Dieser Artikel gehört zu meiner Serie “Tatort-Wissenschaft”. Wer damit nichts anfangen kann findet hier eine Erklärung. Es geht in diesem Artikel nicht um eine wissenschaftliche Erklärung der Tatort-Handlung sondern darum zu zeigen, dass Wissenschaft tatsächlich überall ist. Egal was wir (oder die Tatort-Kommissare) machen, es steckt Wissenschaft dahinter. Wir erleben die Welt aber meistens getrennt. Da gibt es “Wissenschaft” – und dann gibt es “alles andere”. Zum Beispiel Krimis wie den Tatort. Es mag konstruiert erscheinen, den Tatort mit wissenschaftlichen Phänomenen und Erklärungen in Verbindung zu bringen. Die Wissenschaft war aber schon die ganze Zeit da. Unsere gedankliche Trennung zwischen Krimi und Wissenschaft ist konstruiert. Ach ja, und wenn ihr nicht wissen wollt, wer der Mörder war, dann lest am besten nicht bis zum Ende…
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Tatort-Folge Nummer 885 spielt in Erfurt. Es geht um Sex und um Drogen. Um Eifersucht und Prüfungsdruck. Und es geht um die Gesetze!
Hurra! Endlich mal ein Tatort aus meiner Heimat Thüringen. Ok, die Folge spielt zwar in Erfurt und nicht in Jena. Aber immerhin. Und außerdem ist das Ermittlerteam das “jüngste aller Zeiten” (nachdem jeder Medienbericht zum Erfurter Tatort mit dieser Tatsache aufmacht muss ich das wohl auch tun….). Und alles ist megakrass und cool und hip und richtig jung… Besonders der Anfang: Da gibt es eine wilde Verfolgungsjagd auf dem Erfurter Petersberg. Aber natürlich nicht mit Autos und auch nicht einfach nur stupides Hinterhergelaufe. Nein, es ist eine wilde Parkour-Verfolgungsjagd mit Saltos und Die-Wände-Hochlaufen und so weiter.
Die neue Tatort-Kommissare Henry Funck und Maik Schaffert sind hinter einem zweifachen Frauenmörder her und schnappen ihn am Ende natürlich auch. Aber anscheinend waren sie ein bisschen zu spät dran denn es findet sich eine dritte Leiche die ebenso misshandelt wurde wie die anderen beiden Opfer. Die Tote hieß Anna und war Studentin an der Uni Erfurt. Noch wohnte sie in ner WG; war aber anscheinend auf der Suche nach ner neuen, größeren Wohnung und hatte überraschend viel Bargeld unter dem Bett versteckt.
Bei der Suche nach dem Mörder werden die beiden jungen Kommissare von ner noch jüngeren Staatsanwaltschaftspraktikantin unterstützt. Sie findet bei ihrer Recherche auch die erste Spur. Am Computer loggt sie sich bei “Friendbase” ein. Im Paralleluniversum des Tatorts dürfte das den Platz von Facebook einnehmen (Keine Ahnung warum die Fernsehsender sowas immer machen. Einerseits soll beim Tatort immer alles hypermegaultra heftig und realistisch sein – aber dann benutzen die Leute im Internet Suchprogramme die “Internetsearch” heißen oder loggen sich bei “Friendbase” ein. Vermutlich liegt das an irgendwelchen Schleichwerbungsgesetzen die schon längst nicht mehr mit der Realität klar kommen…). Aber was auch immer nun dieses ominöse “Friendbase” genau sein mag: Der Computer auf dem es benutzt wird funktioniert vermutlich auch in der Tatort-Welt nach den gleichen Naturgesetzen wie in der Realität.
Das mit den Gesetzen ist ja so eine Sache. Die menschengemachten Gesetze ändern sich ständig. Und wenn sie sich mal ne Zeit lang nicht ändern, dann gibts auch wieder Probleme, weil sich die Welt in der Zwischenzeit geändert hat. Die Naturwissenschaft beschäftigt sich aber nicht mit der flüchtigen Welt der Menschen sondern mit der dahinterstehenden Realität. Und die Gesetze die diese Welt beschreiben, sollten sich nach Möglichkeit nicht ändern. Natürlich tun sie das trotzdem manchmal. Aber das liegt nicht an der Natur selbst sondern nur daran, dass wir sie immer besser verstehen. Ein Naturgesetz beschreibt immer einen bestimmten Ausschnitt der Welt und ist immer nur innerhalb gewisser Grenzen gültig. Newtons Gravitationsgesetz wurde durch Einsteins Gravitation der allgemeinen Relativitätstheorie ersetzt. Dadurch ist Newton aber nicht falsch geworden. Einstein hat nur gezeigt, dass Newtons Gesetz nicht allgemeingültig sondern nur innerhalb gewisser Grenzen gültig ist. Außerhalb dieser Grenzen braucht man ein anderes Gesetz.
