2013 ist ein besonderes Jahr für die Sonne. Im Frühling wird sie das Maximum des aktuellen Aktivitätszyklus erreichen. Die anwachsende Sonnenaktivität war zwar auch schon letztes Jahr Thema bei mir Blog. Da ging es aber vor allem um irgendwelche absurden Weltuntergangszenarien im Rahmen des ganzen 2012-Unsinns. Da 2012 aber nun endlich vorbei ist, können wir nun einen ganz unhysterischen Blick auf die Sonne und ihre Aktivität werfen.
“Ein Maximum der Sonnenaktivität” heißt nicht, dass die Sonne irgendwie heller leuchtet oder wärmer wird. Mit der für uns sichtbaren Strahlung hat das nichts zu tun. Die Sonnenaktivität betrifft die Vorgänge in der Sonne selbst. Unser Stern ist eine ziemlich große Kugel aus heißem Gas. Im Kern sind es knapp 15 Millionen Grad in den äußeren Schichten beträgt die Temperatur ungefähr 6000 Grad. Es ist also ordentlich warm und diese Temperatur sorgt dafür, dass im Stern alles ziemlich rund geht. Der große Astronom Arthur Eddington beschrieb das Innere eines Sterns als “ein Durcheinander von Atomen, Elektronen und Photonen”. Es geht dort so wild zu, dass die Atome und Elektronen nicht mehr aneinander gebunden sind. Normalerweise besteht ein Atom ja aus einem Kern und einer Hülle aus Elektronen. Die energiereichen Photonen treffen in der Sonne aber auf die Atome und reißen die Elektronen vom Kern. Atomkern und Elektronen aus der Hülle bewegen sich also getrennt voneinander. Ein Gas in diesem Zustand nennt man Plasma.
Wie stark es auf der Sonne wirklich brodelt, kann man an der Granulation erkennen. So bezeichnet man die körnige Struktur, die die Sonnenoberfläche bei näherer Betrachtung zeigt. Wie ein Topf voll mit blubberndem Wasser zeigt auch die Sonne blubbernde Blasen. Eine Granule ist bis zu 1000 Kilometer groß und existiert für ein paar Minuten. Hier ist ein Video der Granulation, das vom Hinode-Satelliten aufgenommen wurde:
Die Granulation entsteht durch Konvektion. Warmes Material aus den tieferen Schichten der Sonne steigt auf, gelangt an die Oberfläche, kühlt ab und sinkt wieder nach unten. So weit, so gut. Richtig interessant wird es aber erst, wenn man nun auch noch die elektrischen und magnetischen Felder berücksichtigt. Denn die ganzen Elektronen, die durchs Sonnenplasma sausen sind ja nichts anderes, als ein elektrischer Strom. Und wo Strom ist, sind immer auch Magnetfelder (darum heißt es ja auch “Elektromagnetismus”). Das Magnetfeld der Sonne ist aber ein wenig anders als die Magnetfelder, die wir sonst so kennen. Wenn wir zum Beispiel einen Kühlschrankmagneten betrachten, dann hat der ein Magnetfeld, das so ist wie es ist und sich nicht ändert. Gleiches gilt (mit kleineren Einschränkungen) auch für das Magnetfeld der Erde. Aber die Sonne ist kein Festkörper, sondern besteht aus Plasma, das ständig in Bewegung ist. Und dieses sich ständig bewegende Plasma erzeugt auch sich ständig bewegende Magnetfelder. Die Magnetfelder sind quasi im Plasma eingefroren: Das Magnetfeld bewegt sich mit dem Plasma und das Plasma orientiert seine Bewegung am Magnetfeld. Diese Kopplung von Magnetfeldern und Materie wird von der Magnetohydrodynamik beschrieben und ist eine ziemlich knifflige Angelegenheit, die ich hier jetzt nicht im Detail erklären werde. Die Magnetfelder sorgen zum Beispiel dafür, dass im Inneren eines “Schlauchs” aus magnetischen Feldlinien ein geringerer Druck herrscht, als außen. Plasma mit einem starken magnetischen Feld steigt also nach oben. Ist das Magnetfeld stark genug, dann können die Feldlinien die Oberfläche der Sonne durchbrechen und wir sehen einen Sonnenfleck. Die Magnetfelder behindern den Aufstieg von neuem heißen Material aus den tieferen Schichten. Diese Regionen sind also ein wenig kühler (nur knapp 4000 Grad statt 6000 Grad) und erscheinen uns deswegen dunkler.
