Wenn man über Wissenschaft schreiben will, dann kann man sich natürlich nicht einfach irgendwas ausdenken. Man braucht verläßliche Informationen und Quellen. Glücklicherweise existieren diese Quellen so gut wie immer. Denn die Wissenschaftler veröffentlichen ihre Forschungsergebnisse in Fachzeitschriften und dort kann sie jeder nachlesen. Zumindest im Prinzip… Denn in der Realität wird es einem oft sehr schwer gemacht, auch tatsächlich Zugriff auf diese Primärquellen zu erhalten. Das ist besonders dann problematisch, wenn man als Blogger oder Journalist nicht einfach nur irgendwelche Pressemitteilungen abtippen möchte, sondern die Geschichte von Grund auf recherchieren will.
Wissenschaftliche Fachzeitschriften sind nichts, was man am Kiosk um die Ecke kaufen kann. Diese speziellen Journale gibt es (mit ganz wenigen Ausnahmen) überhaupt nicht im normalen Handel. Man kann sie höchstens abonnieren und dann zu Preisen von einigen tausend Euro im Jahr, die sich nur Universitätsbibliotheken und Bildungseinrichtungen leisten können. Leisten müssen – denn die Wissenschaftler brauchen den Zugang zur aktuellen Fachliteratur. Es ist eigentlich absurd, dass Universitäten sich die publizierten Ergebnisse zurück kaufen müssen. Immerhin haben sie ja vorher schon die Forscher und die Infrastruktur finanziert, die diese Ergebnisse geliefert haben. Und die Forscher haben dann oft noch extra dafür bezahlt, ihre Ergebnisse in einer Fachzeitschrift veröffentlichen zu dürfen (in einem der großen amerikanischen Astronomiejournale zahlt man über 100 Dollar pro Seite, die man veröffentlichen will). Man muss also im schlimmsten Fall dreimal bezahlen: Einmal für die Forschung selbst, einmal für die Veröffentlichung der Ergebnisse und einmal, um diese Veröffentlichung auch lesen zu dürfen. Bezahlen tun in den allermeisten Fällen wir alle, denn als Steuerzahler sind wir es, die die Universitäten und Bibliotheken finanzieren. Und trotzdem hat man als normaler Bürger große Probleme, Artikel in Fachzeitschriften zu lesen.
Ein normales Abonnement solcher Zeitschriften ist unbezahlbar. Eine entsprechende Bibliothek oder Universität in der man vielleicht Zugriff auf die Artikel bekommen könnte (was oft sehr kompliziert sein kann) ist nicht immer in der Nähe. Und auch wenn es schon lange alle neuen Fachartikel der verschiedenen Zeitschriften im Internet verfügbar sind, hilft einem das auch nicht weiter. Denn da landet man vor einer Paywall und muss bezahlen, wenn man einen Artikel lesen will (und das nicht zu knapp…). Wenn man da im Zuge einer Recherche ein paar Dutzend Artikel lesen möchte bzw. muss, dann kostet das schnell ein paar hundert Euro.
Ich habe schon öfter über diese absurden Regelungen geschrieben und bin der Meinung, dass wissenschaftliche Ergebnisse prinzipiell für alle zugänglich sein müssen. Zumindest immer dann wenn öffentliche Gelder im Spiel sind, sollten die Forscher verpflichtet werden, in Open-Access-Journalen zu veröffentlichen (und natürlich muss ihnen auch die dafür nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden). Viele Wissenschaftler haben leider immer noch Hemmungen, in solchen Journalen zu publizieren weil sie immer noch der Meinung wären, eine Arbeit wäre erst dann so richtig gut, wenn sie in Nature, Science oder einem anderen der “Top”-Journale veröffentlicht werden. Ich finde diese Haltung etwas lächerlich, denn eine Arbeit ist dann gut, wenn sie gut ist und nicht wenn sie im “richtigen” Heft steht.
