Es sind wieder einmal jede Menge Gerüchte im Umlauf (hier gibts eine Zusammenfassung). Zur Zeit findet eine große und wichtige Konferenz für Teilchenphysik statt. Und für Mittwoch ist eine Pressekonferenz angesetzt, bei der die neuen Ergebnisse der Suche nach dem Higgs-Teilchen verkündet werden sollen. So eine Konferenz gab es auch schon letztes Jahr. Damals habe ich davor gesagt, dass mit ziemlicher Sicherheit keine Entdeckung verkündet werden wird. Diesmal sieht die Sache ein wenig anders aus. Es kann durchaus sein, dass es diesmal wirklich so weit ist.
Mancher fragt sich vielleicht, warum das so ewig lange dauert mit der Suche nach dem Higgs-Teilchen? Und es stimmt ja: Vorausgesagt wurde die Existenz des Teilchens schon in den 1960er Jahren. Teilchenbeschleuniger wie das Tevatron in den USA oder der LHC in CERN suchen schon seit Jahrzehnten danach. Was dauert da so lange? Man darf sich die Entdeckungen in der Teilchenphysik nicht wie Entdeckungen im klassischen Sinne des Wortes vorstellen. Wenn ein Forscher zum Beispiel eine neue Insel entdeckt, ist die Sache meistens klar. Eine Insel lässt sich schwer übersehen und entweder sie war vorher unbekannt oder nicht. Aber bei den winzigen Elementarteilchen ist die Sache komplizierter. Nicht nur dass die Dinger so klein und kaum nachzuweisen (von “sehen” gar nicht zu reden) sind. Sie sind im Allgemeinen auch enorm instabil. Das bedeutet, sie existieren nur den Bruchteil einer Sekunde, bevor sie sich in andere Teilchen umwandeln.
In großen Geräten wie dem LHC probiert lässt man nun ständig Teilchen miteinander kollidieren. Bei den Kollisionen entsteht Energie und aus dieser Energie entstehen wieder neue Teilchen. Man hofft, dass darunter auch neue und unbekannte Teilchen sind, zum Beispiel das Higgs. Man kann es aber nicht direkt nachweisen, da es ja sofort wieder zerfällt. Man kann nur die Zerfallsprodukte registrieren. Das Problem an der Sache ist aber die mangelnde Eindeutigkeit. Der Theorie nach kann das Higgs auf verschiedene Art und Weise zerfallen und verschiedene Zerfallsprodukte erzeugen. Und auch schon längst bekannte Teilchen können die gleichen Zerfallsprodukte hervor bringen. Die Entdeckung eines neuen Teilchens ist also vor allem ein statistisches Problem.
Ich habe das früher schon mal detailliert beschrieben. Zusammengefasst läuft der Prozess so ab: Man erzeugt so viele Kollisionen wie möglich und das bei so hohen Energien wie möglich. Bei diesen Kollisionen werden alle möglichen Teilchen erzeugt, die wiederum alle möglichen Zerfallsprodukte erzeugen. Das Standardmodell der Teilchenphysik ermöglicht es aber vorherzusagen, welche Zerfallsprodukte man insgesamt bekommen wird. Wird bei den Kollisionen aber nun ein Teilchen erzeugt, das nicht Teil des Standardmodells ist, dann werden bestimmte Zerfallsprodukte häufiger auftreten als erwartet. Die Statistik macht das aber noch ein wenig komplizierter. Denn man kann nicht exakt vorhersagen, welche Teilchen bei welchen Kollisionen erzeugt werden. Nur die Gesamtheit der Kollisionen lässt sich statistisch behandeln, aber keine Einzelfälle. Es ist also mit ganz normalen statistischen Schwankungen zu rechnen. Selbst wenn es kein neues Teilchen gibt, wird es trotzdem Abweichungen von den theoretischen Vorhersagen geben.
Je mehr Kollisionen man durchführt und je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto besser sollte die Theorie aber mit der Realität übereinstimmen. Sind die Abweichungen also nur statistischer Natur, dann sollten sie immer kleiner werden, je mehr Daten man sammelt. Hat allerdings tatsächlich ein neues Teilchen die Abweichungen verursacht, dann sollten sie umso stärker werden, je mehr Kollisionen man durchführt! Und deswegen dauert die Suche nach dem Higgs so lange. Bei der letzten Pressekonferenz im Jahr 2011 hat man eine Abweichung in den Daten gefunden. Es war genau die Art von Abweichung, die man sich erwarten würde, wenn das Higgs tatsächlich existiert. Man hatte aber noch nicht genug Daten, um sicher entscheiden zu können, ob es sich nur um eine statistische Schwankung handelt, oder ob man tatsächlich ein neues Teilchen entdeckt hat.
In den vergangenen Monaten hat man mehr Daten gesammelt. Am Mittwoch werden die Teilchenphysiker die Ergebnisse präsentieren. Es gibt drei Möglichkeiten. Entweder die Abweichung vom letzten Jahr ist verschwunden. Dann hat es sich tatsächlich nur um eine statistische Schwankung gehandelt. Das würde bedeuten, dass das Higgs vermutlich nicht existiert; zumindest nicht in der simplen Form, von der man derzeit ausgeht. Die Wissenschaftler müssen sich auf eine neue Suche machen. Oder aber die Abweichung wurde größer. So groß, dass nun mit ausreichender Sicherheit klar ist, dass sie vom Higgs-Teilchen stammt. Man kann nun die Entdeckung des Higgs-Teilchen verkünden und die beteiligten Forscher werden am Ende des Jahres einen Nobelpreis bekommen. Oder aber die Abweichung wurde zwar größer, aber noch nicht groß genug, damit sich die Physiker sicher sein können, nicht auf eine statistische Schwankung hereingefallen zu sein. Dann wird die Suche noch ein wenig weitergehen müssen.
Ich bin mir nicht sicher, was genau am Mittwoch passieren wird. Aber es wird auf jeden Fall interessant werden! Die Veranstaltung wird auch per Webcast übertragen (Um 9 Uhr vormittags). Ich zumindest bleibe dabei, was ich schon letztes Jahr gesagt habe: Die Suche nach dem Higgs-Teilchen endet 2012.
Zur Einstimmung habe ich noch ein Video zum Thema gefunden, dass den netten Title “Die Ruhe vor dem Sturm” trägt:
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