higss nicht existiert, falls er kleiner als 1 ist. Man sieht zum Beispiel in der Mitte des Diagramms ganz deutlich, dass die schwarzen Punkt unter der Linie liegt, die die 1 anzeigt. Die schwarzen Punkte sind die Messwerte, die für die verschiedenen Massen erhalten wurden. Für diese Massen entsprichen die Zerfallsprodukte also nicht denen, die man erwarten würde, wenn es das Higgs-Teilchen gäbe. Überall dort, wo die schwarze Punkte unter der Linie landen, kann man das Higgs also ausschließen. Dort wo die Messwerte über der Linie landen, sieht es vorerst so aus, als könnte das HIggs existieren. Allerdings darf man nicht vergessen, dass man es hier mit Statistik und Wahrscheinlichkeiten zu tun hat. Je mehr Kollisionen man inkludiert, desto genauer werden die Ergebnisse. Die Kurve kann sich also noch ändern, wenn mehr Daten berücksichtigt werden und dann könnten die Messwerte unter die Linie fallen. Wie wahrscheinlich es zur Zeit ist, dass die Datenpunkte auf eine echte Entdeckung hindeuten und keine statistischen Schwankungen sind, geben die farbigen Bänder an. Fallen die Datenpunkte mit der gepunkteten Linie zusammen, ist alles so, dann könnte man die Messergebnisse auch ganz ohne Higgs erklären. Die Zerfallsprodukte könnten dann von schon bekannten Teilchen stammen (die ebenfalls instabil sind und zerfallen). Weichen die Messwerte aber von der gepunkteten Linie ab, dann ist das ein Zeichen dafür, dass man es mit einem unbekannten Teilchen zu tun hat. Je größer die Abweichung, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Effekt echt ist. Liegen die Messwerte im grünen Band, dann muss das noch nicht viel bedeuten. Die Chance, dass man sich irrt und anstatt eines neuen Teilchens hier nur eine statistische Variation sieht, beträgt fast 32 Prozent. Etwas besser ist es im gelben Bereich. Befindet sich ein Messwert am äußeren Ende des gelben Bandes, dann beträgt die Chance eines Irrtums nur noch 4,5 Prozent. Das ist ein deutlicher Hinweis, dass man weiter suchen soll. Aber leider noch keine Bestätigung einer Entdeckung. Dazu muss die Abweichung zwischen der Erwartung und dem Messwert wirklich groß und die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums muss weniger als 0,0002 Prozent betragen. Erst erreicht man den Bereich, wo man es in Erwägung ziehen kann, eine Entdeckung zu verkünden.
Wie man sieht, haben die bisherigen Experimente schon große Bereiche für die Masse des Higgs ausgeschlossen. Nur bei Massen über 480 GeV/c² und im Bereich zwischen 115 und 140 GeV/c² besteht noch die Möglichkeit, das Higgs zu finden. Im oberen Massenbereich ist die Abweichung der Messwerte von der erwarteten Kurve nicht sonderlich groß (und es gibt auch noch andere, theoretische Gründe, warum man nicht erwartet, ein so schweres Higgs zu finden). Aber bei kleineren Massen sieht es gut aus! Hier liegen die Messwerte teilweise schon außerhalb des gelben Bereiches und es ist auch die Gegend, wo ein Higgs von der Theorie her gut reinpassen würde. Genausogut kann es aber auch nur eine statistische Fluktuation sein. Erst wenn mehr Daten vorhanden sind, wird man sehen, ob sich die Kurve wieder dem grünen Bereich annähert oder weiter und vor allem stärker abweicht. Die Wissenschaftler am CERN jedenfalls sind optimistisch. Was auch immer man entdeckt – das Higgs-Teilchen oder kein Higgs-Teilchen – am Ende wissen wir mehr als vorher. Das sagen sie auch im Interview mit dem Nature-Journalist Geoff Brumfiel:
Ich selbst bin ja unschlüssig, was ich mir wünschen soll. Die Entdeckung des Higgs, genauso wie es vorhergesagt wurde? Das wäre eine grandiose Bestätigung des Standardmodells der Elementarteilchenphysik und eine fantastische wissenschaftliche Leistung. Oder soll ich mir wünschen, dass der LHC ausschließt, dass es das Higgs in der vorgeschlagenen Form geben kann? Dann müssten sich die Teilchenphysiker etwas Neues überlegen und damit besteht die Chance, dass wir auch wieder etwas fundamental Neues über das Universum lernen. Was auch immer eure Präferenzen sind, eines ist sicher: Eines von beiden wird passieren!
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