Dieser Artikel gehört zu meiner Serie “Tatort-Wissenschaft”. Wer damit nichts anfangen kann findet hier eine Erklärung. Es geht in diesem Artikel nicht um eine wissenschaftliche Erklärung der Tatort-Handlung sondern darum zu zeigen, dass Wissenschaft tatsächlich überall ist. Egal was wir (oder die Tatort-Kommissare) machen, es steckt Wissenschaft dahinter. Wir erleben die Welt aber meistens getrennt. Da gibt es “Wissenschaft” – und dann gibt es “alles andere”. Zum Beispiel Krimis wie den Tatort. Es mag konstruiert erscheinen, den Tatort mit wissenschaftlichen Phänomenen und Erklärungen in Verbindung zu bringen. Die Wissenschaft war aber schon die ganze Zeit da. Nur die gedankliche Trennung zwischen Krimi und Wissenschaft ist konstruiert. Ach ja, und wenn ihr nicht wissen wollt, wer der Mörder war, dann lest am besten nicht bis zum Ende…
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Tatort-Folge Nummer 891 spielt in Weimar. Es geht um heiße Bratwurst und um kalte Leichen. Es geht um Korruption und den Treibhauseffekt. Und es geht darum, wie unterschiedliche Temperaturen unsere Welt bestimmen.
Endlich wieder mal ein Tatort aus Thüringen! Nach dem Tatort aus Erfurt gibt es nun auch eine Folge aus Weimar. Das ist zwar immer noch nicht Jena, aber immerhin. Christian Ulmen spielt den Kommissar Lessing, der aus Hamburg in die kleine Stadt in Thüringen kommt und dort gleich von einer Geiselnahme im Rathaus erwartet wird – die aber nur eine Übung war. Und bevor er noch das erste Mal sein neues Büro betritt, muss er sich mit der verschwundenen Fleischereichefin Brigitte Hoppe beschäftigen. Ihr Auto stand irgendwo in der Pampa und darin war nur ein großer Blutfleck und ein Metzgerbeil zu finden. Zusammen mit seiner Kollegin Dorn macht er sich auf den Weg zu Frau Hoppes Sohn, der passenderweise gleich einen Anruf von einem Entführer erhält. 45.000 Euro sollen für die Freilassung von Brigitte Hoppe in einem Mülleimer in der Innenstadt von Weimar deponiert werden. Das passiert – aber der Entführer scheint nicht aufzutauchen. Nur ein Kutscher scheint erstaunlich oft ohne Fahrgäste am Platz der Übergabe vorbei zu fahren. Warum er das tut erfahren wir – noch – nicht. Aber dass er das tun kann, liegt am Treibhauseffekt.
Denn eigentlich sollte die Durchschnittstemperatur auf der Erde -18 Grad Celsius betragen. Eigentlich sollte die komplette Oberfläche der Erde tiefgefroren sein. Berechnet man, wie viel Energie die Erde von der Sonne bekommt (1367 Watt pro Quadratmeter, die sogenannte “Solarkonstante”) und wie viel davon wieder zurück ins Weltall reflektiert wird, dann bleibt nur noch genug übrig, um die Erde eben auf genau die -18 Grad zu erwärmen. Dass es bei uns trotzdem im Durchschnitt angenehme 15 Grad hat und Weimarer Kutscher im offenen Wagen durch die schöne thüringische Landschaft fahren können, liegt am Treibhauseffekt. Denn unsere Erde ist nicht einfach nur eine nackte Felskugel im All und hat eine Atmosphäre. Eine Atmosphäre mit jeder Menge Wasser und anderen Gase, die dafür sorgen, dass die Sonnenenergie nicht so einfach zurück ins All gestrahlt werden können. Wasserdampf und andere Gase sorgen dafür, dass die Wärme in der Atmosphäre “gefangen” bleibt und die Erde ist wärmer, als sie es sein sollte. Dieser natürliche Treibhauseffekt macht das Leben auf der Erde erst möglich – was aber nicht bedeutet, dass wir den zusätzlichen menschengemachten Treibhauseffekt einfach ignorieren sollten.
