Im Gegensatz dazu ist im Forschungsbereich der Erkenntnisgewinn nicht vom Individuum abhängig sondern interpersonell – es findet also ein Abgleich zwischen Forschenden anhand von objektiven Kriterien statt. Forschungsergebnisse sind für alle Fachleute verfügbar und überprüfbar, somit auch reproduzierbar. Damit ist noch nichts über den Wahrheitsgehalt einer Hypothese gesagt, aber so lange sie objektiv überprüfbar ist, fällt sie in den Forschungsbereich.
Wir betrachen hier den Begriff Pseudowissenschaft als Teil des Glaubensbereiches, wobei sich dessen Umfang nicht nur auf die missbräuchliche Verwendung naturwissenschaftlicher Terminologie beschränken soll, sondern allgemein als Umschreibung von Produkten, Verfahren und Behauptungen, die sich wissenschaftlicher Überprüfung bewusst entziehen.
Kommen wir nun zu den typischen Merkmalen der Pseudowissenschaft, wie sie von Beyerstein erkannt werden:
Isolation:
Entgegen der oft gehörten Behauptung, unterschiedliche Bereiche der Wissenschaft würden nicht miteinander kooperieren oder kommunizieren, ist das Gegenteil der Fall. Es gibt viele interdisziplinäre Projekte und Kommunikationsstrukturen, die einen Austausch von Wissen zwischen den Disziplinen ermöglichen und fördern. Das ist sogar eine besondere Stärke der wissenschaftlichen Arbeit. In den Pseudowissenschaften ist das allerdings nicht üblich. Diese neigen eher dazu, sich zu isolieren, aufgestellte Behauptungen vor Kritik von außen zu schützen und geben nur Informationen preis, die dem Erhalt der eigenen Ansichten dienen. Auch eine allgemein verbindliche Terminologie findet sich dort nicht. Die Erfinder und Entdecker, die sich demonstativ gegen den “Mainstream” wenden, arbeiten lieber alleine oder in kleinen Gruppen mit Gleichgesinnten. Ein Abgleich mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen findet kaum statt, und wenn doch, werden Zusammenhänge und Begriffe uminterpretiert oder nicht fachgerecht verwendet. Einwände werden ignoriert oder abgelehnt bzw. als persönlicher Angriff gewertet.
Fehlende Falsifizierbarkeit:
Nach Karl Popper ist eine Behauptung, die sich nicht widerlegen lässt, als Erklärung für eine Beobachtung unbrauchbar. Viele Bestätigungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass eine Erkärung korrekt ist. Um sie zu widerlegen, genügt dagegen ein einziges negatives Ergebnis.Wie Mario Bunge festgestellt hat, finden sich in der Pseudowissenschaft fast ausschließlich nicht falsifizierbare Behauptungen, da bereits die Hypothese nicht eindeutig formuliert ist.
Missbräuchliche Verwendung von Daten und Ergebnissen:
Sofern es statistische Daten oder Messwerte gibt, werden diese oft nur teilweise offengelegt, kreativ interpretiert oder sind schlichtweg nicht reproduzierbar. Statistische Ausreißer werden als Beweis präsentiert, Ungenauigkeiten bei Messungen als Ergebnisse interpretiert und Daten, welche die Behauptung nicht stützen, werden verworfen. Lässt sich der behauptete Effekt bei einer unabhängigen Überprüfung nicht nachvollziehen, wird dies etwa mit fehlenden Fähigkeiten des Testers oder ungünstigen Umständen bei der Durchführung des Tests wegargumentiert. Der britische Physiker John G. Taylor verwendete für diesen Umstand den Begriff “shyness effect”, welcher besonders oft bei paranormalen Phänomenen in der Parapsychologie auftritt. Der Parapsychologe Walter von Lucadou hat für das plötzliche Verschwinden eines Phänomens unter Testbedingungen sogar einen eigenen Mechanismus ausgemacht und bezeichnet solche Anordnungen als “Pseudomaschinen”. Damit unterstellt er jedoch, dass ein solcher Effekt nicht von der Wahrnehmung des Beobachters abhängig ist, sondern real existiert. Wäre es so, ließe sich das allerdings überprüfen. Hier wird also eine Gesetzmäßigkeit definiert, die sich allen Gesetzen widersetzt.