Das kommt öfter vor. Als im 17., 18. und 19. Jahrhundert viele der klassischen Naturgesetze gefunden wurden hatte noch kein Wissenschafter mit der Quantenmechanik und der Relativitätstheorie gerechnet die unser Verständnis der Welt komplett über den Haufen war. Innerhalb ihrer Grenzen bleiben die Naturgesetze von damals aber bis heute gültig. Der Computer an dem die Praktikantin Johanna Grewel das Leben der ermordeten Studentin Anna untersucht wäre zwar ohne die Erkenntnisse aus der modernen Quantenmechanik nie gebaut worden. Und ohne die moderne Lasertechnik und Halbleiterphysik hätte Grewel nie entdeckt, dass sich auf Friendbase ein seltsamer Exfreund der toten Anna mit dem Spitznamen “Steini” rumtreibt. Aber viele der elektronischen Bauelemente in seinem Inneren basieren auf den klassischen Naturgesetzen die viel früher gefunden wurden. Zum Beispiel im 19. Jahrhundert von Georg Simon Ohm.
Das Ohmsche Gesetz kennt vermutlich noch jeder aus der Schule. Es ist mathematisch nicht sonderlich kompliziert, benötigt nur eine Multipliktion (oder Division, je nachdem) und drei Symbole. Es ist auch deswegen interessant, weil dort zwei Begriffe auftauchen, die gerne verwechselt beziehungsweise falsch verstanden werden, wenn es um Elektrizität geht: Spannung und Stromstärke.
Am Anfang der Elektrizität steht die elektrische Ladung. Jede elektrische Ladung ist der Ursprung eines elektrischen Feldes (das ist übrigens auch ein wichtiges Naturgesetz, nämlich das Gaußsche Gesetz). Bewegt sich die Ladung, dann entsteht ein elektrischer Strom. Wie stark dieser Strom ist, wird von der Stromstärke beschrieben. Sie gibt an, wie viele Ladungsträger in einer bestimmten Zeit einen bestimmten Querschnitt passieren. Das Symbol für die Stromstärke ist der Buchstabe “I” und gemessen wird sie in der Einheit Ampere (neben der Temperatureinheit Kelvin ist Ampere übrigens die einzige SI-Basiseinheit die nach einem Wissenschaftler benannt ist). Die elektrische Spannung dagegen ist etwas ganz anderes. Sie gibt an, wie viel Energie man braucht, um die Ladungsträger durch das elektrische Feld zu bewegen; ist also ein Maß dafür, wie viel Arbeit man aus einem elektrischen Feld rausholen kann. Das Symbol der Spannung ist der Buchstabe “U” und gemessen wird sie in der Einheit Volt.
Der Zusammenhang zwischen Stromstärke und Spannung ist nun genau das, was das Ohmsche Gesetz beschreibt. Es besagt dass die Spannung gleich der Stromstärke mal dem elektrischen Widerstand (“R”) ist:
Denn die Ladungsträger bewegen sich nicht völlig ungehindert durch einen elektrischen Leiter (Die Supraleitung ignoriere ich jetzt mal und heb sie mir für nen anderen Tatort auf). Je nach Material geht das mal besser und mal schlechter. Der Wert der beschreibt wie stark sich ein Material dem Durchfluss der Ladungsträger widersetzt ist der elektrische Widerstand der in der Einheit Ohm gemessen wird.
Wenn ich für ein Gerät eine ganz besonders hohe Stromstärke brauche, dann muss ich also entweder dafür sorgen, dass der Widerstand möglichst klein ist oder die Spannung erhöhen damit die Ladungsträger trotz des hohen Widerstands besser durch die Leitung “geschubst” werden können. Man kann aber natürlich auch Material mit einem ganz bestimmten Widerstand auswählen und so Spannung beziehunsgweise Stromstärke in einem elektrischen Gerät auf ganz konkrete Werte einstellen. Das ist so gut wie immer nötig und deswegen finden sich in den meisten Geräten elektronische Bauteile, deren einziger Zweck es ist, einen ganz bestimmten Widerstand auszuüben.
