Dieser Artikel gehört zu meiner Serie “Tatort-Wissenschaft”. Wer damit nichts anfangen kann findet hier eine Erklärung. Es geht in diesem Artikel nicht um eine wissenschaftliche Erklärung der Tatort-Handlung sondern darum zu zeigen, dass Wissenschaft tatsächlich überall ist. Egal was wir (oder die Tatort-Kommissare) machen, es steckt Wissenschaft dahinter. Wir erleben die Welt aber meistens getrennt. Da gibt es “Wissenschaft” – und dann gibt es “alles andere”. Zum Beispiel Krimis wie den Tatort. Es mag konstruiert erscheinen, den Tatort mit wissenschaftlichen Phänomenen und Erklärungen in Verbindung zu bringen. Die Wissenschaft war aber schon die ganze Zeit da. Unsere gedankliche Trennung zwischen Krimi und Wissenschaft ist konstruiert. Ach ja, und wenn ihr nicht wissen wollt, wer der Mörder war, dann lest am besten nicht bis zum Ende…
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Tatort-Folge Nummer 883 spielt in Münster. Es geht um Politik und Kunst. Es geht um Sex, Drogen und Menschenrechte. Und es geht um das komplette elektromagnetische Spektrum.
Im dunklen Wald von Münster laufen jede Menge bewaffnete Chinesen herum. Und in einem Museum der Stadt gibt es eine Ausstellung mit der Kunst einer chinesischen “Prinzessin”. Sie heißt Songma und steht auf Professor Karl-Friedrich Boerne. Er nimmt sie mit in die rechtsmedizinische Abteilung und zeigt ihr dort seine Leichen. Und während die Kollegen Thiel und Krusenstern zuhause stockbesoffen Geburtstag feiern vergnügen sich Boerne und Songma inmitten toter Menschen und extrahierter Organe…
Am nächsten Morgen wird der verkaterte Thiel von seinem Handy geweckt. Und wie das so ist mit einem ordentlichen Kater weiß man erstmal gar nicht, was so los ist und das Licht schmerzt in den Augen. So geht es auch Thiel – er aber kann froh sein, dass es nur das “normale” Licht ist, das ihm den Morgen versaut. Denn die Welt ist voll mit Licht das unsere Augen nicht sehen können. Mikrowellen zum Beispiel! Die kennen wir meistens nur aus dem Herd in unserer Küche; sie sind aber auch sonst überall zu finden.
Könnte Kommissar Thiel mit seinen Augen auch Mikrowellen sehen, dann würde nicht nur die Lampe in seiner Wohnung sondern auch das Handy hell leuchten. Denn es ist die Mikrowellenstrahlung, mit der die Signale für die drahtlose Kommunikation übertragen werden. Könnten wir Mikrowellen sehen, dann wäre die Welt voll mit leuchtenden Dingen. Die Handymasten in den Städten würden leuchten, die WLAN-Empfänger und -Sender in unseren Büros wären hell erleuchtet und selbst der Nachthimmel wäre nicht dunkel sondern von der kosmischen Mikrowellenstrahlung erhellt. Aber Mikrowellen haben eine Wellenlänge die zwischen einem Millimeter und einem Meter liegt und das können unsere Augen nicht wahrnehmen. Sie sind nur dazu ausgelegt, Strahlung mit einer Wellenlänge zwischen knapp 380 und knapp 780 Nanometern zu sehen. Und das ist tatsächlich der wesentliche Unterschied zwischen Mikrowellen und normalem Licht: Die Wellenlänge!