Stagnation und fehlende Korrekturen:
Bei den meisten Pseudowissenschaften fällt auf, dass über lange Zeiträume keine Weiterentwicklung stattfindet. Angeblich neue Erkenntnisse bauen nicht auf vorhandenes Wissen auf, sondern widersprechen vorherigen Behauptungen und stehen so wieder für sich alleine. “Altes Wissen” wird als Beweis herangezogen, dass eine These richtig sein muss, sonst würde sie ja nicht mehr verwendet. Dabei wird allerdings nicht berücksichtigt, dass viele dieser oft hunderte Jahre alten Behauptungen regelmäßig widerlegt wurden und aus einer Zeit stammen, in der magisches Denken prägender war als systematische Forschung und dadurch oft gewöhnliche Missverständnisse zu Fachwissen erklärt wurden.
Exotenstatus:
Besonders in der Pseudomedizin beruft man sich oft auf altbewährte Verfahren und weist gleichzeitig darauf hin, dass die Wissenschaft noch nicht so weit sei, diese neuen Methoden erklären zu können. Dem harten Urteil der wissenschaftlichen Überprüfung entzieht man sich mit der Argumentation, das Verfahren sei so individuell, dass sich darüber keine allgemeingültigen Aussagen machen ließen. Aber auch in der Pseudophysik begegnet uns dieses Verhalten. Seit Jahrhunderten nicht funktionierende Wundermaschinen werden immer wieder neu präsentiert, mit dem Hinweis, es seien nur noch ein paar kleine Verbesserungen notwendig, um endlich den Durchbruch zu erlangen. Physikalische Gesetzmäßigkeiten, die sich seit Entstehung des Universums niemals als fehlerhaft erwiesen haben, werden als unverbindliche Empfehlungen betrachtet.
Wunderbare Versprechungen:
Pseudowissenschaften sind angenehm für jene, die daran glauben. Magische Heilmethoden verheißen ein Leben ohne Schmerz und Leid und bieten Auswege aus der Verzweiflung. Auf wundersame Weise funktionierende Geräte zur Energieerzeugung versprechen das Ende der Rohstoffkrise und ein komfortables Leben für alle Menschen, ohne schlechtes Gewissen wegen der Umweltverschmutzung. Mit den richtigen Gedanken stellt sich der Erfolg im Leben ganz von alleine ein, ohne Anstrengung und unüberwindbare Hindernisse, ganz im Einklang mit der Natur. Die Realität aber ist unbarmherzig und nimmt keine Rücksicht auf den Einzelnen. Die Wissenschaften repräsentieren diese harte Realität, dokumentieren sie und machen sie sichtbar. Menschen mit einem pseudowissenschaftlich geprägten Weltbild neigen dazu, sich für die angenehmere Variante zu entscheiden. Wann immer jemand derart überzogene Versprechungen macht, ist größte Vorsicht geboten.
Unbelehrbarkeit:
Pseudowissenschaftler halten gewöhnlich unumstößlich an ihren Behauptungen fest, auch wenn sie noch so oft auf Fehler hingewiesen werden. M. Lamar Keene, der als spirituelles Medium arbeitete, sich aber später gegen diese Szene wendete, bezeichnete dieses Verhalten als “True Believer Syndrome” – einen wahren Gläubigen kann nichts in seinem Glauben erschüttern. Eine gewisse Hartnäckigkeit ist selbstverständlich auch bei der wissenschaftlichen Arbeit notwendig, um Misserfolge zu verkraften und sein Ziel über lange Zeiträume zu verfolgen. Allerdings führt ein übersteigertes Selbstwertgefühl leicht dazu, dem Selbstbetrug zu verfallen. Ein Pseudowissenschaftler, der sich in eine Idee verrannt hat, kann nicht mehr umkehren und bei einem absehbaren Misserfolg auch nicht die Richtung wechseln. Alle Widerstände werden ausgeblendet und kein Gegenargument zählt. Der Glaube, letztendlich doch siegen zu können, auch gegen Naturgesetze, wird unerschütterlich.
Magischen Denken:
Der Geist beherrscht die Materie, was man wirklich will, kann man auch erreichen – derart magisches Denken ist in der Pseudowissenschaft weit verbreitet. Dazu kommen Vorstellungen von unbekannten Feldern, Schwingungen und Dimensionen, die im Zweifelsfall als Erklärung herhalten müssen. Da diese Phänomene nicht nachweisbar und damit auch nicht überprüfbar sind, eigenen sie sich bestens, um Plausibilitätslücken zu füllen. Der Mensch als Individuum spielt oft eine übergeordnete Rolle, auf dessen Existenz das Universum eine besondere Rücksicht nimmt. Umgekehrt wird ein Einfluss besonderer Denk- und Verhaltenssweisen auf die physikalische Welt postuliert. Wissen muss nicht hart durch ausdauerndes Lernen erarbeitet werden, sondern erschließt sich in Form von Erleuchtung. Oft geht damit eine strikte Ablehnung des wissenschaftlichen Weltbildes einher, dessen Erkenntnisse negiert oder für unwichtig befunden werden.
