Im Jahr 1766 glaubte der Astronom Johann Daniel Titius von der Universität Wittenberg, er hätte eine gewisse Regelmäßigkeit im Aufbau des Sonnensystems entdeckt. Die Planeten wären nicht einfach willkürlich um die Sonne verteilt, sondern folgten mit ihrem Abständen einem mathematischen Gesetz. Ein Gesetz, das wir heute als die “Titius-Bode-Reihe” kennen und dessen Geschichte ich hier in aller Ausführlichkeit beschrieben habe. Die Titius-Bode-Reihe hat in der Geschichte der Astronomie eine wichtige Rolle gespielt. Denn zur Zeit von Titius hatte sie eine Lücke. Sein Gesetz funktionierte nur, wenn man davon ausging, dass sich zwischen Mars und Jupiter noch ein Planet befindet. Und weil man Ende des 18. Jahrhunderts wirklich fest davon überzeugt war, dass die Titius-Bode-Reihe korrekt ist, machte man sich auf die Suche nach diesem fehlenden Planeten. Im Jahr 1801 wurde man tatsächlich fündig; man entdeckte zuerst den Asteroid Ceres und danach noch Dutzende andere kleine Himmelskörper an der von Titius vorhergesagten Stelle. Gut, es war kein Planet, aber trotzdem hatte man dank der Titius-Bode-Reihe ein paar neue Himmelskörper entdeckt! Vielleicht klappt das ja auch in extrasolaren Planetensystemen?
Im 19. Jahrhundert zeigte sich mit der Entdeckungen von Neptun dass die Reihe nicht mehr stimmt. Dieser Planet sollte eigentlich laut der Titius-Bode-Reihe gar nicht existieren. Mittlerweile ist man größtenteils der Meinung, dass die Abstandsregel von Titius nur eine mathematische Spielerei ohne echten physikalischen Hintergrund ist. Sie hatte nur “funktioniert”, weil Titius die Parameter passend hingebogen und die diversen Ungenauigkeiten ignoriert hatte.
Aber trotzdem gibt es immer wieder Wissenschaftler, die sich Gedanken darüber machen, ob die Abstände der Planeten vielleicht doch irgendeiner Regel folgen und vorhergesagt werden können. Das wäre besonders praktisch, wenn es um extrasolare Planeten geht. Hier ist unser Wissen aus technischen Gründen meist beschränkt und wir kennen selten alle Planeten, die einen fremden Stern umkreisen sondern immer nur ein paar. Wenn man aus den Abständen dieser paar bekannten Planeten vorhersagen könnte, wo sich andere Planeten befinden, dann wäre das eine ziemlich großartige Sache! Und genau das ist es, was Timothy Bovaird und Charles H. Lineweaver von der Australian National University in Canberra in ihrem Artikel “Exoplanet Predictions Based on the Generalised Titius-Bode Relation” probieren.
Bovaird und Lineweaver verwenden natürlich nicht die originale Titius-Bode-Reihe aus dem 18. Jahrhundert sondern eine verallgemeinerte Version. So sieht sie aus:
an ist die große Halbachse des n-ten Planeten, also der mittlere Abstand des Planeten zum Stern. n ist die Nummer des Planeten; bei uns im Sonnensystem hätte zum Beispiel Merkur die Nummer 0, Venus hätte n=1; die Erde n=2; der Mars n=3; und so weiter. a (nicht mit an verwechseln – die Parameter wurden hier etwas unglücklich benannt!) und C sind zwei Zahlen, die für jedes Planetensystem die Abstände bestimmen und genau die Parameter, die man herausfinden muss. Kennt man a und C dann kann man ganz einfach berechnen, wo sich Planeten befinden müssen.
Bovaird und Lineweaver haben sich nun alle extrasolaren Planetensysteme angesehen, bei denen man mindestens 4 Planeten kennt. Dort haben sie probiert, a und C so zu bestimmen, dass die Beobachtungsdaten damit am besten beschrieben werden. Anschließend haben sie nachgesehen, ob die so definierten allgemeinen Titius-Bode-Reihen die Existenz noch unbekannter Planeten vorhersagen. Hier ist eine Übersicht über die Ergebnisse.
Von oben nach unten sind die verschiedenen Planetensysteme aufgeführt (Wichtig: Die meisten diese Planeten sind nur Planetenkandidaten und wurden noch nicht bestätigt!). Die Zahlen neben den Namen sind ein Maß dafür, wie gut sich das System mit einer Titius-Bode-Reihe beschreiben lässt. Die Abstände der Planeten von ihrem Stern sind hier durch die Umlaufzeit angegeben (Je geringer der Abstand desto geringer ist nach dem dritten Keplerschen Gesetz auch die Umlaufzeit). Blaue Kreise symbolisieren bekannte Planeten (hellblau sind die, die mit der Transitmethode entdeckt wurden; dunkelblau die anderen). Die roten bzw. rot gefüllten Kreise geben an, wo die Titius-Bode-Reihen noch unbekannte Planeten vorhersagen und die Größe aller Kreise symbolisiert die Masse der Planeten.
