Während meiner Auszeit erscheinen hier einige Gastbeiträge von anderen Bloggern. Wenn ihr auch Lust habt, euer Blog (euren Podcast, euer Videoblog, etc) hier vorzustellen oder einfach nur mal einen Artikel schreiben wollt, dann macht mit!
Heute gibt es einen Artikel von Kevin Glinka.
In manchen Ländern werden Produkte wie Gewürze oder medizinische Artikel wie z.B. Spritzen mit Hilfe von ionisierender Strahlung sterilisiert, bevor sie vertrieben werden. Hier ist vor allem die Rede von El Salvador, Israel und Weißrussland. Dafür wird häufig Gammastrahlung verwendet, die meistens von Kobalt-60 ausgesendet wird. Die Kobaltelemente werden dafür in einem Rack befestigt, welches durch eine Seilwinde auf- und abbewegt werden kann. Meistens taucht das Rack beim Abstieg in ein Wasserbecken, bei zwei von den drei hier angesprochenen Anlagen ist dieses Becken 5,5 m tief. Bei der dritten Anlage war dieses Becken trocken, dafür gab es Einrichtungen um die Abwärme abzuführen.
Die Produkte werden in Fieberglasboxen (El Salvador), Kartons (Israel) oder Edelstahlkisten (Weißrussland) der Strahlung ausgesetzt, dafür werden Systeme verschiedener Komplexität verwendet, um die Boxen an der Strahlungsquelle vorbei zu bewegen. Bei den ersten beiden hier angesprochenen Systemen wurde eine Stauung in der Zufuhr der Pakete dadurch erkannt, dass die pneumatischen Kolben ihre Bewegungen nicht in einer bestimmten Zeit abgeschlossen hatten. Bei der weißrussischen Anlage wurde ein Stau meistens durch den anders klingenden Motor des Transportsystems erkannt.
Durch verschiedene Probleme kam es leider in allen angesprochenen Anlagen zu Unfällen, die bei ingesamt 9 beteiligten Personen zu 3 Todesfällen und leichten bis schweren Verletzungen der anderen 6 Beteiligten führten.
San Salvador, El Salvador (1989) [1]
In der betreffenden Anlage wurden medizinische Produkte sterilisiert. Aufgrund des Bürgerkriegs in El Salvador wurde die Anlage oft von Stromausfällen heimgesucht, weiterhin wurden die Arbeiter häufig nur mündlich und soweit informiert, dass es gerade ausreichte, dass sie die anfallenden Arbeiten ausführen konnten. Die Bestrahlungsanlage der kanadischen Firma Nordion wurde 1975 installiert, 1981 sollten die Kobaltelemente erneuert werden, doch aufgrund des aufflammenden Bürgerkriegs flog der Mitarbeiter von Nordion gleich wieder nach Kanada, nachdem er in San Salvador ankam. Für 14 Jahre wurde die Anlage nur per telefonischem Kontakt nach Kanada gewartet. Außerdem war die Aktivität der alten Kobaltelemente natürlich abgesunken, was durch eine Verlängerung der Bestrahlungszeit kompensiert wurde. Weiterhin waren die Bedienungselemente und weiter Einrichtungen ebenfalls relativ verfallen. Da es wie gesagt oft zu Stromausfällen kam, hatten die Arbeiter eigene Prozeduren entwickelt, die Anlage nach einem Stromausfall wieder in Gang zu bekommen, wobei aber die Sicherheitshinweise von Nordion nicht beachtet wurden. Es gab u.a. einen Schlüssel für das Instrumentenbrett (welches übrigens nicht beschriftet war!), der gleichzeitig der Schlüssel für die einzige Tür zum Bestrahlungsraum war. Weiterhin musste ein neben der Tür befestigter Strahlenmonitor (mit 9 Geiger-Müller-Zählrohren in der Kammer) eine bestimmte Grenze nicht überschritten haben, damit die Tür freigegeben wurde. Außerdem musste ein Mikroschalter am Rack anzeigen, dass das Rack vollständig in das Becken untergetaucht war. Schließlich war es sogar möglich, die Tür mit Hilfe eines Messers zu öffnen.
Am Morgen des 5. Oktober 1989 kam es dann zu dem Vorfall, dass sich Boxen in die Quere kamen und sich dann das Rack an den Boxen verhakte. Der Arbeiter an der Maschine kam von einer Kaffeepause zurück, und fand die Maschine mit mehreren Alarmmeldungen vor. Zunächst stieg er auf das Dach des Raumes, um dort mit der Pneumatik zu versuchen das Rack hinabzulassen. Dann zog er an dem Seil, das an dem Rack befestigt war und ließ es hinabfallen. Als das auch nicht funktionierte, überbrückte er das Türschloss und betrat den Bestrahlungsraum. Später holte er zwei (mit der Maschine unerfahrene) Kollegen hinzu. Gemeinsam schafften sie es, das Rack zu befreien und in das Wasserbecken hinabzulassen. Der erste Arbeiter dachte und meinte später, es sei sicher den Raum zu betreten, da das Gerät wie ein abgeschaltetes Röntgengerät sicher nicht strahlen würde.
