“Wer heilt hat Recht!”
Ein besseres “Argument” scheint es für die “Wirksamkeit” der “Alternativmedizin” kaum zu geben (Sorry für die vielen “, aber bei diesem Thema kommt man schwer ohne sie aus). Ist doch völlig schnurz, wenn die blöden Mediziner nicht erklären können, warum bis zur Unkenntlichkeit verdünntes Zeug als Medikament wirken kann oder wenn die doof-dogmatischen Wissenschaftler behaupten, es gäbe keine Aura, kein Chi, kein Yang und keine feinstoffliche Energie. Absolut egal, wenn hunderte Studien nachweisen, dass Geistheilung angeblich nicht funktioniert und Osteopathie Blödsinn ist. Denn: Wer heilt hat Recht! Basta. Wenns mir nach einem Besuch beim Quantenheiler besser geht und wenn mein Schnupfen verschwindet, nachdem ich ein paar Globuli geschluckt habe, dann interessiert es mich nicht, ob der Kram jetzt angeblich nicht funktioniert beziehungsweise den Erkenntnissen der Wissenschaft widerspricht. Wer heilt hat Recht!
Es scheint schwer, diesem Argument etwas entgegen zu setzen. Aber auch nur deswegen, weil es gar kein echtes Argument ist. Denn die Aussage “Wer heilt hat Recht” setzt voraus, dass 1) tatsächlich jemand von etwas “geheilt” wurde und das 2) die “Heilung” ursächlich auf eine bestimmte Therapie zurückgeführt werden kann. Und das sicherzustellen ist nicht immer so einfach wie man denkt. Wenn ich Kopfschmerzen habe, dann nehme ich manchmal eine Aspirin-Tablette und danach sind sie verschwunden. Manchmal trinke ich auch eine Tasse Tee und die Schmerzen verschwinden ebenso. Manchmal mache ich auch einfach gar nichts und trotzdem sind die Kopfschmerzen weg. Was hat mich nun “geheilt”? Der Tee? Die Aspirin-Tablette? Das Nichtstun? Hätte ich statt dem Nichtstun ein paar Glonoinum-D12-Globuli (verdünntes Nitroglyzerin; eines von 97 Mittelchen, die laut dieser Liste gegen Kopfschmerzen helfen) eingeworfen, dann wären meine Kopfschmerzen eben so weg gewesen. Aber im Gegensatz zu vorher wäre ich jetzt wahrscheinlich versucht, die “Heilung” als “Wirksamkeit” des homöopathischen Nitroglyzerins zu interpretieren.
Die ganze Sache ist ein sehr menschliches Problem. Wir Menschen wollen immer Kausalketten bilden. Wenn zwei Dinge nacheinander passieren, dann fällt es uns schwer, das eine nicht als Ursache des anderen anzusehen. Aber aus einer zeitlichen Nähe folgt eben leider keine ursächliche Verknüpfung. Nur weil ich mir jeden Morgen die Zähne putze und jeden Morgen die Sonne aufgeht, folgt daraus nicht, dass das erste die Ursache des zweiten ist. Nur weil meine Kopfschmerzen verschwinden, nachdem ich Tee (oder homöopathisches Nitroglyzerin) getrunken habe, folgt daraus nicht, dass er mich “geheilt” hat. Verschärft wird das Problem noch durch unsere ebenfalls sehr menschliche Neigung, unserer eigenen Erfahrung sehr viel mehr Wert beizumessen als sie verdient. Das was wir erlebt haben zählt für uns mehr als alles andere. Wir bilden uns ein, wir wären nicht in der Lage uns zu täuschen und wir bilden uns ein wir würden alles objektiv betrachten. Die Neurophysik und die Psychologie wissen aber schon seit langer Zeit, dass dem nicht so ist. Ganz im Gegenteil. Nichts fällt unserem Gehirn und unseren Sinnesorganen leichter, als uns zu täuschen. Wenn es etwas gibt, dem wir nicht vertrauen sollten, dann unserer eigenen Erfahrung. Aber das zu tun widerspricht uns instinktiv und selbst wenn wir über all das Bescheid wissen, fällt es uns schwer, objektive Erkenntnisse zu akzeptieren, wenn sie unserer Erfahrung widersprechen.
Ob irgendetwas tatsächlich “heilt” oder nicht lässt sich nicht durch persönliche Erfahrung bestimmen. Aus der Erfahrung eines Einzelnen kann man keine allgemeinen Schlüsse ziehen. Nicht einmal aus der wiederholten Erfahrung und auch nicht aus einer Sammlung vieler Einzelerfahrungen. Um aus solchen Anekdoten echte und verlässliche Daten zu machen, braucht es eine objektive Methodik und jede Menge Statistik. Und wenn man diese wissenschaftlichen Kriterien auf Dinge wie Homöopathie anwendet, dann zeigt sich eben, dass hier nichts “wirkt”. Und dort wo nichts wirkt, kann auch niemand “heilen” und niemand Recht haben. Und trotzdem das mehr als bekannt ist, fällt es uns wahnsinnig schwer, auf solche Ergebnisse nicht mit “Aber als ICH letzte Woche erkältet war und Globuli genommen habe, war ich danach wieder gesund. Egal was du sagst: Wer heilt hat Recht!” zu antworten…
Videoblogger Jörg Wipplinger hat diese Thematik in einem Video gut zusammengefasst. Er erklärt darin die “Erfolgsgeschichten der Alternativmedizin” und die verschiedenen Gründe, warum man den Eindruck bekommen könnte, man wäre von etwas “geheilt” worden, obwohl das eigentlich gar nicht passiert ist:
Kommentare (485)