Ich jedenfalls habe mich entschlossen, bei diesem Unsinn nicht mehr mit zu machen. Ich selbst publiziere zwar mittlerweile keine wissenschaftlichen Fachartikel mehr. Aber ich schreibe über aktuelle Forschungsergebnisse. Und ich hab keine Lust mehr, immer wieder vor einer Bezahlschranke zu stehen, wenn ich im Zuge einer Recherche eine originale Forschungsarbeit lesen will. Wenn die Arbeit nicht öffentlich für alle zugänglich ist, dann werde ich nicht darüber berichten!
Das ist natürlich oft schade. Ich hab hier mal aufgelistet, über welche Gechichten ich in den letzten Wochen schreiben wollte, es aber dann nicht getan habe, weil die Arbeit nicht öffentlich zugänglich ist:
- “An Integral View of Fast Shocks around Supernova 1006”, Sladjana Nikolic et al. 2013, Science. Ein netter Artikel über eine neue Methode, mit der man Supernovaüberreste beobachtet hat
- “Geophysical anomalies and quartz microstructures, Eastern Warburton Basin, North-east South Australia: Tectonic or impact shock metamorphic origin?” Andrew Y. Glikson et al 2013, Tectonophysics. Ein Artikel über die Suche nach einem großen Einschlagskrater auf der Erde, der mit einem der großen Massensterben in Verbindung stehen könnte.
- “From Paper to Structured Carbon Electrodes by Inkjet Printing”, Glatzel et al. 2013, Angewandte Chemie. Ein Artikel über eine Methode, die zeigt wie man mit Tintenstrahldruckern elektronische Bauteile drucken kann.
- “A sub-Mercury-sized exoplanet”, Barclay et al. 2013, Nature. Ein Artikel über die Entdeckung des bisher kleinsten Exoplaneten, der sogar noch kleiner als der Merkur ist.
- “On the Formaton of Dipeptides in Interstellar Modell Ices”, Kaiser et al. 2013, Astrophysical Journal. Ein Artikel über neue Untersuchungen die zeigen, dass die ersten Bausteine des Lebens durch Kometen auf die Erde gelangt sein können.
- “The sixteenth century Alderney crystal: a calcite as an efficient reference optical compass?”, Le Floch et al. 2013, Proceedings of the Royal Society A. Ein Artikel der erklärt, wie die Wikinger mit speziellen “Sonnensteinen” die Polarisation des Lichts nutzten, um auch bei Bewölkung navigieren zu können.
- “3D Reconstruction of the Source and Scale of Buried Young Flood Channels on Mars”, Morgan et al. 2013, Science. Ein Artikel über die Untersuchung unterirdischer Kanäle auf dem Mars, die bei früheren Überflutungen entstanden sind.
Ich weiß natürlich, dass es trotzdem Möglichkeiten gibt, an solche Arbeiten zu kommen. Man kann natürlich immer die Forscher direkt kontaktieren und meistens geben sie einem dann eine Kopie der Arbeit. Ich könnte auch einfach per Twitter oder Facebook Leute suchen, die über ihre Universität Zugang zu den elektronischen Archiven haben und mir eine Kopie schicken können. Und das habe ich früher auch oft genug getan. Aber ich habe keine Lust mehr, um Informationen zu betteln! Einmal, weil es ums Prinzip geht. Ich will bei diesem ganzen System nicht mehr mitmachen. Aber auch, weil es keine praktikable Methode ist, mit der man arbeiten kann. Es geht ja oft nicht nur um einen einzigen Artikel. Manchmal findet man darin dann einen Verweis auf einen anderen Artikel, den man ebenfalls lesen möchte, um das Thema zu verstehen. Manchmal sind es auch zwei Artikel, manchmal sind es fünf, die man zumindest überfliegen muss, um halbwegs zu durchblicken um was es geht. Und ich kann und will nicht ständig irgendwelche Leute anbetteln, mir Artikel zu schicken!