Wenn die Feldlinien sich über die Oberfläche der Sonne wölben, dann können sie Material mitreißen. Diese leuchtenden Bögen nennt man “Protuberanzen” und manchmal können sie explosiv sein. Die Feldlinien können eine Art “Kurzschluss” erzeugen, wenn sich zwei entgegengesetzt gepolte Felder treffen. Dann wird jede Menge Energie freigesetzt und Plasma von der Sonne kann ins All geschleudert werden. So etwas nennt man einen koronalen Massenauswurf und wenn dieses Material auf die Erde trifft, dann spricht man vom “Sonnensturm”. Die Tatsache, dass die Sonne immer wieder mal Material ins All schleudert, nennt man “Sonnenaktivität”.
Es mag zwar etwas unheimlich klingen, wenn die Sonne Teile ihres Plasmas auf die Erde wirft – ist es aber nicht. Denn das passiert ständig. Denn auch ganz ohne koronale Massenauswürfe gelangt nicht nur Licht und Wärme von der Sonne bis zu uns, sondern auch ein stetiger Strom geladener Teilchen des Sonnenplasmas. Das nennt man “Sonnenwind” und er ist nicht weiter gefährlich. Denn die Erde ist gleich doppelt geschützt. Einmal haben wir unser eigenes Magnetfeld, an dem der Sonnenwind abprallt. Und dann haben wir auch noch eine Atmosphäre, die uns ebenfalls schützt. Das kann man schön im hohen Norden oder tiefen Süden sehen. In der Nähe der Pole verlaufen die Feldlinien des Magnetfeldes fast senkrecht und anstatt von ihnen abzuprallen kann der Sonnenwind hier entlang der Linien in die Nähe der Erdatmosphäre gelangen. Ungefähr 100 bis 200 Kilometer über der Oberfläche treffen die Teilchen nun auf die ersten Moleküle unserer Lufthülle. Der Sonnenwind ist schnell; bis zu drei Millionen Kilometer pro Stunde. Der Aufprall ist dementsprechend heftig und regt die Luft zum Leuchten an. Vom Boden aus können wir nun wunderbare Polarlichter sehen. (In der Realität ist die Wechselwirkung zwischen Sonnenwind, Erdmagnetfeld und Atmosphäre ein wenig komplizierter. Das Plasma von der Sonne wird in bestimmten Bereichen des Erdmagnetfelds festgehalten (dem Van-Allen-Gürtel) und kann je nach Stärke der Sonnenaktivität von dort zu den oberen Atmosphärenschichten gelangen)
Wer Lust hat, sich selbst einmal die Nordlichter anzusehen, der sollte sich möglichst bald nach Skandinavien aufmachen. Denn die Chance, sie zu beobachten, sind dieses Jahr so gut wie schon lange nicht mehr. Die Sonnenaktivität ist nicht immer gleich stark, sondern ändert sich periodisch. Alle ungefähr 11 Jahre erreicht sie ein Maximum und 2013 ist es wieder mal so weit. Diesen 11-Jahres-Zyklus hatte man schon im 19. Jahrhundert entdeckt. Die Astronomen beobachteten die Sonnenflecken auf der Sonne und stellten fest, dass es 11 Jahre besonders viele von ihnen gibt. Sonnenflecken sind aber nun ja genau die Regionen, wo Magnetfeldlinien die Oberfläche durchbrechen und sich Protuberanzen bzw. koronale Massenauswürfe bilden können. Je mehr Flecken, desto mehr Sonnenstürme.
