Zuerst machten Gerüchte die Runde: Die Entdeckung des lang gesuchten Higgs-Teilchens steht kurz bevor. Am 13. Dezember wollen die Physiker am CERN dieses großartige Ergebnis verkünden. Ziemlich schnell erklärten CERN und die beteiligten Physiker aber: Es ist noch zu früh. Wir haben noch nicht genug Daten.. Trotzdem wurde das Seminar, das heute am europäischen Kernforschungszentrum CERN stattfand, von aller Welt beobachtet. Auch wenn nicht mit dem großen Durchbruch zu rechnen war, waren doch alle gespannt auf die Präsentation der Daten, die in den letzten Jahren gesammelt wurde. Was gezeigt wurde, war vielversprechend!
Seit 2009 läuft der Teilchenbeschleuniger LHC nach Plan und hat bis heute knapp eine Billiarde Teilchenkollisionen aufgezeichnet. Das haben die beiden großen Detektoren ATLAS und CMS erledigt. Beide Teams arbeiten unabhängig voneinander und sind auf der Suche nach dem Higgs-Boson. Dieses Elementarteilchen ist das letzte, das den Wissenschaftlern in ihrem Standardmodell der Teilchenphysik noch fehlt. Das Higgs-Boson wurden Ende der 1960er Jahre von einer Gruppe von Wissenschaftlern postuliert um zu erklären, warum die verschiedenen Teilchen verschiedene Massen haben. Bis jetzt war es allerdings nicht möglich, die Existenz des Higgs-Teilchens nachzuweisen. Wenn man es findet, dann wäre es ein Triumph für die theoretische Physik und die Krönung einer der erfolgreichsten wissenschaftlichen Theorien überhaupt. Kann man dagegen zeigen, dass es nicht existiert, ist das fast ebenso revolutionär. Denn das bedeutet, dass man mit der aktuellen Theorie einen wesentlichen Aspekt der Natur falsch verstanden hat und sich etwas fundamental Neues ausdenken aus – was zu ebenso fundamental neuen Erkenntnissen führen wird. Es ist also nicht verwunderlich, wenn die Physiker dieser Welt (und mit ihnen die Medien) gespannt darauf warten, was die Forscher am LHC für Daten präsentieren.
Heute Nachmittag war es soweit. Fabiola Gianotti hat die Daten des ATLAS-Teams präsentiert und Guido Tonelli die des CMS-Detektors (wer möchte kann sich ihre Folien hier runterladen). Die wesentlichen Diagramme sind diese beiden hier:
Die beiden Bilder brauchen vielleicht ein wenig Erklärung (und ich bin einfach mal so frei, die Erklärung zu kopieren, die ich für diesen Beitrag geschrieben habe). Auf der x-Achse ist die Masse aufgetragen (in der bei Teilchenphysikern üblichen Einheit Elektronenvolt/c²). Man weiß nämlich nicht, welche Masse das Higgs-Boson hat. Man kann nur vorhersagen, wie es sich – je nach Masse – verhalten wird. Diese Vorhersagen findet man im Diagramm. Sollte das Higgs-Teilchen existieren und am LHC erzeugt werden, dann wird es nicht stabil bleiben, sondern gleich wieder zu anderen Teilchen zerfallen. Wie das passiert, hängt von der Masse ab. Es gibt also eine gewisse Erwartung, wie sich die Zerfallsprodukte bei den Teilchenkollisionen verhalten müssen, wenn das Higgs existiert. Diese Erwartung wird mathematisch durch die “cross section” ausgedrückt die man im Experiment misst und dann sie mit der Erwartung aus der Theorie vergleicht. Das Messergebnis wird durch die Erwartung dividiert und diese Zahl ist auf der y-Achse aufgetragen. Der Wert ist so normiert, dass man mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass das Higss nicht existiert, falls er kleiner als 1 ist. Die schwarzen Punkte sind die Messwerte, die für die verschiedenen Massen erhalten wurden. Überall dort, wo die schwarze Punkte unter der Linie landen, entsprechen die Zerfallsprodukte also nicht denen, die man erwarten würde, wenn es das Higgs-Teilchen gäbe. Dort kann man