Der Kutscher wurde allerdings ignoriert, den vorerst verfolgen die Kommissare eine Angestellte der Stadtverwaltung, die sich das Geld aus dem Mülleimer geschnappt hat – später dann aber behauptet, sie hätte es dort zufällig gefunden… Der nächste Verdächtige ist der Sohn von Frau Hoppe, dessen neue Geliebte mit seiner Mutter nicht klar kam und der auch irgendwie gar keine Lust mehr auf die ganze Fleischereisache hatte und die Firma los werden wollte. Dazu musste aber erst die Mutter aus dem Weg geschafft werden… Die Kommissare können ihm aber nichts nachweisen. Genauso wenig wie dem Kutscher, der ihnen nun mittlerweile ebenfalls aufgefallen ist. Und auch die Frau aus der Stadtverwaltung – die unter anderem für die Vergabe von Bratwurststandlizenzen zuständig ist – ist weiterhin verdächtig. Haufenweise Verdächtige also aber immer noch keine Leiche. Frau Hoppe bleibt weiterhin vermisst, und ob sie tot oder lebendig ist, weiß keiner.
Erst nach knapp einer Stunde taucht die Vermisste wieder auf: In der Kühltruhe des Kutschers, mit Eis überzogen und schön tiefgefroren. Da half auch der Treibhauseffekt nichts mehr. Wie kalt es in der Truhe tatsächlich war, ist unbekannt. Aber es hatte auf jeden Fall weniger als Null Grad. Zumindest wenn es nach der Celsius-Temperaturskala geht. Die hat sich in den meisten Ländern mittlerweile durchgesetzt – aber früher war das anders. Wenn es nach Herrn Celsius persönlich gegangen wäre, dann müsste die Temperatur in unseren Tiefkühltruhen weit über 100 Grad betragen! Denn als Anders Celsius 1742 seine Temperaturskala definierte, benutzte er dazu zwar ebenfalls den Gefrier- bzw. Siedepunkt von Wasser als Fixpunkte. Er schlug aber eine Skala vor, bei der das Wasser bei 100 Grad gefriert und bei null Grad kocht. Je heißer es wird, desto geringer ist also auf seiner Skala die Temperatur. Warum er sich so eine komische Skala ausgedacht hatte, weiß ich nicht – aber nach seinem Tod kam der schwedische Naturforscher Carl von Linné und hat das ganze umgedreht. Es gibt und gab natürlich auch noch jede Menge andere Skalen. Der erste, der sich bemühte die Temperatur auf einer vernünftigen Skala zu messen, war Isaac Newton im Jahr 1700. Die Grad Newton haben sich aber nie wirklich durchgesetzt; die Grad Réamur dagegen schon, zumindest in Europa. Aber auch dort wurden sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der leichter berechenbaren Celsius-Skala abgelöst. Nur die USA bestehen weiterhin auf einer anderen Skala – hier verwendet man 1714 entwickelte Skala von Daniel Fahrenheit. Er wollte negative Temperaturwerte vermeiden und setzte daher den Nullpunkt seiner Skala auf die tiefste damals in seiner Heimatstadt Danzig gemessenen Temperatur fest. Der Gefrierpunkt des Wassers wurde auf 32 Grad Fahrenheit gelegt und der obere Fixpunkt seiner Skala war die Körpertemperatur eines Menschen bei 96 Grad Fahrenheit. Das klingt zwar immer noch ein wenig unpraktisch, aber die Amerikaner bestehen weiterhin auf ihrer Extrawurst…
Extrawürste (Hammer-Überleitung!!) gibt es auch in Weimar und zwar in der Wurstfabrik von Frau Hoppe. Dort können die Kommissare auf einem Überwachungsvideo einen Streit zwischen Frau Hoppe und ihrem Sohn beobachten. Es scheint alles darauf hin zu deuten, dass er der Täter ist. Dann allerdings taucht plötzlich die gefrorene Leiche von Frau Hoppe im Garten ihres Sohnes auf und verschwindet gleich darauf wieder. Denn der Kutscher hatte zwar die tote Frau zwar in seinem Schuppen zwischengelagert, sie aber nicht umgebracht. Angeblich hat er die schon tote Hoppe nur besoffen mit seiner Kutsche überfahren und sie kurzerhand mitgenommen und eine Erpressung inszeniert um sich schnell noch ein bisschen Geld zu besorgen um Schulden abbezahlen zu können. Da das nicht geklappt hat, wollte er die Leiche beim eh schon verdächtigen Sohn abladen um ihn noch verdächtiger zu machen.