Mikrowellen SIND Licht – nur eben Licht mit einer Wellenlänge die unser Auge nicht registrieren kann. Auf jeden Fall registriert wurde aber beim Tatort die tote chinesische Prinzessin in der rechtsmedizinischen Abteilung. Und Professor Boerne, der bewusstlos neben ihr lag. In seiner Hand hatte er ein blutiges Skalpell – aber leider erinnert sich Boerne nicht, was eigentlich los war. Kein Wunder – eine Analyse seines Bluts zeigt, dass er jede Menge Drogen intus hat. Bei der Untersuchung von Blut spielt “unsichtbares” Licht ebenfalls eine besondere Rolle. Unter Ultravioletter (UV) Strahlung beginnt das Blut zu fluoreszieren und man kann so Spuren sichtbar machen, die sonst nicht zu sehen sind. Die natürliche UV-Strahlung die uns von der Sonne erreicht sorgt aber auch dafür, dass etwaige Spuren von Drogen wieder unsichtbar werden. Die UV-Strahlung die auf unsere Haare trifft kann dort für den Abbau von Drogenrückständen sorgen und so trotz Drogenkonsums ein negatives Ergebnis produzieren. Pech für Boerne, dass man sein Blut untersucht hat…
Die UV-Strahlung wurde früher übrigens “chemische Strahlung” genannt. Das lag an der Art und Weise ihrer Entdeckung. Im Jahr 1802 untersuchte der Jenaer Physiker Johann Wilhelm Ritter das Spektrum des Lichts. Schon seit der optischen Arbeit von Isaac Newton war ja bekannt, dass Licht nur eine Mischung aus verschiedenen Farben ist, die man mit Hilfe eines Prismas sichtbar machen kann. Schickt man normales Sonnenlicht durch ein Prisma, dann kommt am anderen Ende ein Regenbogen aus Farben heraus. Von rot am einen Ende bis hin zu blau-violett am anderen. Dort war zwar nichts mehr zu sehen, aber etwas war da noch. Denn als Ritter Silberchloridpapier hinter das blaue Ende des Spektrums legte, konnte er eine deutliche Reaktion beobachten. Es wurde viel effektiver und schneller schwarz eingefärbt als es im sichtbaren Bereich des Lichtspektrums der Fall war.
Das Licht schien also nicht nur aus den sichtbaren Farben zu bestehen sondern auch unsichtbare Bestandteile zu haben. Und der von Ritter entdeckte Bestandteil war enorm effektiv wenn es um das Auslösen von chemischen Reaktionen auf Silberchloridpapier geht. Darum wurde diese Strahlung im 19. Jahrhundert eben auch als “chemische Strahlung” bezeichnet bevor sich dann der Name “Ultraviolettstrahlung” durchgesetzt hat (Zum Glück – man stelle sich vor, was die ganzen wissenschaftsfeindlichen Extremumweltschutzgruppen mit diesem Begriff anstellen würden. Chemie! Und Strahlung!!).
Beim Tatort wird es mittlerweile ein wenig verwirrend. Der Kurator des Museums erzählt, dass die Prinzessin Songma eine Bürgerrechtlerin und Dissidentin war und das deutsche Außenministerium dafür gesorgt hat, dass es während der Ausstellung keine anti-chinesischen Wortmeldungen gibt. Er vermutet, dass es der chinesische Geheimdienst war, der Songma umgebracht hat. Um Klarheit in den Fall zu bringen untersuchen Thiel und Krusenstern die Wohnung von Songma, finden dort aber nur ihre verängstigte Assistentin Miao und einen chinesischen Diplomaten der gerade Songmas Laptop klaut. Der Diplomat wird gestellt und in Gewahrsam genommen und der Laptop untersucht. Darauf befindet sich eine Präsentation in der Songma Menschenrechtsverletzungen im chinesischen Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang anprangert und die bei einer Pressekonferenz gezeigt werden sollte.
Dann wird es wirklich verwirrend. Im Wald von Münster wird ein toter Uigure gefunden, der allerdings einen Pass des Inselstaats Palau hat und davor in Guantanamo eingesperrt war. Der Verlobte von Songmas Assistentin Miao taucht überraschend auf, erzählt dass er gesehen habe, wer Songma wirklich umgebracht hat und spricht über irgendein mysteriöses “Buch” das er leider nicht dabei hat. Und plötzlich taucht auch noch die chinesische Mafia auf… Denn Songma steht offensichtlich im Dienste der Triaden und schmuggelt Wertgegenstände für sie aus dem Land. Anscheinend hat man es als Künstlerin und Dissidentin einfacher, den Kontrollen am Zoll zu entgehen. Kontrollen, bei denen übrigens wieder unsichtbare Strahlung zum Einsatz kommt die wieder von einem deutschen Wissenschaftler entdeckt wurde und wieder vorerst einen anderen Namen hatte: Die Röntgenstrahlung. Sie wurde von Conrad Wilhelm Röntgen im Jahr 1895 entdeckt, der sie nicht nach sich selbst benannt hat (Seriöse Wissenschaftler benennen normalerweise nichts nach sich selbst; das ist eher ein Hobby der Pseudowissenschaftler). Er nannte sie “X-Strahlen” und im englischen ist dieser Begriff (“x-rays”) immer noch die offizielle Bezeichnung. Röntgenstrahlen treffen wir nicht nur am Flughafen in der Sicherheitskontrolle sondern natürlich auch in der Medizin – oder bei Scherz-Apps fürs Handy, die einem einen “Röntgenblick” versprechen mit dem man durch die Kleidung von Menschen schauen kann. Aber das funktioniert natürlich nicht, obwohl auch die Röntgenstrahlung nichts anderes ist als Licht – nur eben Licht, das man nicht sehen kann.
