Bei der Jahrestagung der Astronomischen Gesellschaft in Hamburg gibt es vormittags immer Vorträge von allgemeinem Interesse – zum Beispiel über extrasolare Planeten und ihre Entstehung über die ich vorhin schon berichtet habe. Am Nachmittag finden dann immer gleichzeitig viele verschiedenen kleine Konferenzen zu speziellen Themen statt. Ich habe mir diesmal das Treffen zum Thema “Astronomiedidaktik” ausgesucht. Dort wurde diskutiert, wie man Astronomie am besten vermitteln kann. Das läuft – speziell in den Schulen – immer noch nicht so gut, wie es eigentlich laufen könnte.
Den Anfang macht Andreas Müller von der Uni München. Sein Vortrag trug den Titel “Schulastronomie: Teil der Physik oder eigenes Fach?” und begann mit den unterschiedlichen Gründen, warum es sich lohnt, Astronomie in den Schulen zu unterrichten. Zuallerst einmal, weil Astronomie zur Allgemeinbildung gehört. Genauso wie man über die Stadt Bescheid wissen sollte, in der man lebt; über das Land, das man bewohnt und den Rest der Welt, sollte man auch ein paar grundlegende Kenntnisse über das Universum haben, in dem sich das alles abspielt. Wie sehr es vielen Menschen an dieser Art der Allgemeinbildung mangelt, demonstrierte Müller anhand der letzten Ausgabe der Fernsehshow “Schlag den Raab”. Am 22. September trat eine Kandidatin gegen Stefan Raab an und musste dabei auch ein paar Quizfragen beantworten. Zum Beispiel die Frage nach dem nächsten Äquinoktium. Das sind die Tage, an denen Tag und Nacht gleich lang dauern und 22. September war einer davon. Die Frage war, in welchem Monat das nächste Äquinoktium stattfinden würde. Abgesehen davon, dass Moderator Elton das Wort falsch ausgesprochen hat, wusste die Kandidatin keine Antwort und vermutete die Tag-und-Nacht-Gleiche im Dezember. Das war natürlich falsch, im Winter sind die Nächte deutlich länger als die Tage; erst im Frühling – März – sind Tag und Nacht wieder gleich lang. Auch eine zweite Quizfrage bezog sich auf die Astronomie. Hier ging es um die Eigenschaften des Planeten Mars. Auch hier lag die Kandidatin falsch und war der Meinung, der Mars hätte keine Monde (Stefan Raab lag allerdings richtig und wusste, dass der Mars kleiner ist als die Erde).
Ich erzähle das hier nicht, um zu zeigen, wie “dumm” die Kandidatin war – und auch Andreas Müller hat diese Geschichte sicher nicht deswegen erzählt. Sondern als Beispiel dafür, dass Astronomie eben tatsächlich nicht Teil der Allgemeinbildung ist. Dabei steckt in der Astronomie noch viel mehr, als nur das reine Faktenwissen über die Planeten und unsere kosmische Nachbarschaft. Astronomie hat eine Vielzahl an kulturhistorischen Aspekten. Da geht es um den Kalender, nach dem wir leben; um die Mythen der alten Völker, um Philosphie und Religion. Astronomisches Wissen ist nötig, wenn man sich mit dem Klima beschäftigen will, mit Sonnenergie, mit Satelliten und jeder Menge anderer ganz aktueller Themen. Astronomie ist ein Gebiet, das nicht nur wichtig ist, sondern auch wie kaum ein anderes Thema geeignet, Kinder und Jugendliche zu faszinieren. Darum ist es erstaunlich, dass Astronomie in der Schule meistens nicht oder nur kaum behandelt wird.
Das sehen nicht nur Astronomen so, sondern auch der Rest der Menschen. Eine Studie vom November 2011, die Constantin Weckert, ein Schüler des Freien Gymnasiums Zürich, durchgeführt hat. Die Studie war Teil der INSA Studie 50plus, bei der Weckert als Praktikant mitgearbeitet hat (Die Ergebnisse kann man auch in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift “Interstellarum” nachlesen). Jeder vierte der Befragten interessiert sich stark oder sehr stark für Astronomie (in Thüringen sind es sogar 34,5 Prozent). Nimmt man die Leute dazu, die auch ein teilweises Interesse zeigen, dann sind es fast zwei Drittel der Deutschen. Gefragt, in welchem Umfeld man sich mit Astronomie beschäftigen sollte, waren 63 Prozent dafür, dass dies in der Schule passieren sollte.
Das passiert aber leider nur bedingt. Astronomie als verpflichtendes Schulfach – eine Stunde in der 10 Klasse – gibt es nur in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Das sind auch die einzigen drei Ländern, in denen Unis (Jena, Halle, Rostock) existieren, an denen Astronomie-Lehrer ausgebildet werden. In Bayern, Baden-Württhemberg, Sachsen und Brandenburg gibt Astronomie als Freifach oder Wahlpflichtfach. Im Rest von Deutschland existiert kein organisierter Astronomieunterricht, nur vereinzelt existieren Initiativen engagierter Lehrer oder anderer Institutionen.
