Während meiner Auszeit erscheinen hier einige Gastbeiträge von anderen Bloggern. Wenn ihr auch Lust habt, euer Blog (euren Podcast, euer Videoblog, etc) hier vorzustellen oder einfach nur mal einen Artikel schreiben wollt, dann macht mit!
Heute gibt es einen Artikel von Tibor Rácskai.
Sind bemannte Weltraumflüge wirklich nötig? Warum Menschen ins Weltall bringen, wenn wir Sonden schicken können, die uns Daten liefern? Was könnte ein Astronaut auf dem Mars vollbringen, was Curiosity und seine Epigonen nicht leisten können? In der französisch-kanadischen Dokumentation ”Kein Mensch mehr im All?” warnt der Astronaut Jean-Loup Chretien davor, auf die bemannte Raumfahrt zu verzichten. Wir würden uns an der jungen Generation orientieren, die sich immer mehr in einer virtuellen Realität einschließen werde. Der Mensch sei dafür aber nicht bestimmt, er habe Arme, Beine und ein Gehirn, die er zum Laufen, Arbeiten und Überleben einsetzen solle. Der Mensch besitze eine Art Forscher-Gen und würde seine Bestimmung verfehlen, wenn er nur Roboter aussenden würde, das Universum zu erforschen. Er könne sie vorausschicken, aber nur, um ihnen zu folgen.
Ist diese Auffassung der Raumfahrt tatsächlich Ausdruck eines Generationenkonflikts? Sie ist vor allem romantisch und zugleich Symptom einer pessimistischen Weltsicht. Chretien konstruiert einen Gegensatz zwischen dem aktiven und dem passiven Menschen, der so nicht existiert, und er schließt daraus auf einen gesellschaftlichen Verfall. Der Astronaut nimmt dabei die Stelle des frontiersman ein, der die Grenzen der Zivilisation in das Unbekannte hinaus verschiebt. Er erweitert unseren Herrschaftsraum konkret. Er fühlt stellvertretend für diejenigen, die nicht ins All reisen können, weil sie physisch und psychisch nicht dazu in der Lage sind, und er kann zurückkehren, um von seinen Gefühlen zu berichten. Der Physiker und Nobelpreisträger Steven Weinberg weist zu Recht darauf hin, dass Raumfahrt in diesem Sinne eine Art Sport sei, so wie die Besteigung der höchsten Gipfel und die Reise zu den Gräben der Tiefsee. Sie ist eine körperliche, geistige und gesellschaftliche Herausforderung, aber sie ist nicht bewusstseinserweiternd.
Damit einher geht die von Chretien formulierte Furcht vor der äußeren Bewegungslosigkeit der inneren Reise. Dies ist das eine Paradox der bemannten Raumfahrt im Computerzeitalter. Bisher sah sich der homo faber als Gegenpol eines angeblich praxisfernen Denkers, als einer, der an die Machbarkeit nicht nur glaubt, sondern der weiß, wie er sich die Welt im praktischen Sinne Untertan machen kann und es tut. Nun zeigt sich allerdings, dass der Ingenieur, der Abenteurer und der Pilot im Grunde Romantiker sind, die nach individueller Erfüllung ihrer persönlichen, ins Unendliche gerichteten Sehnsucht streben. Ihr Traum von der physischen Präsenz an der Grenze des Unbekannten ist jedoch beinah obsolet geworden. Beinah, denn auf die physische Existenz einer Sonde kann auch der Astronom nicht immer verzichten. Nur, kein Astronaut kann jemals, so wie die Voyager-Sonden, an die Grenzen unseres Sonnensystems vordringen. Der praktische Nutzen dieser Mission scheint gering, aber ihre spirituelle Bedeutung ist weit größer als die eines Fußabdrucks im Staub des Mars.