Man sollte ruhig mal öfter über dieses Thema nachdenken. Für uns Menschen ist naturgemäß das normale Licht am wichtigsten. Es ist das Licht, das wir sehen können und Phänomene wie Radio, Mikrowellen oder Röntgenstrahlung erscheinen uns davon komplett verschieden. Trotzdem sind sie alle unterschiedliche Ausprägungen des gleichen Phänomens. Das sichtbare Licht ist nur ein winziger Ausschnitt aus dem kompletten elektromagnetischen Spektrum und wir verpassen enorm viele Dinge die ständig um uns herum passieren weil wir uns nur auf den kleinen Bereich zwischen 380 und 780 Nanometern konzentrieren. Zum Glück haben die Wissenschaftler gelernt auch all die anderen Wellenlängen zu “sehen” und so viel über die Welt gelernt in der wir leben. Aber es hat ein Stück gedauert, bis man erkannt hatte, dass all diese unterschiedlichen Phänomene zusammengehören.
Der große James Clerk Maxwell hat 1864 seine berühmten “Maxwellgleichungen” formuliert die zum ersten Mal mathematisch komplett erklärten, wie sich Elektrizität und Magnetismus verhalten und zeigten, dass beide untrennbar zusammengehören. Er sagte voraus, dass es Wellen aus schwingenden elektrischen und magnetischen Feldern geben muss, die sich im Raum ausbreiten können. Er war sogar in der Lage, die Geschwindigkeit dieser Wellen zu berechnen. Er kam zu dem Ergebnis, dass sie sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegen müssen und schloss daraus, dass Licht genau so eine elektromagnetische Welle sein muss. Einwandfrei nachgewiesen wurde die Existenz von elektromagnetischen Wellen aber erst 1887 von Heinrich Hertz. Und auch danach noch dauerte es eine Weile, bis man bei Röntgenstrahlung & Co zeigen konnte, dass sie ebenfalls ganz normale elektromagnetische Wellen sind. Erst 1914 war mit dem Nachweis der elektromagnetischen Natur der Gammastrahlung das Spektrum komplett. Am Ende hatten sich jede Menge komplett unterschiedliche Phänomen zu einem eleganten und einheitlichen Modell zusammengefügt.
Und darauf hofft man am Ende auch beim Tatort. Chinesischer Geheimdienst, chinesische Mafia, Uigurische Dissidenten aus der Südsee, geheimnisvolle Bücher, Boerne im Drogenrausch – wie soll das alles zusammen passen? Ich habe gegen Ende der Sendung ein wenig den Überblick verloren, aber es war wohl so: Songma hat im Auftrag der Triaden ein uraltes uigurisches Buch ins Ausland geschmuggelt. Sie wollte es aber nicht zurück geben, weil sie es für ihre politischen Aktionen benutzen und damit zeigen wollte, dass die Uiguren schon lange vor China ein großes und eigenständiges Volk waren (warum sie dazu nicht einfach in die Wikipedia schaut weiß ich auch nicht). Außerdem hatte sie noch einen USB-Stick mit Informationen über eine uigurische Terrororganisation die sich die Chinesen aber nur ausgedacht haben. An dem Zeug waren sowohl Geheimdienst (für den übrigens auch der Kurator arbeitet) als auch Triaden interessiert. Den Assistenten von Songma war der ganze Kram aber zu gefährlich und der Verlobte von Miao hat Songma deswegen umgebracht und den Mord Boerne in die Schuhe geschoben (den er vorher unter Drogen gesetzt hat). Am Ende jedenfalls ist der Mörder gefangen, der Geheimdienstmitarbeiter wird abgeschoben und die Triaden sind irgendwie von selbst verschwunden…
Das elektromagnetische Spektrum aber bleibt und es gäbe noch jede Menge zu erzählen. Über Terahertzstrahlung; über die Entdeckung des Infrarotlichts oder die kosmische Gammastrahlung. Aber dazu warte ich besser auf einen Tatort, der weniger konfus ist.
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