Im Jahr 2006 haben die Astronomen der Internationalen Astronomischen Union (IAU) eine offizielle Definition des Wortes “Planet” beschlossen. Bis dahin war nicht klar definiert, was man jetzt als Planet bezeichnen soll und was nicht. Das war lange Zeit ziemlich egal, weil es kaum Streitfälle gab. Aber in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und dann wieder zu Beginn des 21. Jahrhunderts gab es jede Menge Unklarheiten. Am Ende stand die neue Definition der IAU und ein Sonnensystem, in dem Pluto kein Planet mehr war. Das hat jede Menge Kritik hervorgerufen und den Ruf nach einer neuen Definition. Aber braucht es die wirklich?
Bis zum Jahr 1800 war alles recht klar. Es gab die Sonne und es gab die Planeten Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn und Uranus. Am 1. Januar 1801 fand aber der italienische Astronom Guiseppe Piazzi einen Himmelskörper der sich zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter bewegte. Genau dort wo laut der damals populären (aber heute widerlegten) Titius-Bode-Reihe ein neuer Planet vermutet wurde. Man nannte den Neuzugang im Sonnensystem “Ceres” und er wurde ganz selbstverständlich als “Planet” bezeichnet. In den folgenden Jahren fand man aber genau in der gleichen Gegend immer mehr neue “Planeten”. Im Jahr 1851 hatte das Sonnensystem 23 Planeten: Merkur, Venus, Erde, Mars, Ceres, Pallas, Juno, Vesta, Astrea, Hebe, Iris, Flora, Metis, Hyiea, Parthenope, Victoria, Igeria, Irene, Eunomia, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun (der zwischenzeitlich auch entdeckt wurde). Und es gab Streit. Vielen Astronomen erschien es absurd, dass sich da auf einmal so viele Planeten auf einem Haufen befinden sollten und dass diese Planeten alle deutlich kleiner waren als die anderen machte die Sache auch nicht besser. Ceres und seine Freunde waren kleine Felsbrocken im Vergleich mit den “normalen” Planeten. Im Jahr 1851 schließlich ging man dazu über, einem Vorschlag des großen Wissenschaftlers Alexander von Humboldt zu folgen und nur noch die “großen” Himmelskörper als Planeten zu bezeichnen. Der ganze Kleinkram zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter wurde fortan als “Asteroiden” bezeichnet und das Sonnensystem hatte nur noch acht Planeten: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun.
Im Jahr 1930 begann sich die Situation zu wiederholen. Wieder war man auf der Suche nach einem “fehlenden Planeten” (und wieder stellte sich erst lange danach heraus, dass die grundlegende Theorie falsch war und es diesen fehlenden Planeten nie gab). Wieder entdeckte man einen passenden Kandidaten, der aber deutlich kleiner war als man es von einem echten Planeten erwartete. Und wieder wurde er trotzdem als “Planet” bezeichnet und bekam den Namen “Pluto”. Ab 1930 hatte unser Sonnensystem also 9 Planeten und ein paar Jahrzehnte lang war alles friedlich. Ein paar Astronomen wiesen zwar darauf hin, das Pluto sich so gar nicht wie ein Planet benimmt. Er ist viel kleiner als die anderen; seine Bahn ist viel elliptischer, viel stärker geneigt und entspricht eher einer Asteroidenbahn und er befindet sich auch genau dort, wo man eigentlich einen weiteren Asteroidengürtel erwarten würde. Und genau den fand man auch! Ab 1992 wurden in der Gegend der Plutobahn immer mehr neue Asteroiden gefunden. Pluto der Planet saß also mitten in einem Haufen Asteroiden und benahm sich so wie ein Asteroid. Es gab seit den 1990er Jahren immer wieder Bestrebungen Pluto auch offiziell als das zu bezeichnen was er war: Ein großer Asteroid, den man halt zum Zeitpunkt seiner Entdeckung falsch einsortiert hatte, so wie damals auch Ceres und die anderen. Aber die zuständige Kommission der IAU weigerte sich mit dem Hinweis auf “historische Gründe”, das zu tun.