Klar, es ist schwer, ein neues Unterrichtsfach einzuführen. Es gibt jetzt schon so viel Stoff, der unterrichtet werden muss. Wo soll da die Astronomie noch Platz finden. In der Grundschule ist es noch einfach. Da ist man bei der Themenwahl recht flexibel und Astronomie kann leicht eingebaut werden. Aber in den weiterführenden Schulen wäre es wünschenswert, Astronomie organisiert und als eigenes Fach zu lehren. In der Physik gibt es jetzt schon so viel Stoff, da macht es wenig Sinn, auch die Astronomie noch reinzuquetschen. Außerdem ist Astronomie mehr als nur Astrophysik. Die ganzen kulturellen Aspekte würden hier weg fallen. Es ist auch kaum praktikabel, die Astronomie auf die verschiedenen anderen Fächer – Biologie, Philosophie, Geschichte, etc – aufzuteilen. Dann müssten all diese Lehrer entsprechend ausgebildet werden und das scheint kaum durchführbar. Wo also soll die Unterrichtszeit her kommen?
Müller meint, dass man zwei Möglichkeiten hätte. Entweder man kürzt bei anderen Fächern. Da das vermutlich politisch schwer umzusetzen ist, könnte man auch probieren, die anderen Fächer effizienter zu gestalten. Gerade weil die Astronomie ein sehr interdisziplinäres Fach ist, könnten einige Inhalte – zum Beispiel aus der Physik – im Astronomieunterricht gebracht werden. So oder so, es ist eine schwierige Sache. Aber wenn es in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern funktioniert: Warum soll es anderswo nicht auch klappen?
Lohnen würde es sich – denn es gibt so viele interessante Sachen, die man im Astronomieunterricht erklären könnte. Olaf Kretzer von der Sternwarte Suhl hat sein Projekt “Radioastronomie in die Schulen” vorgestellt. Hier wird in den Schulen nicht nur mit normalen Teleskopen beobachtet, sondern auch mit Radioteleskopen. Das hat zwei große Vorteile: Einmal kann man Radioastronomie auch bei schlechtem Wetter machen. Und dann lernen die Schüler, dass Astronomie viel mehr ist, als das, was wir mit den Augen sehen können.
Cecilia Scorza vom Haus der Astronomie in Heidelberg stellte den “Milchstraßenkoffer” vor. Dabei handelt es sich um ein vorbereitetes Set an Lehrmaterialien, dass es den Lehrern leichter machen soll, astronomische Inhalte im Unterricht einzubauen. Ähnliche Sets – zum Beispiel über Infrarotastronomie – wurden am Haus der Astronomie schon erfolgreich entwickelt und noch erfolgreicher an den Schulen eingesetzt. Und gerade die Milchstraße ist ein gutes Thema für den Unterricht. Wenn es um die Abgrenzung zwischen Begriffen wie “Sonnensystem”, “Galaxie” oder “Universum” geht, dann existieren oft erschreckend große Wissenslücken…
Besonders gefallen hat mir der Vortrag von Matthias Hünsch. Er hat die Astronomie Werkstatt der Hamburger Sternwarte vorgestellt. Diese von der Stadt Hamburg geförderte Einrichtung bietet Schulklassen die Möglichkeit, an der Sternwarte verschiedenste Projekte durchzuführen. Die Schüler können dort Vorträge hören, an Teleskopen beobachten, selbst die unterschiedlichsten Aufgaben – passend für jede Altersstufe – bearbeiten und ganz allgemein Astronomie aus erster Hand erleben. Die Werkstatt kommt wunderbar an; während der Schulzeit besuchen im Schnitt zwei bis drei Gruppen pro Woche die Sternwarte. Und es besteht der Wunsch nach mehr! Das Problem ist nicht das mangelnde Interesse der Schulen, sondern die limitierte Personalkapazität. Die Projekte werden von den Mitarbeitern der Sternwarte auf Honorarbasis durchgeführt und die haben nicht unbegrenzt Zeit. Und wie üblich will das Land möglichst wenig Geld ausgeben. Das ist auch etwas, was mir unverständlich ist. Einerseits wird immer erzählt, man will die naturwissenschaftliche Bildung fördern; will mehr Schüler dazu bringen, eine mathematisch-naturwissenschaftliche Ausbildung zu beginnen. Und dann hat man ein Projekt, das genau das leistet und großen Zuspruch findet – und stellt dann nicht genug Geld zur Verfügung…
Ich wäre ja dafür, dieses Konzept noch viel weiter auszubauen; über die Astronomie hinaus. Universitäten sind heute Orte, an denen geforscht wird und an denen man Studenten ausbildet. Das ist vollkommen in Ordnung und viele sind der Meinung, dass das vollkommen ausreicht. Ich – und wer mein Blog regelmäßig liest weiß das – sehe das aber anders. Für mich gehört die Öffentlichkeitsarbeit genauso zur Wissenschaft wie Forschung und Lehre. Universitäten sollten Orte sein, die auch “normale” Menschen gerne besuchen und vor allem besuchen können. Wer kein Student oder Uni-Mitarbeiter ist, sieht heute so gut wie nie eine Uni von innen (sicher auch ein Grund, für die weit verbreitete Wissenschaftsfeindlichkeit). Wenn Angebote wie die Astronomie-Werkstatt keine lobenswerte Ausnahme wären, sondern Standard an allen Fakultäten aller Unis, dann wäre ein Besuch an der Hochschule vielleicht irgendwann so normal wie ein Besuch im Theater oder im Kino. Aber ich fürchte, das wird noch für lange Zeit Fantasie bleiben…
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