Schlagzeilen über die Entdeckung einer “zweiten Erde” im All oder Planeten, die Leben beherbergen könnten, tauchen regelmäßig auf. Meistens erweist sich die eigentliche Entdeckung bei näherer Betrachtung als wesentlich unspektakulärer als die Schlagzeile vermuten lässt. So ist es auch beim Fall des Planeten HD 40307g.
“Internationales Forscherteam findet Sonnensystem mit Planet, der erdähnliche Bedingungen aufweist”
wird da in der Pressemitteilung der Uni Göttingen verkündet. Ist jetzt also endlich die “zweite Erde” gefunden?
Vermutlich nicht. Aber der Reihe nach. Es geht um das Planetensystem, dass den Stern HD 40307 umgibt. Bisher kannte man dort drei Planeten und als die im Jahr 2008 entdeckt wurden, war das eine wirklich tolle Sache. Damals kannte man noch wenig Planetensysteme mit mehr als einem Planeten. Noch dazu hatte man hier eines mit gleich drei sogenannten “Super-Erden”. Also Planeten, die kleiner als die Gasplaneten Neptun und Uranus sind aber doch deutlich schwerer als die Erde selbst. Mikko Tuomi von der University of Hertfordshire in Großbritannien und seine Kollegen aus Deutschland und den USA haben dieses System nochmal genauer untersucht. Allerdings nicht mit dem Teleskop. Sie haben die Originaldaten, die damals gesammelt wurden und die mittlerweile frei verfügbar sind, mit neuen Methoden nochmal untersucht. Und dabei drei weitere Planeten entdeckt, die den Stern HD 40307 umkreisen!
Die Methode, mit der die ersten drei Planeten entdeckt wurden, ist die sogenannte Radialgeschwindigkeitsmethode. Dabei beobachtet man den Stern, erstellt ein Spektrum, d.h. man spaltet das Licht in seine Bestandteile auf und sieht nach, wie viel Licht bei bestimmten Wellenlängen ankommt. Das Spektrum ändert sich, wenn sich der Stern bewegt. Es verschiebt sich, wenn er sich auf uns zu bewegt oder sich von uns entfernt. Wird der Stern nun von einem Planeten umkreist, dann macht er genau das: die Gravitationskraft des Planeten bringt den Stern zum Wackeln und er wackelt mal auf uns zu und mal von uns weg. Auch wenn man den Planeten selbst nicht sehen kann, können die Forscher über die Untersuchung der Spektren und die Verschiebung die Planeten so indirekt finden.
Damals wurden 345 Spektren aufgenommen. Tuomi und seine Kollegen haben sich die gesamten Daten nochmal vorgenommen und sie mit besseren statistischen Methoden untersucht. Mit ihren neuen Methoden war es außerdem möglich, die Sternaktivität zu berücksichtigen. Denn so wie die Sonne immer wieder von großen Sonnenflecken bedeckt ist, sind das auch andere Sterne. Und die Bewegung der Sternflecken aufgrund der Rotation des Sterns können im Spektrum die gleiche Verschiebung erzeugen, die auch die Anwesenheit eines Planeten hervor ruft. Nachdem diese Störsignale aus den Originaldaten entfernt wurden, fanden die Forscher drei weitere Planeten, die den Stern umkreisen.
So sieht das neue System mit den sechs Planeten aus (im Vergleich mit dem Sonnensystem):
Achtet auf die Skala! Die beiden Systeme sind nicht im gleichen Maßstab abgebildet. Alle sechs Planeten von HD 40307 befinden sich näher an ihrem Stern als die Erde an der Sonne. HD 40307 ist allerdings ein kleinerer, kühlerer Stern und deswegen muss ein Planet auch näher an ihn heranrücken, wenn es dort so warm sein soll, wie bei uns. Im Bild ist die “habitable Zone” abgegbildet, also der Bereich um einen Stern, in dem theoretisch die Temperaturen gerade passen, um flüssiges Wasser und damit Leben zu ermöglichen. Wie warm es wirklich ist, hängt natürlich auch noch von vielen anderen Dingen ab, zum Beispiel der Zusammensetzung der Atmosphäre – deswegen sind im Bild noch weitere Grenzen der habitablen Zone eingezeichnet, die sich auf verschieden dicke Wolkenschichten beziehen.
Die Erde jedenfalls sitzt direkt in der normalen habitablen Zone. Genauso wie HD 40307g. Ist dort also nun Leben möglich, so wie bei uns? Vielleicht. Aber eher nicht. Denn HD 40307g ist eine “Super-Erde”. Der Planet ist viel schwerer als die Erde. Seine Minimum-Masse beträgt das siebenfache der Erdmasse. Er ist also mindestens sieben Mal schwerer als die Erde und wahrscheinlich deutlich schwerer als dieser Wert. Denn bei der Radialgeschwindigkeitsmethode lässt sich die Masse eines Planeten nicht genau bestimmen. Dazu müsste man wissen, unter welchem Winkel man auf das System blickt und das weiß man normalerweise nicht. Der Planet ist also wahrscheinlich schwerer und je schwerer er ist, desto größer ist auch die Gashülle, die er festhalten kann. HD 40307g wird vermutlich eher dem Neptun ähneln und nicht der Erde.