Dann aber wurde 2005 ein Asteroid gefunden, der größer war als Pluto. Und damit konnte sich die IAU nicht mehr um eine Entscheidung drücken. Entweder man macht Pluto zum Asteroid, den neuen Asteroid zum Planet oder lebt mit der absurden Situation, dass es im Sonnensystem Asteroiden gibt die größer sind als Planeten. Die IAU entschied sich dafür eine ganz neue Definition festzuschreiben. Der Vorschlag an dem die Kommission dann monatelang gearbeitet hatte war aber grottenschlecht und wurde bei der Abstimmung der Astronomen abgelehnt. Laut diesem Vorschlag wäre Pluto ein Planet geblieben und diverse Asteroiden – inklusive Ceres – wären zu Planeten ernannt worden. Mit all den neuen Entdeckungen in den kommenden Jahren wären wir bald wieder zurück im 19. Jahrhundert gewesen, als das Sonnensystem Dutzende “Planeten” hätten. Kurzfristig arbeitete man auf der IAU-Tagung also einen neuen Vorschlag aus. Bis dahin war die Masse das einzige Kriterium gewesen: Wenn ein Himmelskörper schwer genug war, so dass er unter seinem eigenen Gewicht zusammenfällt und eine runde Form annimmt, dann handelt es sich um einen Planeten. Der neue Vorschlag berücksichtigte auch die Entstehung der Himmelskörper: Er muss nicht nur schwer und rund sein, sondern auch während zur Zeit der Planetenentstehung seine Umgebung dominiert haben. Das heißt, dass er schnell genug groß genug werden musste, um das ganze Baumaterial in seiner Umgebung aufzubrauchen. Denn Asteroiden sind ja nichts anderes als der bei der Entstehung der Planeten übrig gebliebene Bauschutt. Asteroiden sind das, aus dem keine Planeten geworden sind!
Pluto ist zwar ein großer Asteroid, aber kein Planet, denn sonst würde er heute nicht mehr inmitten von Asteroiden sitzen sondern hätte sie während der Planetenentstehung eingesammelt. Diese neue Definition wurden angenommen und seit 2006 hat das Sonnensystem wieder nur 8 Planeten: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Und damit hätte man die Sache eigentlich auch beenden können. Aber besonders die amerikanischen Astronomen und die amerikanische Öffentlichkeit hing an Pluto. Immerhin war es der einzige Planet des Sonnensystems der von einem Amerikaner entdeckt wurde. Aus dieser Richtung hab es großen Protest und als Kompromiss einigte man sich darauf eine völlig neue Klasse von Himmelskörpern zu schaffen: Die Zwergplaneten. Oder, wie ich sie nenne: Die “Pluto muss etwas besonderes bleiben, verdammt noch mal!”-Planeten.
Rein physikalisch-astronomisch gesehen ist “Zwergplanet” identisch mit “großer Asteroid”. Damit ein Himmelskörper Zwergplanet genannt werden darf, muss er schwer genug sein, um eine runde Form zu haben. Das wars aber auch schon; er kann trotzdem noch mitten in einem Haufen anderer Asteroiden sitzen. So wie Pluto oder Ceres, die heute beide Zwergplaneten sind (zusammen mit Eris, Haumea und Makemake). Rein astronomisch macht diese Trennung zwischen Planeten und Zwergplaneten keinen Sinn. Man kann damit jetzt eben große Asteroiden wie Pluto weiterhin in eine besondere Klasse stecken. Man hat die Absurdität im Jahr 2008 noch ein wenig weiter geführt und die neue Klasse der “Plutoiden” eingeführt. Im wesentlich sind das alle Zwergplaneten hinter der Neptunbahn; Ceres und die anderen Hauptgürtelasteroiden gehören also nicht dazu.
Über die Planetendefinition der IAU kann man lange diskutieren. Aber meistens beschäftigt sich die Diskussion nur mit dem Thema, wie man Pluto vielleicht doch wieder irgendwie “zurückholen” oder noch mehr besonders machen kann. Zum Beispiel die kürzlich auf dem Preprint-Server arXiv veröffentlichte Arbeit “A Proposal for New Definitions of Solar System Bodies – Planet, Moon, and Satellite” von David Russell, offensichtlich einem Lehrer der amerikanischen “Owego Free Academy”. Er listet dort diverse Gründe auf, warum die aktuelle IAU-Definition schlecht ist. Mit einigen davon hat er recht, zum Beispiel, dass sie sich nur auf Planeten bezieht die die Sonne umkreisen und kein Wort über extrasolare Planeten verliert. Andere Gründe sind dagegen ein wenig seltsam. Zum Beispiel:
“One clear problem with the IAU definition is that if any of the four inner planets of the solar system
(Mercury, Venus, Earth, and Mars) were moved to the orbit of Pluto they would no longer be classified as a planet. A definition that allows an object to be a planet in one location in the Solar System but not another location is problematic.”