Es wird vermutlich noch lange dauern, bis sich hier etwas ändert. Die Veränderun muss wahrscheinlich von der Politik ausgehen. Man braucht neue Richtlinien, was die Vergabe von Fördergeldern und die Publikation der Ergebnisse angeht. Und es braucht auch neue Richtlinien, wenn es um die Beurteilung von wissenschaftlichen Efolg geht. Solang eine Publikation in Nature oder Science immer noch so wichtig genommen wird, werden die Wissenschaftler nicht anders können, als danach zu streben, wenn sie Karriere machen (oder einfach nur einen Job bekommen) wollen.
Aber selbst wenn sich im System erstmal nichts ändert, könnten zumindest die Forscher selbst einen Schritt in die richtige Richtung machen. Man kann seine Artikel ruhig weiterhin in den normalen Journalen veröffentlichen. Man kann sie aber zusätzlich auch bei Preprint-Servern wie arXiv einstellen. Dort kann sie dann jeder kostenlos lesen. Bei arXiv veröffentlichen mittlerweile schon sehr viele Wissenschaftler (manche sparen sich sogar den Umweg über ein Journal und publizieren gleich direkt und ausschließlich bei arXiv). Aber leider nicht alle. Das hängt auch vom Arbeitsgebiet ab; bei manchen Disziplinen hat es sich durchgesetzt, dass man Artikel dort einstellt, bei manchen noch nicht.
Aber selbst wenn man seine Arbeiten aus welchen Gründen auch immer nicht bei arXiv freigeben will: Wenn man eine Pressemitteilung verfasst und veröffentlicht; wenn man also aktiv die Öffentlichkeit und den Kontakt zu den Medien sucht, dann hat die Originalpublikation auf der die Pressemitteilung beruht, gefälligst ein Teil dieser Pressemitteilung zu sein!
Wenn man will, dass Journalisten über die eigene Forschungsarbeit berichten, dann muss man den Journalisten auch die Möglichkeit geben, die ganze Geschichte zu verstehen und ihnen nicht nur eine fertig formulierte Pressemitteilung vorsetzen. Und zur ganzen Geschichte gehört eben auch die Originalpublikation. Und wenn man die Publikation nicht öffentlich machen will oder darf, weil das Journal so etwas verbietet, dann muss man eben auf eine Pressemitteilung verzichten oder sich ein anderes Journal suchen!
Ich habe jetzt lange genug gemeckert und meiner Meinung nach durchaus zu Recht. Aber es gibt natürlich auch positive Beispiele. Wie gesagt, sehr, sehr viele Wissenschaftler geben ihre Artikel schon seit langem bei arXiv frei. Und es gibt auch viele wissenschaftliche Einrichtungen, die bei ihren Pressemitteilungen immer darauf achten, möglichst viele zusätzliche Informationen, inklusive der Originalpublikation, zur Verfügung zu stellen.
Das bis jetzt beste, was mir in der Hinsicht begegnet ist, ist das Informationsportal des Chandra-Weltraumteleskops. Chandra wird von der NASA betrieben und die Homepage des Teleskops ist äußerst professionell. Wenn dort eine neue Pressemitteilung veröffentlicht wird, dann ist das nicht einfach nur ein Text mit ein paar Bildern. Man bekommt eine sehr übersichtliche Seite präsentiert, die einem wirklich genau das sagt, was man wissen will (und oft auch das, von dem man noch gar nicht wusste, dass man es wissen will).
Gerade wenn es um Astronomie geht, gibt es ja immer ein paar grundlegende Fakten, die vor allem die Öffentlichkeit interessant findet, die Wissenschaftler selbst aber nicht so sehr, weswegen sie in der Öffentlichkeitsarbeit fehlen. Wie weit weg ist der Stern/die Galaxie? Wie groß ist das Objekt? Wo am Himmel ist das? Schaut das wirklich so aus wie auf dem Foto? Genau diese Fragen bekommt man bei Chandra gleich zu beginn beantwortet. Besonders schön ist auch die Menüleiste unter dem Bild. Die meisten astronomischen Bilder sind Kombinationen in verschiedenen Wellenlängenbereichen; viele davon nicht für das Auge sichtbar (das gilt besonders bei Chandra, ein Röntgenteleskop). Das, was man auf den Bilder sieht, kann man “in echt” so nicht sehen. Bei Chandra kann man sich genau ansehen, wie das Bild zusammengesetzt ist und sich mit einem simplen Klick zum Beispiel nur das sichtbare Licht anzeigen lassen oder nur die Röntgenstrahlung.