Nicht erst die Technik hat dem Menschen ermöglicht, virtuelle Reisen zu unternehmen, aber gestützt auf Beobachtungen und Messungen modernster Instrumente hat der Mensch sein geistiges Hoheitsgebiet bis an die Grenzen des Universums und der Zeit ausdehnen können, ohne sich in eine Raumkapsel zwängen zu müssen. Was vorher nur gedacht werden konnte, hat sich bestätigt, und einiges, was noch nicht gedacht worden ist, wurde so entdeckt. Das ist natürlich eine Beleidigung für den Piloten und scheint seine Mühen und Verdienste zu schmälern.
Steven Weinberg führt als Beispiele für bewusstseinserweiternde Leistungen des Menschen Liebe, Kunst und die Erforschung der Natur an. Jedes davon hat eine physische und eine geistige Komponente. Ist die Physis der Psyche überlegen? Selbstverständlich nicht. Auch die virtuelle Reise kann nicht in jedem Fall die physische Erfahrung ersetzen, aber man muss akzeptieren, dass dem Körper engere Grenzen gesetzt sind als dem Geist. Eine Reise zum Mars ist möglich, vielleicht kann auch Wirklichkeit werden, wofür Kubrick in “A Space odyssey” schon die Bilder geliefert hat, aber wo liegt die Grenze? Noch ist der Warp-Antrieb eine Fiktion. Die Macht der Bilder suggeriert seine Machbarkeit, aber Science-Fiction bebildert dennoch weiterhin nur romantische Phantasien. Bemannte Raumfahrt muss letztlich den Körper überwinden, um weite Räume überwinden zu können, aber sie wird dabei nie transzendent werden, sondern nur unethisch.
Richard Heidman, ein ehemaliger Raumfahrtingenieur und Leiter der Pariser Sektion der Mars-Society, beschreibt ein Konzept einer experimentellen Marskolonie: Angesichts der Schwierigkeiten, die es bereitet, eine Gruppe erwachsener Menschen auf den Mars und gesund wieder zurück zu bringen, sei es vielleicht besser, Embryonen zu schicken, die, wie auch immer das möglich sein soll, dann auf dem Mars aufgezogen würden. Die eigentliche Frage sei, so Heidman, ob sie unter den dortigen Bedingungen überlebensfähig seien. Das ist offensichtlich falsch, denn die eigentliche Frage ist nicht die nach der Überlebensfähigkeit des menschlichen Körpers auf dem Mars, sondern die nach den ethischen Konsequenzen eines solchen Experiments. Irgendwann wird es ohne Zweifel technisch möglich sein, Embryonen zum Mars zu bringen und sie aufzuziehen, aber ob eine Gesellschaft dies auch durchführen wird, hängt davon ab, welchen Wert sie dem Individuum und seiner Menschenwürde zumisst. Manche Nationen scheinen in beiderlei Hinsicht auf dem besten, also aus humanistischer Sicht auf dem schlechtesten Weg zu sein. Dies ist das zweite Paradox der bemannten Raumfahrt. Zum einen verachtet der Astronaut den nur virtuell reisenden Astronomen und unterstellt ihm, den Menschen seiner Natur zu entfremden, zum anderen muss der künftige Astronaut seine Natur überwinden, um noch Astronaut sein zu können.
Es scheint also, so die Autoren der Dokumentation, dass zukünftige Forschungsreisen allein im Geiste stattfinden werden. Der Astronaut wird, wenn er eine Zukunft haben sollte, nicht mehr sein als er jetzt schon ist: der Repräsentant einer Industrie im Weltraum und ein lebendiges (und daher zwangsläufig der Rationalisierung anheimfallendes) Werkzeug, das ein paar hundert Kilometer über der Erde Ersatzteile montiert. Nicht sehr romantisch.
Die Dokumentation “Kein Mensch mehr im All?” wird am Samstag, den 18. August auf ARTE wiederholt und ist noch bis zum 16. August in der ARTE-Mediathek zu sehen: https://videos.arte.tv/de/videos/kein_mensch_mehr_im_all_-6849208.html
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