Sechs Tage später verhakte sich das Rack wieder, wobei dieses mal beim Versuch es von außen zu befreien, 14 Aluminiumstäbe hinaus fielen (einige davon waren inert, nur manche enthielten Co-60). Alle bis auf einen Kobaltstab fielen ins Wasser. Als der Manager der Qualitätssicherung sich mit drei weiteren Arbeitern der Maschine näherte, stellte er mit einem Messgerät erhöhte Strahlung fest. Dabei erlitt er eine Dosis von 0,22 Gray, die Arbeiter etwas weniger.
Die drei ersten Arbeiter wurden inzwischen im Krankenhaus behandelt, man ging dort von einer Lebensmittelvergiftung aus (wegen dem Erbrechen und dem Durchfall, den alle hatten). Erst später zeigten sich noch andere Symptome, weshalb die drei Arbeiter nach Mexico City gebracht wurden, wo sie weiter behandelt wurden. Es war nötig, bei den ersten beiden Arbeitern jeweils ein Bein über dem Knie zu amputieren. Trotzdem starb der erste Arbeiter, der im Raum dem Rack am nächsten war. Die IAEA berechnete, dass sich in der unmittelbaren Nähe des Racks (ungefähr im Fußbereich) wohl Dosen von 40-80 Gray pro Minute entwickelt haben mussten. Der dritte Arbeiter hatte nur leichte Strahlenverbrennungen am linken Fuß, da er anscheinend weit genug vom Rack entfernt stand.
Einige Zeit später konnten zwei Techniker von Nordion mit Hilfe einer TV-Kamera, Ionisationskammern und einem durch das Dach eingeführten Mechanismus den letzten Kobaltstab in das Wasser befördern. Durch die Cerenkovstrahlung der Stäbe im Wasser konnte verifiziert werden, dass kein Stab fehlte.
Zur Vermeidung weiterer Unfälle forderte die IAEA die Firma auf, das englischsprachige Benutzerhandbuch auf Spanisch zu übersetzen und dass neue Arbeiter unter Aufsicht von Nordion ausgebildet werden sollten.
Sor-Van, Israel (1990) [2]
In Sor-Van gab es die gleiche Anlage wie in San Salvador, allerdings wurden hier die Produkte in Kartons in die Anlage eingegeben. Auch hier sah der verantwortliche Arbeiter eine Warnung, dass ein Transportstau vorlag, gleichzeitig auch die grüne Anzeige, dass die Quelle in der tiefsten Position im Wasser war, gleichzeitig aber auch eine Gammastrahlungs-Warnung. Er beschloss, dass der Gamma-Alarm falsch sein musste, da die grüne Lampe leuchtete und betrat den Raum, nachdem er die Konsole öffnete und die Gammasonde einfach vom System abkoppelte.
In der Anlage waren die Geigerzähler in der Gammasonde bereits durch die Bestrahlung abgenutzt, sodass sich auch dort der „Trick” etabliert hatte, das Türschloss durch schnelles Ein- und Ausschalten des Systems zu überlisten. Dies tat der Arbeiter dann auch, nachdem er aber die Kartons erreicht hatte, bemerkte er ein Brennen in den Augen, sowie Kopfschmerzen. Daraufhin bekam er Angst und verließ den Raum schnell wieder.
(Anmerkung: Ich vermute, dass der Arbeiter hier sehr viel schneller diese Symptome merkte, da die Kobaltstäbe hier regelmäßig von Nordion ausgetauscht worden waren, diese also eine viel größere Aktivität als die in San Salvador hatten)
Der Arbeiter rief einen Sicherheitstechniker an, der mit einem Strahlungsmesser den Flur zur Bestrahlungskammer betrat. Als sein Messgerät schon dort 0,5 Sievert pro Stunde anzeigte, verließ er den Raum sofort und schloss die Tür. Später konnte das Rack auch hier befreit werden, die Fotos davon zeigen einen aufgerissenen Karton, in dem sich das Rack wohl verfangen hatte. Der Arbeiter starb leider auch hier nach einigen Monaten, obwohl er sofort angemessen behandelt werden konnte.
Die IAEA sah hier als Problem, dass die Sicherheitsbesprechungen in Hebräisch gehalten wurden, auch hier gab es kein hebräisches Handbuch, sondern nur das englische Original von Nordion. Weiterhin sollte eine Möglichkeit eingerichtet werden, dass das nahegelegene Soreq Nuclear Research Centre die Anlage fernsteuern könnte, bzw. dass man von dort das Absenken des Racks einleiten könnte. Außerdem wurde es von dort an strengstens untersagt, die Konsole für solche Arbeiten zu öffnen und in ihr herumzubasteln. Nordion sandte aufgrund dieser beiden Vorfälle einen Warnhinweis an alle Betreiber, die Racks mit einer speziellen Schutzverkleidung nachzurüsten, sodass die Produkte sich nicht im Rack verfangen können.
