Will man ein Teleskop bauen, dann braucht man entweder eine Linse aus Glas oder einen Spiegel aus Metall. Linsenteleskop werden heute kaum mehr gebaut. Zumindest für den professionellen Einsatz sind sie zu unpraktisch. Da das Licht durch die Linse hindurch muss, kann man sie von hinten nicht stützen. Zu große Linsen können also im Teleskop nicht verbaut werden, sie wären allein durch ihr Gewicht instabil. Man kann sie nicht größer machen als etwa einen Meter. Bei Spiegeln ist das anders. In einem Spiegelteleskop – erfunden hat es übrigens der große Isaac Newton – wird das Licht vom Spiegel nur reflektiert; der Spiegel kann von hinten gestützt und damit viel größer gebaut werden. Außerdem reicht es, wenn man eine ganz dünne reflektierende Schicht aufbringt; die optischen Elemente werden also nicht so schwer wie das dicke Glas der Linsenteleskope. Um einen Spiegel zu bauen, brauchen wir reflektierendes Metall. Die Spiegel, die bei uns zu Hause überall rumhängen sind zum Beispiel mit Aluminium bedampft. Bei Metall denken wir eigentlich sofort an einen Festkörper. Es gibt aber auch Metalle, die bei normalen Temperaturen flüssig sind. Und auch aus ihnen kann man Teleskope bauen.
Schon seit der Antike war das Metall Quecksilber bekannt. Es schmilzt schon bei -39 Grad und verdampft erst bei 357 Grad, ist also in einer normalen Umgebung immer flüssig. Quecksilber ist ein glänzendes Metall. Füllt man es in eine Schale, dann erhält man eine spiegelnde Oberfläche. Aber wie baut man einen flüssigen Spiegel in ein Teleskop ein?
Zuerst muss der Spiegel die richtige Form bekommen. Für ein Teleskop kann man nicht einfach einen eben Spiegel verwenden, wie er bei uns zu Hause an der Wand hängt. Er muss eine spezielle Form haben, damit das Licht der Sterne gesammelt und zum Beobachter weitergeleitet werden kann. Man benötigt einen Parabolspiegel, eine Form wie die der Satellitenantennen, die wir uns aufs Dach montieren, wenn wir Satellitenfernsehen empfangen können. Ein echter Spiegel wird entsprechend geschliffen, bis er die richtige Form hat. Aber bei einem flüssigen Spiegel klappt das nicht. Deswegen benutzt man einen Trick.
Nimmt man eine Flüssigkeit, gibt sie in ein Gefäß und lässt dieses rotieren, dann wird sie keine ebene Oberfläche mehr bilden. Unter dem Einfluss der Schwerkraft der Erde und der Rotation wird die Flüssigkeit an den Rand des Gefäß getrieben und es entsteht – ganz natürlich – eine perfekte Parabelform! Man muss also nur ausreichend Quecksilber in der richtigen Geschwindigkeit rotieren lassen um einen wunderbaren Teleskopspiegel zu bekommen. Um einen echten Spiegel ähnlich genau in eine Parabelform zu schleifen, wäre viel, viel mehr Arbeit nötig, es würde enorm viel Zeit und Geld kosten und selbst dann wäre die Parabel nicht ganz so exakt wie die des rotierenden Quecksilbers. Rotierendes Metall liefert also bessere und billigere Spiegel. Es gibt aber auch einen ganz offensichtlichen Nachteil. Wenn man den flüssigen Spiegel kippt, dann läuft das Quecksilber aus! Der Spiegel kann also nur flach auf dem Boden liegen, das Teleskop kann immer nur gerade nach oben blicken.
Das ist nicht so schlimm wie es klingt. Schon seit es Teleskope gibt, haben die Astronomen immer auch spezielle Zentitteleskope eingesetzt. Die sind extra so montiert, dass sie nur nach oben schauen können. Man kann also nicht an beliebige Punkte des Himmels schauen, sondern muss warten, bis die Rotation der Erde die Sterne in das Blickfeld schiebt. An Sternen, die direkt über dem Teleskop – also dem Zenit – stehen, lassen sich Messungen besonders genau durchführen, denn das Licht nimmt hier den kürzesten Weg durch die Atmosphäre und wir am wenigsten gestört. Deswegen benutzt man Zenitteleskope für Präzisionsmessungen, zum Beispiel um die Position von Sternen ganz exakt bestimmen zu können oder die Schwankungen der Erdachse zu vermessen. Ein Teleskop, das einfach immer nur nach oben schaut und alles beobachtet, was sich in sein Blickfeld schiebt, eignet sich auch gut für groß angelegte Suchprogrammen. Zum Beispiel für die Suche nach Supernova-Explosionen, Meteore oder Weltraumschrott.
Zenitteleskope sind also durchaus sinnvoll und darum ist es nicht verwunderlich, dass es tatsächlich ein paar flüssige Teleskopspiegel gibt. Wie schon gesagt: So ein Teleskop lässt sich wesentlich schneller und deutlich billiger bauen als eines mit einem festen Spiegel. In Kanada, in der Nähe von Vancouver, steht das Large Zenith Telescope (LZT). Das LZT hat einen sechs Meter großen Spiegel aus flüssigen Quecksilber. Es gehört damit zu den größten optischen Teleskopen der Welt und hätte man einen normalen Spiegel eingebaut, dann wäre der Bau etwa fünfzigmal teurer gewesen. Am LZT sucht man nach Supernovae und vermisst die Position und Spektren von hundertausenden Galaxien.
Auch die US Air Force hat ein Flüssigteleskop betrieben, zur Suche nach Weltraumschrott. Hier könnt ihr es in Aktion sehen:
Es gibt sogar Überlegungen, flüssige Spiegel für Teleskope zu verwenden die am Mond gebaut werden. Anstatt mühsam einen großen Spiegel auf den Mond zu schleppen, reicht es, ein paar Kanister mit Quecksilber mit zunehmen. Aber ok, bis die Menschen wieder mal auf dem Mond landen, wird noch viel Quecksilber den Bach hinunter fließen. Oder hoffentlich nicht! Denn Quecksilber ist giftig und die Quecksilberdämpfe, die schon bei Zimmertemperatur entstehen sind äußerst ungesund. Man macht sich daher Gedanken, ob man für zukünftige Flüssigspiegel vielleicht lieber andere Metalle verwenden sollte. Gallium zum Beispiel. Das schmilzt schon bei 29 Grad, ist bei weitem nicht so giftig wie Quecksilber und würde auch einen guten Spiegel abgeben. Nur ist es leider viel schwerer erhältlich und teurer als Quecksilber und man würde so einen der großen Vorteile – die geringen Kosten – verlieren. Aber schauen wir mal, was die Zukunft bringt. Wenn man schon kreativ genug ist um auf die Idee mit den flüssigen Teleskopspiegel zu kommen, dann fällt einem da sicher noch etwas ein.
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