Ja, würde die Erde, der Mars oder ein andere Planet so wie Pluto mitten in einem Asterooidengürtel sitzen, dann wären sie keine Planeten. Aber Russell verkennt hier, dass sich die Definition auf einen dynamischen Prozess bezieht, nämlich die Entstehung der Himmelskörper. Es geht darum, wie sie entstanden sind. Die Erde hat alle verfügbaren Bausteine in ihrer Nähe benutzt; Pluto und die anderen Asteroiden nicht. Sie sind nicht so weit gewachsen, wie sie konnten. Man darf eben nicht nur den Himmelskörper selbst betrachten, sondern muss auch die Umgebung berücksichtigen. Wenn man einen Planeten aus seiner Umgebung reißt und versetzt, dann macht das ganze Konzept keinen Sinn mehr.
Russell sagt auch sehr deutlich, dass ein Zwergplanet immer noch ein Planet sein muss:
“A dwarf galaxy is still a galaxy. A dwarf star is still a star. A dwarf planet should still be a planet. “
Russell schlägt vor, diese Kategorisierung noch auszuweiten. Es soll nicht nur Zwergplaneten geben, sondern noch jede Menge andere Arten von Planeten. Es soll in Zukunft terrestrische Planeten, Asteroidengürtel-Planeten, Jupiter-Planeten und Kuiper-Planeten geben. Und keine Klasse darf wichtiger sein als eine andere:
“Each class of planet is considered a planet of equal ranking when compared to all other classes (…)”
Na ja. Ich halte das nicht für sehr zielführend. Zwischen terrestrischen Planeten und jupiterähnlichen Planeten unterscheiden die Planetologen ja sowieso schon immer, wenn sie die Eigenschaften von Planeten beschreiben wollen. Wenn man jetzt noch unbedingt die großen Asteroiden “Planeten” nennen will, ist das eine Sache. Das haben wir ja mit den “Zwergplaneten” jetzt schon. Aber es ist meiner Meinung nach völlig sinnlos, die Zwergplaneten nach ihrer Position im Sonnensystem aufzuteilen und “Asteroidengürtel-Planeten” und “Kuiper-Planeten” zu trennen. Abgesehen davon widerspricht sich Russell damit auch selbst denn er schafft nun selbst eine Klassifizierung, bei der sich die Bezeichnung eines Objekts ändert, wenn man es an einen anderen Ort im Sonnensystem versetzt.
Und auch Russell macht sich kaum Gedanken über extrasolare Planeten. Wir wissen mittlerweile viel über die Planeten anderer Sterne und es ist klar, dass unser Sonnensystem nicht als Modell für allgemeine Aussagen dienen kann. Andere Sterne werden von Supererden umkreist, also sehr großen terrestrischen Planeten. Es gibt aber auch Gasriesen, die kleiner sind als der kleinste jupiterähnliche Planet in unserem Sonnensystem und Planeten der mehrfachen Größe von Jupiter. Es gibt fremde System mit Asteroidengürteln die viel umfangreicher sind als unsere und Eisriesenplaneten die ihre Sterne in enormer Entfernung umkreisen.
Wenn wir in den letzten Jahren eines über Planeten gelernt haben, dann dass es keine eindeutige Klassifizierung gibt. Wir Menschen mögen zwar darauf bestehen, dass alles seinen Platz und seinen Namen hat. Dem Universum ist das aber ziemlich egal. Die Übergänge sind fließend. Es gibt keine klare Grenze zwischen Asteroiden und Planeten und es gibt keine klare Grenze zwischen Planeten, braunen Zwergen und Sternen. Irgendwann werden die Planeten so groß und heiß, dass in ihrem Innern für kurze Zeit ein bisschen Kernfusion stattfindet und irgendwann sind sie groß und heiß genug, dass für lange Zeit viel Kernfusion passieren kann. Wir haben uns halt darauf geeinigt, dass ein Stern erst dann ein Stern ist, wenn er Wasserstoff fusionieren kann – es gäbe auch andere Möglichkeiten.
Es mag zwar unbefriedigend sein, wenn wir irgendwo einen Himmelskörper entdecken und nicht sofort mit Sicherheit sagen können, ob es ein Asteroid, ein Planet oder sonstwas ist. Aber es geht ja eigentlich nicht um unseren Drang nach klaren Kategorieren. Es gibt keine klaren Kategorien. Es geht darum, möglichst viel über diese Objekte herauszufinden. Pluto wurde nicht plötzlich uninteressant, nur weil er seit 2006 nicht mehr “Planet” heißt. Er ist immer noch ein enorm faszinierender Himmelskörper und wird deswegen nicht weniger intensiv erforscht werden. Wenn es nach mir gehen würde, dann könnten wir den ganzen Kram mit den Definitionen überhaupt lassen. Das Universum ist viel zu interessant, als sich darüber zu streiten, ob ein Felsbrocken im All ein großer Asteroid oder ein kleiner Planet ist. Es ist der Felsbrocken, der interessant ist und der bleibt immer gleich interessant, egal wie wir ihn nennen wollen.
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