Erst kürzlich haben wir hier über kreative Leistungen und Urheberrechte diskutiert. Dabei ging es hauptsächlich um klassische künstlerische Tätigkeiten: Musik komponieren oder Bücher schreiben zum Beispiel. Die Wissenschaft kam höchstens am Rande vor. Dabei ist die natürlich auch ein Gebiet, auf dem kreativ gearbeitet wird. Und es stellen sich die gleichen Fragen wie bei der normalen Urheberrechtsdebatte. Wie werden die wissenschaftlichen Leistungen “verwertet”? Muss man bezahlen, um die Ergebnisse einsehen zu dürfen? Muss alles komplett frei sein? Oder gibt es auch hier das Recht eines “Urhebers”, der zum Beispiel darauf besteht, seine Daten oder Methoden nicht preis zu geben?
In der Wissenschaft geht es dabei weniger um die Bezahlung. Wissenschaftler sind im Allgemeinen Angestellte mit festem Lohn. Viel wichtiger ist hier die Transparenz und die Dokumentation. Die Ergebnisse müssen nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Das ist normalerweise kein Problem. Immerhin veröffentlichen die Forscher ihre Arbeit in Fachzeitschriften, die rein prinzipiell jeder einsehen kann (auch wenn es praktisch nicht immer für jeden möglich ist, weswegen dringend mehr Artikel in Open-Acess-Journalen veröffentlicht werden sollten). Aber wenn es um die Methoden geht, wird es schon etwas komplizierter. Jeremy Hsu hat in einem Artikel bei “Scientific American” die Frage nach der Veröffenttlichung von Computerprogrammen gestellt.
Ohne Computer geht in der modernen Naturwissenschaft so gut wie gar nichts mehr. Selbst Experimentatoren und Beobachter sind bei ihrer Arbeit meistens darauf angewiesen, Computerprogramme zur Datenauswertung zu benutzen. Und Theoretiker nutzen umfangreiche Computersimulationen, um ihre Daten zu gewinnen. Standardisierte Software gibt es dabei selten. Viel öfter schreiben die Wissenschaftler ihren code selber; speziell zugeschnitten auf das jeweilige Forschungsvorhaben. Soll dieser Programmcode nun ebenfalls zwingend gemeinsam mit den eigentlichen wissenschaftlichen Ergebnissen veröffentlicht werden?
Klar, auf jeden Fall! werden die meisten jetzt wohl sagen. Wie sonst soll man Transparenz ermöglichen und sicherstellen, dass hier niemand schummelt. Und das ist prinzipiell auch richtig. so eine Forderung stösst aber schnell auf praktische Probleme. Computerprogramme in der Wissenschaft können oft enorm umfangreich sein. Es steckt oft sehr viel Arbeit in ihnen. Nicht nur reine Programmierarbeit; auch echte Forschung. Manche Diplomanden oder Doktoranden tun nichts anderes, als an einem speziellen Computerprogramm zu arbeiten. Manchmal sitzen mehrere Generationen an Wissenschaftlern an einem Programm und entwickeln und optimieren es über Jahre hinweg. Dann ist es verständlich, dass sie auch von ihrer Arbeit profitieren wollen. Warum soll man jahrelang ein spezielles Stück Software entwickeln, nur um es dann sofort zu veröffentlichen und es damit den konkurrierenden Forschergruppen zur freien Verfügung zu stellen? Die können sich dann die mühsame Entwicklungsarbeit sparen und direkt mit der Datenproduktion bzw. -auswertung anfangen. Es ist also verständlich, wenn Wissenschaftler nicht immer begeistert von der Vorstellung sind, ihre Computerprogramme frei zu geben.
Natürlich heisst das nicht, dass alles komplett geheim gehalten soll! Selbstverständlich muss man in einer wissenschaftlichen Publikation genau erklären, wie man an seine Daten gekommen ist. Man muss seine Methoden ausführlich beschreiben. Aber es macht einen Unterschied, ob man nur das Prinzip beschreibt, mit dem man seine Daten gewinnt oder auswertet oder ob man gleich die komplette Software veröffentlicht. Ich selbst bin vor dem Problem noch nie gestanden. Die Software, die ich geschrieben habe, hätte ruhig jeder sehen können; so speziell, außergewöhnlich und arbeitsintensiv war sie nicht. Aber das Programm zur N-Körper-Integration mit dem in unserer Arbeitsgruppe die himmelsmechanischen Simulationen durchgeführt wurden, wurde schon etwas besser “behütet”. Die Grundlagen dieser Methode wurden selbstverständlich publiziert, sehr detailliert sogar. Aber von dort zum fertigen, funktionsfähigen Programm ist es noch ein Stück Arbeit… Im Gegensatz zu anderen Arbeitsgruppen war das Programm nie wirklich “geheim”. Wer uns nett gefragt hat, hat das Programm auch bekommen. Aber eine komplette Freigabe wollte unser Chef nicht. Vor allem, weil es eben gerade keine Standardsoftware war. Das Programm war immer “work in progress”, jahrelang. Und damit nicht wirklich besonders nutzerfreundlich. Wer sich damit beschäftigt hatte, der wusste auch, wie man damit umgehen muss. Aber zur Veröffentlichung hat es sich schon rein formal nicht geeignet (Irgendwann hat ein Student mal eine “schöne” Version des Programms geschrieben und publiziert).
Es scheint hier wieder einen Konflikt zwischen analog und digital zu geben. Wenn ein Experimentator jahrelang an einem kniffligen Gerät bastelt, dann wird er am Ende natürlich auch eine entsprechende Publikation schreiben und darin genau erklären, wie es funktioniert. Aber es wäre absurd zu verlangen, dass er sein Gerät nun jeder anderen Forschergruppe zur Verfügung stellen muss. Handelt es sich aber nicht um ein physisches Gerät, sondern um digitale Software, dann wird genau das gefordert. Bei großen Weltraumprojekten hat man eine Art Kompromiß gefunden. Im Bau eines Satelliten oder Weltraumteleskops steckt ja noch viel mehr Geld und Zeit als in einem normalen Stück Software. Hier wird es meistens so gelöst, dass die an der Entwicklung beteiligten Teams zuerst das Recht haben, exklusiv mit den Daten zu arbeiten. Erst nach einer gewissen Frist werden sie für die Allgemeinheit freigegeben.
Es ist ein schwieriges Problem. Schützt man lieber die Investition der Wissenschaftler? Oder ist die totale Transparenz der Methoden wichtiger? Meine Meinung ist gespalten; ich tendiere aber eher dazu, keinen Publikationszwang für Software zu fordern. Es ist sowieso illusorisch jedes Detail einer Forschungsarbeit öffentlich zu machen. Eine wissenschaftliche Publikation muss detailliert genug beschrieben sein, damit andere Forscher die Arbeit nachvollziehen können. Geht es um Software, dann müssen die verwendeten Algorithmen und Techniken ausreichend dokumentiert werden, um es anderen Wissenschaftlern zu ermöglichen, auf dieser Basis selbst ein Programm zu schreiben. Aber das ist ja auch jetzt schon der Standard. Ich spreche jetzt aus meiner Erfahrung als Himmelsmechaniker; eine Disziplin der Astronomie in der sehr viel eigener Code geschrieben wird. Aber vielleicht sieht das in anderen Bereichen anders aus? Wie seht ihr das?
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