Ich war erst letzte Woche zu Besuch am Europäischen Kernforschungszentrum CERN und hab mich über die aktuelle Teilchenphysik informiert (auch wenn ich die Mathematik des Standardmodells der Teilchenphysik nicht komplett verstanden habe).
Aber eines habe ich auf jeden Fall verstanden: Es gibt stabile Teilchen und instabile Teilchen. Stabil ist das Zeug, aus dem wir bestehen: also zum Beispiel Elektronen und die Up- bzw. Down-Quarks aus denen die Protonen und Neutronen aufgebaut sind (die wiederum die Atomkerne der Materie bilden). Diese Teilchen existieren unendlich lange. Ein Elektron bleibt für immer und ewig ein Elektron und ändert sich nicht. Andere Teilchen aber sind instabil. Zum Beispiel die restlichen vier Quarks die neben Up und Down noch existieren (Charm, Strange, Top und Bottom). Sie leben nur Sekunden oder Sekundenbruchteile, bevor sie zerfallen und aus der freiwerdenen Energie neue Teilchen entstehen, die dann selbst wieder zerfallen; so lange, bis am Ende wieder die normalen und stabilen Teilchen übrig bleiben. Manche Teilchen überleben auch nur in Gesellschaft. Ein einsames Neutron bleibt nur für wenige Minuten stabil, bevor es zerfällt – ist es dagegen als Teil eines Atomkerns an ein Proton gebunden, dann bleibt es dauerhaft stabil.
Auch das Licht kann in der Quantenmechanik als Teilchen behandelt werden. Es besteht aus Photonen und diese Lichtteilchen müssten dauerhaft stabil sein. Immerhin haben sie keine Masse und wenn etwas keine Masse hat, kann es auch nicht in andere Teilchen zerfallen. Aber was, wenn das Photon doch eine Masse hat? Dann könnte es zerfallen – das Licht selbst wäre instabil. Aber das ist doch sicher nur Unsinn – wie soll und kann Licht Masse haben?
Julian Heeck vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg hält diese Frage nicht für Unsinn und hat eine wissenschaftliche Arbeit mit dem Titel “How stable is the photon?” veröffentlicht. Darin erklärt er, dass es zwar stimmt, dass das Photon in den quantenmechanischen Gleichungen die sein Verhalten beschreiben, keine Masse hat und dass die Gleichungen nicht mehr funktionieren, wenn man dem Photon eine Masse gibt. Aber es gibt Möglichkeiten, diese Gleichungen so umzuformulieren, dass sie weiterhin so funktionieren wie vorher, nur dass diesmal das Photon nicht zwingend masselos sein muss.
Die Theorie erlaubt also, dass Licht eine Masse hat und wenn das theoretisch möglich ist, dann gibt es keinen Grund, warum man einfach so von masselosen Photonen ausgehen sollte, meint Julian Heeck. Natürlich kann die Masse der Photonen nicht sonderlich groß sein; das hätten wir dann schon längst gemessen. Aber vielleicht sind die Photonen so ähnlich wie die Neutrinos. Das sind ebenfalls Elementarteilchen, die eine so geringe Masse haben, dass man sie sehr lange für masselos gehalten hat. Erst seit ein paar Jahren reichen die experimentellen Daten aus, um sicher sein zu können, dass die Neutrinos nicht masselos sind.
Heeck schlägt also vor, die potentielle Masse und damit auch die Lebensdauer eines Photons anhand von Beobachtungsdaten einzuschränken. Dazu benutzt er die Daten des Planck-Satelliten. Was der macht und misst habe ich in diesem Artikel ausführlich erklärt. Planck beobachtet die kosmische Hintergrundstrahlung; das sind Photonen, die kurz nach dem Urknall selbst entstanden sind und sich seitdem durch das All bewegen. Es ist das älteste Licht das wir sehen können und wenn man auf der Suche nach zerfallenden Photonen ist, muss man sein Glück dort versuchen. Wenn Photonen tatsächlich irgendwann instabil werden, dann sollten auch ein Teil des kosmischen Hintergrundlichts zerfallen. Wir sollten heute weniger Photonen messen können als damals vor 13,8 Milliarden ausgesandt wurden und um so weniger, je kürzer die durchschnittliche Lebenszeit der Photonen ist.
Man muss also die Beobachtungsdaten von Planck mit den theoretischen Vorhersagen vergleichen und nachsehen, ob es da Unterschiede gibt. Und wie ich im oben erwähnten Artikel erklärt habe, stimmen Plancks Beobachtungen mit den Vorhersagen extrem gut überein. Die Masse kann also wirklich nur klein sein und wenn man den größtmöglichen Wert nimmt, der noch mit den Beobachtungsdaten in Einklang zu bringen ist, dann folgt daraus eine Lebenszeit für das Photon von drei Jahren. Das klingt überraschend wenig, bezieht sich aber nur auf das Ruhesystem des Photons. Wenn man wissen will, wie lang das Photon aus Sicht eines externen Beobachters überlebt, muss man die relativistische Zeitdilatation berücksichtigen. Und Photonen sind schnell; das Licht bewegt sich immerhin mit Lichtgeschwindigkeit. Für uns lebt das Photon daher ungefähr eine Trillion Jahre – was deutlich länger ist als die bisherige Lebensdauer des Universums (knapp eine Milliarde mal länger!). Diese Zahl ist natürlich nur ein statistischer Mittelwert. Es wird Photonen geben, die wesentlich länger leben und Photonen, die schon viel früher zerfallen. Trotzdem ist das Photon immer noch ein enorm stabiles Teilchen – aber es könnte eben ein Teilchen sein, das nicht dauerhaft stabil ist.
Heeck schreibt am Ende seiner Arbeit:
“In conclusion, a massive photon sounds crazy and exotic, but it really is not. A massless photon is neither a theoretical prediction nor a necessity, but rather a phenomenological curiosity.”
Licht mit Masse klingt tatsächlich ein wenig verrückt – aber man muss sich eben auch mit den verrückten Dingen beschäftigen, solange sie nicht im Widerspruch zur restlichen Physik und den Beobachtungen stehen. Und bei instabilen Photonen ist das der Fall. Heeck schlägt für zukünftige Arbeiten ausführliche theoretische Untersuchungen der Eigenschaften des frühen Universums vor, um vielleicht noch bessere Vorhersagen zum Vergleich mit den Beobachtungen machen zu können. Wer weiß, was dabei heraus kommen wird…
(Und wenn das Thema mal bis zu den normalen Medien durchdringt, werden wir sicher bald mit Schlagzeilen der Form “Skandal! Zerfallende Photonen: Wissenschaftler machen das Licht radioaktiv!” rechnen müssen…)
Kommentare (129)