Die eigentliche Meldung bei Chandra ist ebenfalls schön übersichtlich gehalten; zusammen mit Infos über Bilder oder andere Informationsquellen am Rand.
Und am Ende gibt es nochmal all die detaillierten Informationen, die man vielleicht haben möchte. Die genaue Größe des Bildes. Die Belichtungszeit. Die Koordinaten, das Aufnahmedatum und das Instrument. Es wird nochmal grafisch zusammengefasst, wie weit entfernt sich das fragliche Objekt befindet und in welchen Wellenlängen es beobachtet wurde. Und natürlich eine Referenz zur originalen Forschungsarbeit mit Link zur Quelle!
Die Homepage von Chandra entspricht meiner Meinung nach fast dem Idealbild einer Pressemittteilung bzw. einer Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Was das angeht ist aber die NASA generell ziemlich gut. Auch das Hubble-Teleskop hat eine eigene Seite. Auch hier gibt es die Infos sehr übersichtlich; wenn auch vielleicht nicht ganz so schön aufgemacht wie bei Chandra:
Aber auch hier gibt es alle Detailinformationen die man haben möchte und auch hier gibt es natürlich einen Link zur originalen Forschungsarbeit!
Was Öffentlichkeitsarbeit angeht, kann Europa noch viel von Amerika lernen. Aber auch in Europa gibt es Organisationen, die sehr gute und gut aufbereitete Pressemitteilungen verbreiten. Besonders gut macht das die Europäische Südsternwarte (ESO). Bei der ESO gibt es etwas, dass es bei der NASA nicht gibt: Hier gibt es Übersetzungen in andere Sprachen!
Ok, als Wissenschaftler muss man sowieso englisch können und als Journalist oder Blogger der über Wissenschaft berichtet, sollte man ebenfalls englisch beherrschen, denn die das ist die Sprache, in der die originalen Forschungsarbeiten verfasst werden. Aber bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit sollte man durchaus auch mal die Sprache verwenden, die die Menschen sprechen. Die NASA, als amerikanische Organisation, richtet sich natürlich vor allem an die amerikanische Öffentlichkeit. Aber eigentlich sollte man dort wissen, das Wissenschaft und Forschung international sind und Interesse daran überall auf der Welt vorhanden ist. In Europa ist das dank der vielen Sprachen noch offensichtlicher und es schön, dass die ESO das berücksichtigt und entsprechende Übersetzungen anbietet (vielen Dank an das Haus der Astronomie in Heidelberg, wo die deutschsprachigen ESO-Texte verfasst werden). Auch bei den ESO-Pressemitteilungen gibt es viele zusätzliche Informationen, wenn auch vielleicht nicht ganz so detailliert und übersichtlich wie bei der NASA. Und auch die ESO veröffentlicht die originalen Forschungsartikel, wenn auch leider nicht immer. Aber wenn man sich ansieht, wie der öffentliche Auftritt anderer Forschungseinrichtungen aussieht, dann steht die ESO immer noch weit oben auf einer kurzen Liste vorbildlicher Organisationen!
Es gibt also die Möglichkeit, an die Primärquellen zu kommen. Es gibt Wissenschaftler, die sie von sich aus veröffentlichen. Es gibt Forschungseinrichtungen, die erkannt haben, dass man bei einer Presseinformation immer auch die Primärquelle inkludieren sollte. Aber das System selbst ist immer noch so absurd wie immer. Noch immer muss für die gleichen Forschungsergebnisse mehrfach bezahlt werden. Noch immer sind die normalen Leute ausgeschlossen und haben keinen Zugriff auf die Artikel. Ich bin mir sicher, dass sich das irgendwann ändern wird. Aber ich fürchte, es wird noch sehr, sehr lange dauern…
Kommentare (45)