Ärgerlicherweise wird die Geschichte mit der Minimalmasse von den Medien gerne unterschlagen. Noch ärgerlicher ist es, wenn das schon in der Pressemitteilung der Uni selbst passiert. Als die Universität Göttingen das letzte Mal die Entdeckung einer Super-Erde verkündet hat, ist genau das geschehen und ich habe damals schon darüber gemeckert. Jetzt ist das gleiche wieder passiert und die Uni schreibt über den Planeten:
“‘Er ist etwa sieben Mal schwerer als die Erde und kreist um einen sehr wenig aktiven Stern. Es gibt keinen Grund, weshalb der Planet kein erdähnliches Klima entwickeln kann’, so Dr. Anglada-Escudé.”
Ja, wenn er wirklich nur 7 Erdmassen hat, dann könnte das vielleicht so sein. Aber man weiß nicht, wie schwer er ist. In der englischen Universität Santa Cruz schafft man es dagegen, es richtig zu formulieren:
“Of the new planets, the one of greatest interest is in the outermost orbit from the star and has a mass at least seven times the mass of the Earth.”
Das gute an der Sache ist, dass man hier vermutlich bald in der Lage ist, bessere Werte für die Massen der Planeten zu bestimmen. Denn das eigentlich faszinierende an diesem System ist nicht die Sache mit der “zweiten Erde”. Da stehen halt die Medien drauf und die PR-Abteilungen der Unis bedienen diese Fixierung auf diesen einen Aspekt der Exoplanetenforschung leider zu gerne. Dabei gäbe es noch so viele andere interessante Sachen.
Zum Beispiel: HD 40307 hat sechs Planeten! Bis jetzt kannten wir nur drei Systeme mit mehr als fünf Planeten: HD 10180, Kepler-11 und das Sonnensystem. HD 40307 ist das vierte in dieser kurzen Liste. Und je mehr Planeten man kennt, desto interessanter sind die dynamischen Simulationen, die man durchführen kann. Die können einem auch zeigen, welche Eigenschaften die Planeten haben können und welche nicht. Wenn die Masse eines Planeten zu groß ist, dann wird das ganze System instabil. Auf diese Weise kann man die Parameter weiter einschränken und genau das wird man nun bei HD 40307 versuchen.
Tuomi und seine Kollegen haben schon angefangen. Hier sind die Ergebnisse einiger Simulationen:
Links sieht man, was passiert, wenn man die Exzentrizität der Planetenbahnen ändert. Je exzentrischer eine Bahn, desto weniger kreisförmig ist sie und desto größer sind die Chancen einer Kollision mit dem Nachbarn. Die Farben stehen dabei für das Maß an Instabilität. Schwarz und grün zeigt stabile Bewegung an, orange und rot sind instabile Konfigurationen. Man sieht deutlich, dass sich bis auf den weiter außen liegenden Planeten g keiner eine hohe Exzentrizität leisten kann. Die anderen Planeten liegen einfach zu nahe beieinander und müssen annähernd kreisförmige Bahnen haben. Das rechte Bild zeigt, was passiert, wenn man die mittlere Anomalie ändert. Das ist im wesentlichen die Position, an der sich ein Planet auf seiner Bahn befindet. Auch hier ist g der einzige, bei dem es keine Rolle spielt und alle Möglichkeiten zu gleich stabilen Bahnen führen.
Die Simulationen sind natürlich nur ein Vorgeschmack. Wenn man wirklich wissen will, was in dem System abgeht, dann braucht es eine vollständige himmelsmechanische Analyse, man braucht viel mehr und vor allem viel längere Simulationen als die, die Tuomi und seine Kollegen gemacht haben. Aber wie ich meine ehemaligen Kollegen Himmelsmechaniker kenne, werden die schon längst den Computer angeworfen haben und fröhlich vor sich hin simulieren. Wir werden also bald mit ausführlichen Analysen rechnen dürfen.
Und diese Analysen werden viel spannender sein, als die x-te Meldung über eine Super-Erde die vielleicht, eventuell, möglicherweise irgendwie gute Bedingungen für Leben bieten könnte. Denn wir haben zwar schon sehr viele extrasolare Planeten entdeckt, aber noch kaum echte Planetensysteme. Man kann die Planeten aber nicht isoliert betrachten. Die Planeten in einem System beeinflussen sich gegenseitig und wenn man verstehen will, wie ein Sonnensystem funktioniert, muss man das alles berücksichtigen (auch bzw. gerade dann, wenn man wissen will, ob es irgendwo Leben kann – siehe zum Beispiel hier).
Die drei neuen Planeten von HD 40307 sind also tatsächlich eine tolle Sache. Wir werden aus diesen System noch sehr viel lernen können. Darüber, wie Planeten entstehen und wie sie sich entwicklen. Wir werden herausfinden, ob unser Sonnensystem einzigartig oder normal ist. Wir werden vielleicht sogar etwas über die Entstehung von Leben auf anderen Planeten lernen. Irgendwann werden die Schlagzeilen von der “neuen Erde” gerechtfertigt sein. Hoffentlich interessiert es nach all den Fehlalarmen dann noch jemanden…
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