Warum sich die Aktivität zyklisch ändert, ist noch nicht abschließend geklärt. Das hat mit dem zu tun, was sich tief im Inneren der Sonne abspielt und das ist schwer zu beobachten (eigentlich gar nicht, sondern nur mit indirekten Methoden). Auf jeden Fall spielt aber die Rotation der Sonne eine Rolle. Denn die Sonne ist kein Festkörper, sondern eine große Kugel aus Gas. Sie rotiert differentiell, das bedeutet, dass sich verschiedenen Teile verschieden schnell um ihre Achse drehen. Am Äquator dauert eine Umdrehung etwa 25 Tage, in der Nähe der Pole sind es 31 Tage. Das hat Folgen für das Magnetfeld, denn wir erinnern uns: Das Feld ist im Plasma eingefroren. Stellen wir uns ein “normales” Magnetfeld vor, ein sogenanntes poloidales Feld, mit Linien, die von Pol zu Pol verlaufen, so wie auch bei der Erde. Jetzt dreht sich die Sonne aber und zwar unterschiedlich schnell. Die Feldlinien folgen dem Plasma und weil die Sonne sich unterschiedlich schnell dreht, hängen die Linien in der Nähe der Pole immer ein bisschen hinterher. Die Feldlinien werden im Laufe der Zeit um die Sonne herum gewickelt und es entsteht ein starkes toroidales Magnetfeld mit Linien, die parallel zum Äquator verlaufen. Je stärker das Magnetfeld wird, desto mehr Linien steigen auf und verursachen Flecken, Protuberanzen und Sonnenstürme. Da sich das Plasma beim Aufstieg auch ausdehnt, bekommen die Regionen auch eine horizontale Bewegungskomponente. Dank des Coriolis-Effekt werden diese Regionen in Drehung versetzt, die Feldlinien werden spiralförmig verdreht und es gibt nun wieder eine neue poloidale Komponente. Das toroidale Feld bricht zusammen und ein neues poloidales Feld baut sich auf. Der Zyklus beginnt wieder von vorne.
Alle 11 Jahre (oder 10 oder 13, so exakt läuft das auch nicht ab) gibt es also mehr Sonnenstürme als sonst. Muss man sich deswegen Sorgen machen? Sind da tatsächlich “Mächtige Sonnenstürme”, die die Erde “bedrohen”, wie es ein aktuelle Artikel im Focus (WebCite) dramatisch behauptet? Kommt ein “gefährliches astronomisches Feuerwerk” und beginnt “das große Sterben”, wie es bei Focus recht reißerisch formuliert wird?
Nun ja. Lassen wir die Presse-Dramatik erstmal beiseite und schauen nach, was so ein Sonnensturm überhaupt anrichten kann. Wenn ein koronaler Massenauswurf auf die Erde trifft, dann ist man natürlich dort gefährdet, wo die Schutzschilde nicht mehr so gut wirken. Im All zum Beispiel, wo das Magnetfeld viel schwächer ist. Dort kann die Elektronik von Satelliten geschädigt werden. Auch weiter unten, dort wo die Flugzeuge fliegen, kann es Probleme geben. Damit die Menschen in den Flugzeugen nicht der stärkeren Teilchenstrahlung ausgesetzt sind, fliegt man in solchen Situationen ein wenig tiefer und meidet die Routen im hohen Norden und im tiefen Süden. Das bringt natürlich die Flugpläne durcheinander und kann zu Verspätungen führen. Und schließlich kann ein Sonnensturm auch zu einem Stromausfall führen. Wenn Plasma von der Sonne auf das Magnetfeld der Erde trifft, dann wird es quasi ein wenig eingedellt. Es schwingt für kurze Zeit ein wenig hin und her und dadurch ändert sich die Magnetfeldstärke die wir am Erdboden spüren. Das ist erstmal nicht besonders bedrohlich; jeder Kühlschrankmagnet erzeugt stärkere Änderungen im lokalen Magnetfeld als ein Sonnensturm. Aber wenn man lange elektrische Leiter betrachtet, wie zum Beispiel die Hochspannungsleitungen, die durchs ganze Land führen, dann kann das sich ändernde Magnetfeld dort einen Strom induzieren. Es fließt dann also mehr Strom durch die Leitung, als fließen sollte und das kann dazu führen, dass einer der Transformatoren durchbrennt. Dann fällt der Strom aus.
Ein Stromausfall ist an sich nicht sonderlich außergewöhnlich. Es fällt ständig irgendwo der Strom aus und in manchen Gegenden muss man froh sein, wenn er überhaupt irgendwann mal fließt. Aber es stimmt: Stromausfälle können schlimme Folgen haben. Unsere Welt ist mittlerweile komplett vom Strom abhängig. Ohne Strom gibt es keine Kommunikation, wir können nicht telefonieren; uns nicht im Fernsehen informieren und der Computer bleibt auch aus. Es gibt keinen Transport: Züge und Straßenbahnen fahren nicht mehr und wir kriegen auch kein Benzin mehr an der Tankstelle, weil das mit elektrischen Pumpen in die Zapfsäulen gepumpt wird. Die Kasse im Supermarkt funktioniert nicht mehr; die Geldautomaten rühren sich nicht mehr, in den Häusern ist es dunkel und wenn man Pech hat, auch noch kalt. Und so weiter. Stromausfälle können schwerwiegende Folgen haben.