Die IAEA merkte an, dass der Arbeiter vielleicht überlebt hätte, wenn ihm aufgefallen wäre, dass die Cerenkov-Strahlung im Wasser fehlte, sowie dass es im Raum stark nach Ozon roch. Das Vorhandensein des Cerenkovlichts wäre ja ein Zeichen dafür gewesen, dass sich das Kobalt unter Wasser befindet. Das zweite resultierte aus der Ozonbildung durch die Wechselwirkung der Gammastrahlung mit dem Luftsauerstoff. Eine andere Berechnung für die Entwicklung eines Ozongenerators zur Kalibrierung von Ozonsonden hatte gezeigt, dass ein nuklearer Ozongenerator eine Quelle von tödlicher Stärke benötigt hätte. Damit ist wohl zu erklären, warum diese Bestrahlungsanlagen Ozon erzeugen.
Njaswisch, Weißrussland (1991) [3]
In dieser Anlage wurden die Produkte in an einem Transportsystem hängenden Boxen vorbei geführt. Aufgrund von vorherigen Vorfällen wurde hier das Rack von einem Schutzgitter umschlossen, sodass sich die Boxen und das Rack nicht berühren konnten. Trotzdem kam es manchmal vor, dass sich das Transportsystem verhakte. Dies wurde vom Personal oft durch den anders klingenden Motor bemerkt. Bei dem Vorfall am frühen Morgen des 26. Oktober 1991 las der Ingenieur in seiner Zeitung, als sein Assistent das veränderte Motorengeräusch bemerkte und ihn darauf aufmerksam machte. Der Ingenieur drückte auf den Knopf zum Absenken der Quelle und verließ den Kontrollraum, ließ den Schlüssel aber in der Steuerkonsole stecken. Es wurde später vermutet, dass er so die Anlage schneller wieder starten wollte.
Am Eingang angekommen, gab es hinter der Tür zunächst eine Grube mit elektrisch angetriebenem Deckel, die so im Gang eingelassen war, dass man ohne den Deckel nicht weiter vorankam. Nur mit dem Schlüssel konnte der Deckel geschlossen werden. Der Ingenieur überwand die Grube, indem er auf den in ihr befindlichen Elektromotor stieg. Weiter den Gang hinab musste der Ingenieur über eine Druckplatte im Boden gehen, die von sich aus schon das Hinablassen des Racks verursacht hätte. Die IAEA stellte fest, dass die Druckplatte bei 25 von 25 Tests funktionierte und man auch nicht über sie hinweg springen könnte, da man keinen Anlauf nehmen kann. Man könnte nur mit dem Transportsystem die Platte überwinden, aber da man den Strahlungsmesser beidhändig hält, ist das nicht so einfach möglich. Außerdem wurde es wegen der enormen Gefahr als unlogisch eingestuft, die Druckplatte umgehen zu wollen.
Als er die zu reparierende Stelle erreichte, bekam er nach etwa einer Minute Kopf- und Gelenkschmerzen. Er sah von sich aus nach links und sah das voll ausgefahrene Kobaltrack. Er lief daraufhin sofort aus der Kammer und informierte seinen Assistenten. Er wurde sofort in ein Krankenhaus gebracht und später nach Moskau verlegt. Eine Dosis von 9-11 Gray wurde u.a. mit Hilfe einer Elektronenresonanzspektroskopie seiner Baumwollweste bestimmt (sein eigentliches Dosimeter hatte er in seiner Brotbox gelassen). Der Ingenieur starb nach 113 Tagen.
Hier wurden die Gründe vor allem darin gesehen, dass der Ingenieur auch hier versuchte, die Sicherheitsmechanismen zu überwinden. Es war der IAEA aber nicht verständlich, wieso das Rack wieder nach oben fuhr, als die Kammer geöffnet war. Als mögliche Gründe wurde angenommen, dass eventuell jemand auf der Konsole den Befehl dazu gegeben haben könnte, oder dass es einen elektrischen Fehler gab. Die Gammasonden in der Kammer waren auch nicht mit dem System verbunden, sodass der Hubvorgang hätte automatisch abgebrochen werden können. Weiterhin gab es kein Alarmsystem in der Kammer und der Ingenieur hat den Motor des Hubmechanismus vermutlich nicht gehört. Auch hier wurden von der IAEA mehrere Hinweise zur Verbesserung der Sicherheit gegeben, z.B. einen Alarm in der Bestrahlungskammer und die Einbindung der Gammasonden in das System.
Quellen:
[1]: The Radiological Accident in San Salvador, IAEA, STI/PUB/847 (ISBN:92-0-129090-X), 1990
[2]: The Radiological Accident in Soreq, IAEA, STI/PUB/925 (ISBN:92-0-101693-X), 1993
[3]: The Radiological Accident at the Irradiation Facility in Nesvizh, IAEA, STI/PUB/1010 (ISBN:92-0-101396-5), 1996
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