Widerstand gegen seine Verhaftung leistet auch der Frauenmörder der zu Beginn der Sendung so dramatisch verhaftet worden ist. Er überwältigt im Krankenhaus einen Polizisten und haut ab (nachdem er vorher noch angekündigt hatte sich bei den Kommissaren zu rächen). Jetzt zieht er durch die dunklen Gassen von Erfurt und lauert Kommissar Schaffert auf während dessen Kollege Funck mit einer Escort-Dame um die Häuser zieht. Denn die ermordete Anna war nicht nur Studentin sondern hat sich nebenbei für Sex bezahlen lassen um sich ein bisschen was dazu zu verdienen. Und während Schaffert den entflohenen Frauenmörder verprügelt und wieder einfängt erfährt Kommissar Funck von Annas Escort-Kollegin das einer von ihren Stammkunden ein Arzt war.
Ob der gegen das Gesetz verstoßen hat, wissen die Kommissare nicht. Aber ein Bericht des Polizeiarztes zeigt, dass der Frauenmörder bei Anna seine eigenen Gesetze verletzt hat. Denn die Misshandlungen passen nicht zu den anderen beiden Opfer. Für die Tatort-Kommissare macht dieser Bericht alles nur noch verwirrender – aber aus Sicht der Wissenschaft ist er ein Beispiel für ein sehr schönes, simples und nützliches Gesetz: das von James Prescott Joule.
Vorhin habe ich schon den elektrischen Widerstand erwähnt. Der sorgt dafür, dass die elektrischen Ladungsträger nicht so einfach durch einen Leiter flutschen können. Aber wenn sie auf ihrem Weg behindert und gebremst werden, dann muss die Energie irgendwo hin (Die Energieerhaltung war ja das Thema der letzten Tatort-Folge). Sie wird in Wärme umgewandelt und das ist der Grund, warum alle elektronischen Geräte (mehr oder weniger) heiß werden. Wie groß die Wärmemenge (“Q”) ist, die freigesetzt wird hängt vom elektrischen Widerstand (“R”) und der Stromstärke (“I”) ab und wird durch “Joules erstes Gesetz” beschrieben. Die Wärmemenge ist proportional zum Produkt aus Widerstand und dem Quadrat der Stromstärke:
Oft ist es nervig wenn die Geräte heiß werden. Sie brauchen dann eine spezielle Lüftung die wieder extra Strom benötigt. Oder – wie es bei den alten Glühbirnen der Fall war – sie sind äußerst ineffizent weil nur ein kleiner Teil des Stroms für den eigentlichen Zweck verwendet und der Rest in Wärme umgewandelt wird. Manchmal will man aber auch, dass ein Gerät heiß wird, wenn man es einschaltet. Lötkolben, Tauchsieder oder Wäschetrockner haben in ihrem Inneren alle sogenannte Heizwiderstände eingebaut die Joules Gesetz folgend Wärme erzeugen. Und auch Kopiergeräte und Laserdrucker nutzen dieses Gesetz um mit einem Heizwiderstand den Toner am Papier fixieren zu können.
Papiere, auf denen dann zum Beispiel der Bericht eines Pathologen an Kriminalkommissare weitergeleitet wird…
In Erfurt werden die Dinge auf jeden Fall vorerst nicht einfacher. Praktikatin Johanna trifft in der Uni-Bibliothek auf Lisa, die Mitbewohnerin von Anna. Die scheint irgendwie nervös zu sein, will aber nix erzählen. Sie streitet sich lieber mit Michael, ihrem Freund. Und “Steini”, der Friendbase-Freund randaliert in seiner Wohnung weil ihm die Tabletten die er wegen des Prüfungsstress einschmeisst ein wenig irre gemacht haben. Tabletten, die er von Michael bekommen hat…
Und der hat sie vom Arzt, der Annas Kunde war! Die Kommissare schnappen sich Arzt und Michael und im Verhör zeigt sich das 1) Anna ein Verhältnis mit Michael hatte und 2) den Arzt erpresst hatte um so an die Tabletten zu kommen. Und während die Kommissare noch darüber rätseln wer der Mörder sein könnte sorgt ein drittes Naturgesetz dafür, dass der Fall auf ganz überraschende Weise gelöst wird: Praktikantin Johanna bekommt einen Anruf von Lisa – und dafür braucht es Faraday!
