Wieviel ist eine Millionen Jahre?
Wie aber kommt man nun auf die Idee, ein Endlager für radioaktiven Müll wäre gerade in einem Salzstock „sicher für die Ewigkeit“? Hier gilt es zunächst einmal, die Maßstäbe zu definieren. Zunächst reden wir nicht von einer Ewigkeit, der allgemeine Konsens der gefunden wurde, liegt mittlerweile sowohl national als auch international bei einer Millionen Jahre. Diese Zahl ergibt sich aus dem Inventar, welches in einem solchen Lager angelegt wird. Allgemein gilt im Strahlenschutz die Faustformel, dass nach der zehnfachen Halbwertzeit die Strahlung nicht mehr gefährlich ist. Für die meisten eingelagerten Isotope handelt es sich dabei um Halbwertzeiten von bis zu 100.000 Jahren. Und auch wenn einige der gelagerten Isotope eine Halbwertzeit von mehreren Millionen Jahren besitzen, so ist deren Anteil derart gering, dass diese nach einer Million Jahre ebenfalls nur noch in Spuren vorhanden sind und deren Gesamtaktivität nicht mehr als Besorgnis erregend eingestuft werden kann, da sie sich zu diesem Zeitpunkt dem natürlichen Level angeglichen haben.
Für ein weiteres Missverständniss in dieser Debatte sorgt, dass viele Menschen sich selber als Maßstab nehmen. Prinzipiell ist das eine verständliche Sache, denn viele Dinge in unserer Umgebung spielen sich auf vergleichbaren und überschaubaren Skalen ab. Aber dieser menschliche Maßstab versagt bei einer solchen Problematik, hier müssen wir andere Skalen definieren.
Gerade in den Wissenschaften ist das aber nichts ungewöhnliches: In der Kernphysik werden Reaktionen zwischen Teilchen betrachtet und studiert, die nur eine Milliardstel Sekunde dauern. Trotzdem gilt das schon fast als ein langer Zeitraum angesichts anderer Reaktionen, die in noch bedeutend kürzerer Zeit ablaufen (Stichwort: starke vs. schwache Wechselwirkung). Das krasse Gegenteil findet sich in der Astronomie, speziell in der Kosmologie: hier werden Zeiträume betrachtet, die über mehrere Millionen, ja sogar Milliarden Jahre ablaufen. Dennoch kann zum Beispiel auf der Grundlage der Kenntnis fundamentaler physikalischer und chemischer Prozesse (Kernreaktionen im Stern) sowie der zugehörigen Naturgesetze (Bewegung eines Sterns im Raum) ausgehend von den Beobachtungen in der Gegenwart die Entwicklung eines Sterns in der Zukunft bis zu seinem Tod zuverlässig beschrieben werden.
Aber auch zwischen den hier beschriebenen, unglaublich kurzen und schier ewig langen Zeiträumen gibt es unterschiedliche Maßstäbe: ein Historiker beispielsweise betrachtet Entwicklungen von einzelnen Personen, aber auch bis über viele Generationen hinweg. Biologen hingegen studieren Zeiträume die, im Rahmen von evolutionären Betrachtungen, auch mal zehn- oder gar hundertausend Jahre umfassen können.
Wichtig ist also, dass ein dem Problem angemessener Maßstab gewählt wird. Und für die vorliegende Problematik darf das nicht ein historischer, astronomischer, kernphysikalischer oder gar menschlicher Maßstab sein, hier muss die geologische Zeitskala gewählt werden. Im Rahmen dieser Skala werden Prozesse betrachtet, die naturgemäß weitaus langsamer ablaufen als wir aus unserer Alltagswelt kennen: die Bewegung der Kontinente, das Entstehen und Vergehen von Gebirgen oder Wanderungen von Gletschern. Und in diesem Maßstab ist eine Dauer von einer Millionen Jahre durchaus vernünftig beschreibbar.
Die vorhandenen Salzstöcke konnten diesbezüglich bereits eingehend untersucht werden. Bei solch einer Untersuchung geht man zunächst in die Vergangenheit. So wurden in Salzstöcken Wassereinschlüsse gefunden, die nachweisbar seit mehr als 250 Millionen Jahre unter Verschluss liegen, seit dieser Zeit also in keinem Kontakt zur Biosphäre mehr standen. In dieser Zeit passierte viel: Pangäa, der Superkontinent des Erdmittelalters, bildete sich und zerbrach wieder, die Alpen wurden infolge des „Aufpralls“ der Afrikanischen an die Eurasische Platte gefaltet und daraufhin kam es zu einem Absenken der norddeutschen Tiefebene und zu guter Letzt kamen noch ein paar Dutzend Eiszeiten über diese Salzstöcke.
All diese Vorgänge konnten den Salzstöcken nichts anhaben, mehr noch: aufgrund der Konvergenz des Salzes waren die Wassereinschlüsse tief im Zentrum des Salzstockes derart dicht von der Umgebung abgeschlossen, dass nichts rein bzw. rauskam. Und hier setzt das Konzept der Endlagerung an: Eine solche Blase soll nun künstlich für den radioaktiven Abfall geschaffen werden und diesen ebenfalls für wenigstens eine Million Jahre (also ein 250stel der Zeit, die die Natur geschafft hat) von der Biosphäre abschirmen.
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