das Higgs also ausschließen. Dort wo die Messwerte über der Linie landen, sieht es vorerst so aus, als könnte das HIggs existieren. Allerdings darf man nicht vergessen, dass man es hier mit Statistik und Wahrscheinlichkeiten zu tun hat. Je mehr Kollisionen man inkludiert, desto genauer werden die Ergebnisse. Die Kurve kann sich also noch ändern, wenn mehr Daten berücksichtigt werden und dann könnten die Messwerte unter die Linie fallen. Wie wahrscheinlich es zur Zeit ist, dass die Datenpunkte auf eine echte Entdeckung hindeuten und keine statistischen Schwankungen sind, geben die farbigen Bänder an. Fallen die Datenpunkte mit der gepunkteten Linie zusammen, dann könnte man die Messergebnisse auch ganz ohne Higgs erklären. Die Zerfallsprodukte könnten dann von schon bekannten Teilchen stammen (die ebenfalls instabil sind und zerfallen). Weichen die Messwerte aber von der gepunkteten Linie ab, dann ist das ein Zeichen dafür, dass man es mit einem unbekannten Teilchen zu tun hat. Je größer die Abweichung, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Effekt echt ist. Liegen die Messwerte im grünen Band, dann muss das noch nicht viel bedeuten. Die Chance, dass man sich irrt und anstatt eines neuen Teilchens hier nur eine statistische Variation sieht, beträgt fast 32 Prozent. Etwas besser ist es im gelben Bereich. Befindet sich ein Messwert am äußeren Ende des gelben Bandes, dann beträgt die Chance eines Irrtums nur noch 4,5 Prozent. Das ist ein deutlicher Hinweis, dass man weiter suchen soll. Aber leider noch keine Bestätigung einer Entdeckung. Dazu muss die Abweichung zwischen der Erwartung und dem Messwert wirklich groß und die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums muss weniger als 0,0002 Prozent betragen. Erst erreicht man den Bereich, wo man es in Erwägung ziehen kann, eine Entdeckung zu verkünden.
Wie sieht es also nun aus mit dem Higgs? Fangen wir mit den Ergebnissen des ATLAS-Teams an. Dort zeigt sich, dass ein Higgs-Teilchen im Bereich zwischen 115-130 GeV existieren kann. Bei etwa 125 GeV sieht man einen deutlichen Überschuss, die Messwerte liegen klar über der schwarzen Linie und außerhalb des grünen/gelben Bandes. Bei den Daten des CMS-Teams kann das Higgs im Bereich zwischen 115 und 127 GeV existieren und man sieht einen Überschuss in der Nähe von ca. 124 GeV. Die Daten, die von den zwei unabhängigen Teams und den zwei verschiedenen Detektoren gewonnen wurden, stimmen also gut überein. Was sagt das nun über die Existenz des Higgs-Teilchens aus?
Noch nichts konkretes, leider. Der Überschuss bei 124-125 GeV kann ein Zeichen dafür sein, dass das Higgs-Teilchen existiert und diese Masse hat. Es kann sich aber auch um statistische Fluktuationen handeln die verschwinden, wenn man mehr Daten inkludiert. Noch hat man nicht die nötige statistische Sicherheit erreicht. Aber die Ergebnisse zeigen, dass man sich auf dem richtigen Weg befindet und das Ziel in Reichweite ist. Das Higgs kann sich nicht mehr lange verstecken. ATLAS und CMS haben seine Existenz für eine großen Bereich an möglichen Massen ausgeschlossen und nur ein kleines Intervall bleibt noch übrig. Mit den Daten, die 2012 am LHC gewonnen werden, wird man das Higgs in diesem Intervall entweder definitiv nachweisen können. Oder man zeigt, dass es auch hier nicht existieren kann. So oder so, nächstes Jahr werden wir eine Antwort darauf bekommen, ob das Higgs-Teilchen existiert oder nicht! Und egal wie die Antwort ausfällt: Sie wird uns dabei helfen, die Natur besser zu verstehen als das jetzt der Fall ist!
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