Bei den bis jetzt erwähnten Naturgesetzen habe ich immer nur von “den Ladungsträgern” gesprochen, die je nach Spannung, Stromstärke und Widerstand mal leichter und mal schwerer durch die Gegend sausen. Aber diese Ladungsträger sind natürlich reale Objekte. Es sind meistens Elektronen, die die Ladungen transportieren. Es können aber auch Ionen sein, also beliebige Atome, die ein paar Elektronen zu viel oder zu wenig in ihren Hüllen haben und deswegen elektrisch geladen sind. Wenn diese Teilchen durch die Gegend sausen, dann hat das natürlich Folgen. Nicht nur gibt es Strom und elektrische Felder. Die Ladungsträger müssen von irgendwo her kommen und je mehr von dort kommen, desto weniger sind danach dort vorhanden. Das klingt logisch; es war aber trotzdem nicht so einfach diese Gesetzmäßigkeit mathematisch und physikalisch exakt zu formulieren. Gelungen ist es dem großen Experimentalphysiker Michael Faraday im Jahr 1834. Da stellte er die beiden Gesetze auf, die heute seinen Namen tragen. Die beiden Faradayschen Gesetze beschreiben, wie sich die Stoffmenge verändert, wenn Strom zwischen einer positiv und einer negativ geladenen Elektrode fließt:
“Die Stoffmenge, die an einer Elektrode während der Elektrolyse abgeschieden wird, ist proportional zur elektrischen Ladung, die durch den Elektrolyten geschickt wird.”
“Bei einer fixen Ladungsmenge ist die Menge der an einer Elektrode abgeschiedenen Masse eines Elements direkt proportional zur seiner Atommasse.”
Mathematisch kann man beide Gesetz zu einer Formel zusammenfassen in der “m” für die Masse des abgeschiedenen Stoffes steht, “M” für dessen Molare Masse, “Q” für die elektrische Ladung steht, “z” für seine Ladungszahl und “F” für die Faraday-Konstante:
Die Faradayschen Gesetze spielen eine wichtige Rolle, wenn es um sogenannte “Galvanische Zellen” geht. Die bestehen aus zwei Elektroden und einem “Elektrolyten”. So bezeichnet man einen elektrischen Leiter, in dem die Ladungsträger Ionen sind und keine Elektronen. Und im Alltag sagen wir zu den Dingern meistens auch nicht “Galvanische Zelle” sondern schlicht “Batterie”. Eine Batterie besteht aus verschiedenen chemischen Verbindungen die es möglich machen, dass sich Ionen von einem Ende zum anderen bewegen. Und Faradays Gesetze beschreiben, wann der Saft alle ist. Dann muss man die Batterie entweder entsorgen oder – falls es sich um einen Akku handelt – von außen Energie zuführen und die Ionen wieder an ihren Ausgangsort zurück bugsieren.
Die Handy-Akkus von Lisa und Johanna waren auf jeden Fall voll und beide verabreden sich zu einem Treffen. Dort gesteht Lisa den Mord an Anna – sie war schlicht und einfach eifersüchtig! Vielen Dank, Tatort! Endlich mal ein vernünftiges und realistische Motiv für einen Mord und nicht so ein verwirrendes Motiv-Gemurkse mit uigurischen Freiheitskämpfern oder Ustasa-Faschischten in den letzten Folgen…
Ich weiß nicht, ob es jetzt nur am thüringischen Lokalpatriotismus liegt, dass mir die Folge gut gefallen hat oder ob das auch anderen Seherinnen und Sehern so geht. Mir hat sie jedenfalls gefallen. Es war immer was los und nie war es langweilig. Das Privatleben der Kommissare war zwar vorhanden aber nicht dominant und die Figuren trotzdem interessant. Und wenn Serienmörder im beschaulichen Thüringen zwar in der Realität nicht so häufig auftauchen war die Handlung doch weitestgehend frei von der typischen Geschichtenüberladung die ich bis jetzt sonst fast immer angetroffen habe.
Und natürlich ist es auch sehr nett dass die Thüringer Kommissare eine Auseinandersetzung mit den Naturgesetzen ermöglicht haben. Von denen gibt es noch jede Menge und es bleibt zu hoffen, dass sie auch in den nächsten Folgen aus Erfurt wieder auftauchen. Aber es wäre eigentlich seltsam, wenn es nicht so wäre. Denn es sind immerhin Naturgesetze. Die sind überall. Und wenn der Tatort in Zukunft nicht vollends in sein eigenes Privatuniversum abdriftet, dann sind sie auch dort zu finden!
P.S. Der nächste Thüringer Tatort kommt übrigens schon am 26. Dezember. Und dann aus Weimar. Ich bin gespannt.
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