Aber es gibt viele verschiedene Gründe für Stromausfälle. Die Sonnenstürme sind nur einer davon – und nicht unbedingt ein sonderlich häufiger Grund. 1989 fiel in der Gegend um Montreal in Kanada der Strom für 9 Stunden aus. 2003 gab es einen Stromausfall in Malmö. Die Zahl der Stromausfälle, die nicht von Sonnenstürmen verursacht werden, ist wesentlich häufiger! Trotzdem ist es natürlich wichtig, sich Gedanken über die Folgen zu machen und das haben die Wissenschaftler auch getan – über eine solche Studie habe ich ja hier schon mal kurz gesprochen. Aber man darf nicht vergessen, dass das Worst-Case-Szenario eines großen Stromausfalls auch das unwahrscheinlichste Szenario ist. Wenn Sonnenstürme uns tatsächlich so oft das Licht ausknipsen würden, dann hätten wir das ja bei den vergangen Maxima erlebt. Sonnenstürme passieren ständig und normalerweise kriegen wir davon auf der Erde nichts mit. Und es gibt noch einen wichtigen Punkt: Sonnenstürme kommen nicht unerwartet. Das Licht von der Sonne braucht 8 Minuten, das Plasma ein bis zwei Tage. Wenn wir einen koronalen Massenauswurf sehen, dann bleibt immer noch genug Zeit, bevor das Zeug auch wirklich da ist. Man kann dann zum Beispiel Satelliten in einen Ruhemodus versetzen, damit ihnen nichts passiert. Und die Energieversorger könnten sich auf Ausfälle vorbereiten. Dazu muss die entsprechende Infrastruktur vorhanden sein. Bei vielen Energiebetrieben scheint hier noch ein wenig das Problembewusstsein zu fehlen. In den nordischen Ländern, wo man statistisch stärker unter Sonnenstürmen zu leiden hat, hat man sich schon mehr Gedanken um sichere Leitungen gemacht. Aber das sollten auch andere Länder tun. Denn die Sonne ist nur einer von vielen möglichen Auslösern eines Stromausfall. Generell können alle starken Fluktuationen ein Stromnetz zusammenbrechen lassen. Wenn zum Beispiel in Deutschland in Zukunft der ganze Strom aus regenerativen Quellen wie Wind, Sonne oder Wasserkraft erzeugt werden soll, dann hat das auch Auswirkungen auf die Stabilität der Netze. Hier fluktuiert die Menge an erzeugtem Strom viel mehr als bei Kohle- oder Kernkraftwerken, die immer die gleiche Menge Strom ins Netz einspeisen. Mit diesen Fluktuationen muss man umgehen und Hard- und Software entsprechend aufrüsten.
Klar, die Sonne ist weit weg und abgesehen von den Astronomen weiß keiner so richtig, was dort los ist. “Sonnensturm” klingt schön gruslig und vor dem Unbekannten kann man immer am besten Angst haben. Und was ist unbekannter als das Weltall? (Für die Angst vor den Vorgängen im Weltall wurde das schöne Wort Kosmophobie geprägt). Es ist durchaus sinnvoll, sich um Stromausfälle zu sorgen. Unsere Welt ist vom Strom abhängig und wenn der Strom ausfällt, wird es problematisch. Wenn man nun aber so tut, als wäre die Sonne der einzige Grund, warum man sich vor Stromausfällen fürchten müsse, dann ist das eine verzerrte Wahrnehmung der Realität und nichts anderes, als der Versuch die Angst der Menschen vor dem Unbekannten auszunutzen. Wenn man sich um Stromausfälle Sorgen machen will, dann soll man sich lieber um die dank des Klimawandels immer stärker auftretenden extremen Wetterereignisse sorgen. Denn auch Stürme, Überschwemmungen, Waldbrände oder extreme Kälte können zu Stromausfällen führen. Oder man sollte sich um terroristische Anschläge sorgen. Zum Glück sind die meisten Terroristen so dumm und so fanatisch, dass sie sich lieber vor irgendwelchen Botschaften in die Luft sprengen oder sonst irgendwelche “symbolischen” Anschläge durchführen und die Kraftwerke und Hochspannungsleitungen ignorieren (Zu diesem Thema empfehle ich den Roman Blackout von Marc Elsberg). Aber Sonnenstürme die so schwer sind, um auf der Erde Schaden anrichten zu können, sind 1) äußerst selten und kommen 2) nicht ohne Vorwarnung. Also kein Grund für Kosmophobie…
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