Finanzielle Motive:
Viele pseudowissenschaftliche Behauptungen dienen in erster Linie dazu, einen finanziellen Gewinn zu erzielen. Der Aufwand ist relativ gering und besteht hautsächlich darin, eine Behauptung aufzustellen und ein daraus resultierendes Produkt oder eine Dienstleistung zu vermarkten. Langjährige Forschung fällt weg, wird aber trotzdem behauptet. Natürlich spielen auch im Wissenschaftsbetrieb finanzielle Motive eine Rolle, sei es um Förder- und Stiftungsgelder zu erlangen, den eigenen Arbeitsplatz zu erhalten oder, in der industriellen Forschung, ein neues Produkt auf den Markt zu bringen. Das macht die Unterscheidung manchmal schwierig. Trotzdem bleibt echte Forschung nachprüfbar. Vermarkter von pseudowissenschaftlichen Angeboten entziehen sich üblicherweise dieser Überprüfung und setzen lieber auf angebliche Berichte zufriedener Kunden.
Mangelhafte Ausbildung:
Ein Blick auf den Bildungsweg eines Proponenten pseudowissenschaftlicher Methoden oder Produkte lohnt sich. Entweder ist überhaupt keine fachspezifische akademische Ausbildung vorhanden oder es handelt sich um eine Ausbildung in einem fremden Fachbereich. Als Rechtfertigung findet sich oft die Behauptung, man sei dadurch nicht durch die Scheuklappen der etablierten Wissenschaft belastet und könne so freier denken. Ein Außenseiter könne schließlich Zusammenhänge entdecken, welche jenen Leuten verborgen blieben, die nie über den Tellerrand geschaut haben. Die Chance einer solchen Entdeckung ist jedoch eher gering, gerade bei der oft extremen Komplexität heutiger Forschung und Technologie. Ohne eine solide akademische Ausbildung und viel Erfahrung im eigenen Forschungsgebiet ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Zusammenhänge falsch interpretiert und vermeintliche Entdeckungen maßlos überbewertet werden.
Bunkermentalität:
Es liegt in der Natur der Sache, dass unplausible Behauptungen nicht ernst genommen werden oder überhaupt nicht zu öffentlicher Wahrnehmung gelangen. Diese Tatsache wird von Vertretern der Pseudowissenschaften aber gerne als Beweis gewertet, dass ihre Ansichten vom “Establishment” unterdrückt oder vorsätzlich ignoriert werden, weil sie für das bestehende wissenschaftliche System eine Bedrohung darstellen. Diese Sichtweise gipfelt oft in absurden Verschwörungstheorien bis hin zum Verfolgungswahn. Das ganze Bild wird dann gerne mit Galileo-Vergleichen oder Gandhi-Zitaten abgerundet.
Sicherlich lassen sich noch weitere Kriterien finden, die sich als deutliche Hinweise auf Pseudowissenschaften verwenden lassen. Zu beachten ist aber, dass jedes einzelne Kriterium für sich weit entfernt davon ist, einen klaren Beweis für pseudowissenschaftliches Handeln zu liefern. Die Grauzonen sind breit und oft schwer zu durchschauen. Das kritische Denken sollte auch nicht so weit führen, jede neue Idee von vornherein abzulehnen. Aber es gibt Methoden, mit denen sich Behauptungen zumindest grob prüfen und hinterfragen lassen. Die darauf folgenden Erklärungen oder Erklärungsversuche bieten dann den nächsten Ansatz zur Überprüfung. Eine endgültige Sicherheit gibt es nicht. Aber es lohnt sich, die richtigen Fragen zu stellen. Dem Skeptiker ist es auch nicht so wichtig, eine endgültige Antwort zu finden. Für Fragen, die sich nicht unmittelbar klären lassen, gibt es zwischen wahr und falsch immer noch die Schublade “abwarten”. Entweder eine Behauptung stellt sich irgendwann als gerechtfertigt heraus, dann wird sie zu Wissenschaft. Oder sie bleibt sämtliche Belege dauerhaft schuldig und verschwindet früher oder später in der Versenkung. Manchmal dauert es allerdings etwas länger.
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