Die Antarktis ist ein faszinierender Kontinent. Der einzige Kontinent, der nie vom Menschen besiedelt worden ist. Größer als Europa und fast komplett mit Eis bedeckt. Die Antarktis besitzt einzigartige Ökosysteme und einzigartige Möglichkeiten für die wissenschaftliche Forschung. Es ist kein Wunder, dass die Wissenschaftler trotz der extrem lebensfeindlichen Umgebung die Mühen auf sich nehmen, und eine Vielzahl an Forschungsstationen in der Antarktis errichtet haben. Der Antarktisvertrag, der seit 1961 in Kraft ist, legt fest, dass der Kontinent nur der friedlichen Nutzung und vor allem der Wissenschaft dienen soll. Vorher hatten verschiedene Länder verschiedene Bereiche der Antarktis für sich beansprucht. Die Ansprüche existieren weiter, ruhen aber, solange der Vertrag in Kraft ist. Der Kontinent gehört also derzeit der Wissenschaft und zu erforschen gibt es dort jede Menge! Das kann man im hervorragenden Buch “Antarctica: An Intimate Portrait of the World’s Most Mysterious Continent” nachlesen.
Das Buch von Gabrielle Walker ist untypisch. Man würde sich bei einem Buch über die Antarktis ja wahrscheinlich erstmal einen ausführlichen historischen Teil erwarten. Immerhin spielten sich hier Anfang des 20. Jahrhunderts große Dramen ab. Das Wettrennen von Amundsen und Scott zum Südpol und das tragische Ende von Scotts Team. Die gescheiterten aber trotzdem faszinierenden Expeditionen von Ernest Shackleton. Und auch die Geschichten der früheren Entdecker, die vor dem 20. Jahrhundert versuchten, immer weiter in den unbekannten Süden der Erdkugel vorzudringen, sind äußerst spannend. Walker erzählt einige dieser Geschichten natürlich auch in ihrem Buch. Allerdings nur kurz. Der Schwerpunkt liegt ganz woanders.
Man könnte das Buch vielleicht mit einem Reiseführer vergleichen – wenn die Antarktis ein Ort wäre, an den man so einfach reisen könnte. Walker aber hatte das Glück und die Möglichkeit, den Kontinent gleich mehrmals zu besuchen. Dabei hat sie sie die verschiedenen Regionen bereist und die Forschungsstationen diverser Länder besucht. Walker war natürlich in McMurdo, der inoffiziellen Hauptstadt der Antarktis und dem Ausgangspunkt für die meisten weiteren Reisen am Kontinent. Sie hat die französische Station Dumont d’Urville besucht und die französisch-italienische Station Concordia, die mitten auf dem ostantarktischen Eisschild liegt. Sie verbrachte einige Wochen in der amerikanischen Amundsen-Scott-Station die sich direkt am Südpol befindet und besuchte die argentinische Kolonie Esperanza auf der antarktischen Halbinsel. Sie schaffte es sogar, dem Upstream Delta Camp einen Besuch abzustatten. Es liegt auf dem westantarktischen Eisschild; einer Gegend die so unerreichbar ist und in der so ein mieses Wetter herrscht, dass es das einzige Gebiet der Antarktis ist, das kein Land für sich beansprucht hat und auf dem es sonst keine Forschungsstationen gibt.
Überall hat Walker mit den Forschern über ihre Arbeit und ihr Leben gesprochen. Mit der weiblichen “Bürgermeisterin” von McMurdo über den schwierigen Weg der Frauen in die Antarktis und die Probleme, die es dort heute noch mit der Gleichberechtigung gibt. Walker sprach mit den Arbeitern, die jedes Jahr für ein paar Monate in die Antarktis kommen um sich dort um die Bauarbeiten an den Stationen und andere technische Aufgaben kümmern. Am Südpol sprach Walker mit den Forschern wie es ist, monatelang in Dunkelheit am Pol zu überwintern; ohne Möglichkeit, abzureisen, wenn es Probleme geben sollte. Sie sprach mit dem Kommandanten der argentinischen Esperanza-Station, dem einzigen Ort in der Antarktis, an dem auch Kinder leben und an dem es eine Schule gibt. Dort wurde auch Emilio Palma geboren, der erste Mensch, der auf dem antarktischen Festland geboren wurde. Im Gespräch mit Walker gab der Esperanza-Kommandant auch ganz offen zu, dass es Argentinien nicht nur um die Forschung geht, sondern tatstächlich auch um den Versuch, den Kontinent zu kolonisieren und eine dauerhafte Präsenz aufzubauen – um so die (eigentlich ruhenden) Gebietsansprüche besser durchsetzen zu können.
Und natürlich war Walker bei der wissenschaftlichen Arbeit der Forscher mit dabei. Sie hat Wedell-Robben und Pinguine untersucht. Sie war dabei auf der Suche nach Meteoriten. Sie besuchte die Teleskope der Astronomen und die Seismometer der Geologen. Sie war dabei, als man über 3000 Meter tiefe Eisbohrkerne ans Tageslicht beförderte um mehr über das Klima der Vergangenheit zu erfahren und als die schlammigen Sedimente vor der Küste des Kontinents an die Oberfläche gebracht wurden, um mehr über den Klimawandel und die Zukunft des antarktisches Eises zu erfahren. Walker hat die antarktischen Trockentäler besucht, eine Landschaft, die sich seit Millionen Jahren kaum verändert hat und die riesigen Eisflüsse auf dem Westschild, die mit mehreren Metern pro Tag dahin fließen.
Ich kann das Buch nur sehr empfehlen! Der Titel spricht zwar von einem “intimen Portrait” des Kontinents – es handelt sich aber eher um ein intimes Portrait der Menschen, die auf diesem Kontinent leben und arbeiten. Nach der Lektüre ist die Antarktis nicht mehr nur ein Haufen Eis mit Pinguinen am anderen Ende der Erde. Sondern ein richtiger Ort mit unterschiedlichen Regionen, in denen unterschiedliche Menschen leben und an denen es die verschiedensten Dinge zu sehen und zu erleben gibt. Dinge, die aber jedesmal enorm faszinierend sind! Die Antarktis ist ein ganz spezieller und völlig fremder Ort! Walkers Buch schafft es, diese Fremdheit und die Faszination eindrucksvoll zu vermitteln.
Kommentare (9)