Insgesamt sind es 62 Planeten, deren Existenz von der verallgemeinerten Titius-Bode-Reihe vorhergesagt werden; zwei davon sogar in der jeweiligen habitablen Zone ihres Sterns. Was ist von der ganzen Geschichte zu halten? Die originale Titius-Bode-Reihe hat sich als falsch herausgestellt. Wird die Methode bei anderen Sternen besser funktionieren?
Meiner Meinung nach nicht. Ich habe mit der ganzen Sache folgende Probleme:
- Physikalischer Hintergrund: Warum sollten die Planetenabständen irgendwelchen allgemeinen Regeln folgen? Wir kennen noch nicht alle Details der Planetenentstehung und bis jetzt sieht es nicht so aus, als würde das alles schön geordnet und regelmäßig ablaufen. Ganz im Gegenteil. Ok, es gibt ein paar grundlegende Faustregeln (die im Artikel auch erwähnt werden), aber meiner Ansicht nach bei weitem nicht genug, um daraus so etwas wie ein Abstandsgesetz ableiten zu können. Die Planetenentstehung hängt von so vielen Parametern ab: Wie groß ist der ursprüngliche Nebel, aus dem alles entsteht? Wie stark leuchtet der Stern und wie stark ist sein Sternwind? Ist es ein Einzelstern oder Doppelstern? Und so weiter.
- Dynamik: Und selbst wenn die Planeten alle nach irgendwelchen Regeln entstehen die wir noch nicht verstanden haben und ihre Abstände sich vorhersagen lassen würden: Die Planeten bleiben im Allgemeinen nicht dort, wo sie entstehen! Es gibt die planetare Migration; die Planeten wandern durchs Sonnensystem. Es gibt Chaos und Kollisionen: Junge Planeten werden wieder zerstört oder aus dem System geworfen. Es erscheint unwahrscheinlich, dass sich die Planeten nach all der Dynamik wieder auf Orbits einfinden, die sich durch eine simple Formel vorhersagen lassen.
- Asteroiden: Ich verstehe nicht, warum man die Asteroiden bei dieser Reihe berücksichtigt. Die Autoren erklären im Artikel explizit, dass sie den Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter mit einbezogen haben, weil dann die Reihe besser funktioniert. Aber der Asteroidengürtel ist kein Planet. Und nein, er war auch nie ein Planet, der vielleicht zerstört wurde oder so. Dafür ist dort VIEL zu wenig Material vorhanden. Der Asteroidengürtel markiert gerade den Bereich im Sonnensystem, wo sich KEIN Planet bilden konnte (weil der gravitative Einfluss des nahen Jupiters das verhindert). Es erscheint mir ein wenig absurd, wenn man das einfach vermischt. Wenn die Titius-Bode-Reihe sowohl Positionen beschreibt, an denen sich Planeten finden als auch Positionen, an denen sich keine Planeten befinden, dann ist sie völlig beliebig.
- Masse: Die Titius-Bode-Reihe sagt nichts über die Masse der Planeten aus! Und wie der vorherige Punkt zeigt, ist das ein enorm wichtiger Parameter. Wäre der Jupiter kleiner, wäre vielleicht statt des Asteroidengürtels doch noch ein Planet da. Wäre die Erde größer, würde es vielleicht keinen Mars geben. Und so weiter. WENN etwas bestimmt, wo sich Planeten befinden können und wo nicht, dann die Masse der Planeten, denn die bestimmen, wie stark die wechselseitigen gravitativen Störungen sind und wo sich Himmelskörper noch sicher aufhalten können und wo nicht. Die Masse wurde in den verallgemeinerten Formeln nicht berücksichtigt (im Diagramm wurden die Werte nur anhand der Beobachtungsgenauigkeit geschätzt und man Werte ausgewählt, die gerade noch groß genug sind, damit sie unter die Detektionsgrenze der aktuellen Instrumente fallen). Will man Aussagen über die Architektur eines Planetensystems machen, dann muss man auch über die Massen der Planeten reden. Die bestimmen fast alles!
Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass die Titius-Bode-Reihe mehr sein kann, als nur eine historische Kuriosität und das sie benutzt werden kann, um extrasolare Planeten zu finden. Aber das schöne an der Angelegenheit ist ja, dass sie einwandfrei überprüfbar ist! Bovaird und Lineweaver haben die Existenz von 62 Planeten vorhergesagt und mit den Beobachtungen der nächsten Jahren werden wir auf jeden Fall feststellen können, ob diese Planeten auch wirklich da sind oder nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten davon nicht da sind bzw. an ganz anderen Plätzen befinden. Aber ich lasse mich auch gerne vom Gegenteil überzeugen. Wenn diese Vorhersagen tatsächlich auch nur annähernd korrekt sind, dann wäre das eine ziemlich große Sache! Dann würde es ein simples, allgemeines Gesetz geben, dass bestimmt, wie Planetensysteme aussehen! Es müsste demnach auch simple, allgemeine Gesetze geben, die der Entstehung von Planeten zu Grunde liegen. Es wäre cool, wenn so etwas wie eine Titius-Bode-Reihe existieren würde. Und es lohnt sich, das zu überprüfen. Aber bis das geschehen ist, bleibe ich erstmal skeptisch…
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