Ich sollte langsam mal ein wenig zu meckern anfangen; immerhin ist die Folge schon fast um und ich hab mich noch nicht einmal über die künstlich überfrachtete Tatorthandlung beschwert. Auch nicht über die pseudo-gesellschaftskritischen Drehbücher der Tatort-Autoren oder die nervige Ausbreitung des Privatlebens der Kommissare. Aber das liegt daran, dass dieser Tatort erfreulich frei von all dem Unsinn ist, der mich sonst am Tatort so stört. Die Handlung ist ausreichend komplex, aber nicht zu komplex und man hat auf den üblichen Geschichten-Wirrwarr verzichtet. Christian Ulmen und Nora Tschirner spielen ihre Rollen äußerst sympathisch und wenn dann ihr Privatleben doch mal thematisiert wird, dann stört das den Fluss der Geschichte nicht und drängt sich nicht wie sonst in den Vordergrund. Bis jetzt ist das die beste Tatortfolge, die ich gesehen habe.
Die Auflösung kommt dann in Folge von Splittern. Zuerst ein Lacksplitter, der am Auto von Frau Hoppe gefunden wurde und darauf hindeutet, dass sie bei der Frau aus der Stadtverwaltung zu Besuch war. Und dann ein Glassplitter aus der Leiche, der aus dem Tisch von eben dieser Frau stammt.
Glas ist ja ein höchst seltsames Material. Man hört ja oft, dass Glas eine Flüssigkeit sei und einfach nur so langsam fließt, dass wir es für einen Festkörper halten. Das ist irgendwie richtig – aber irgendwie auch nicht. Die Sache mit dem Glas ist ein wenig kompliziert. Ob ein Körper flüssig, fest oder gasförmig ist, gibt ja der sogenannte Aggregatszustand an. Jeder Stoff hat eine bestimmte Schmelztemperatur unterhalb der er fest ist. Darüber wird er flüssig und überschreitet die Temperatur auch noch die Siedetemperatur, dann wird er gasförmig. (Über die ganzen nichtklassischen Aggregatzustände wie Plasma oder ein Bose-Einstein-Kondensat will ich hier jetzt nicht reden; das hebe ich mir für ein andern Mal auf). Ob bzw. wann ein Stoff von einem Zustand in den anderen übergeht, hängt aber nicht nur von der Temperatur ab. Auch der Druck spielt eine Rolle. Ist der Druck hoch genug, dann kann ein Stoff auch noch bei Temperaturen fest sein, bei denen er unter normalen Druckbedingungen schon längst geschmolzen wäre. Deswegen kann es zum Beispiel auch “heißes Eis” geben, also Wasser in fester und kristalliner Form, dass aber trotzdem noch einige 1000 Grad heiß ist. Es muss nur der Druck hoch genug sein, was bei uns auf der Erde zwar in der Natur nicht der Fall ist, aber vielleicht auf anderen Planeten durchaus vorkommen kann. Auf sogenannten “Wasserwelten”, die Ozeane haben, die einige hundert oder tausend Kilometer tief sind, kann es solch ein “heißes Eis” aufgrund des viel höheren Drucks in tiefen Meeren tatsächlich geben.
Zu definieren, was genau “Glas” ist und was nicht, ist schwer. Es ist ein amorphes Material und der Schmelzpunkt ist nicht eindeutig festgelegt. Aber Glas ist auf jeden Fall ein Feststoff und keine Flüssigkeit. Und ganz sicher ist Glas fest genug um damit bei Bedarf Menschen umbringen zu können.
Das ist auch im Tatort passiert. Die Dame aus der Stadtverwaltung geriet in Streit mit Frau Hoppe und am Ende lag sie tot in der Gegend, bis sie vom besoffenen Kutscher überrollt wurde. Als die Polizei sie stellen will, haut sie dann allerdings ab und das passenderweise im Schillerkostüm. Am Ende wird sie dann aber doch geschnappt und die Kommissare dürfen sich endlich eine gute Thüringer Bratwurst gönnen. Im Brötchen und original mit Senf (kommt ja nie auf die Idee, Ketchup auf eure Wurst zu tun. Das dürfen nur Kinder; Erwachsene werden für sowas des Freistaats verwiesen!).
Ich fand die Folge in Weimar super. Und das wahrscheinlich nicht nur aus lokalpatriotischen Gründen. Christian Ulmen und Nora Tschirner spielen zwei sympatische und interessante Kommissare und es ist schade, dass keine weiteren Folgen mehr mit diesem Team geplant sind. Vielleicht kann sich die ARD ja doch noch mal dazu durchringen, den Tatort aus Weimar regelmäßig zu senden. Mir hat die Folge jedenfalls großen Spaß gemacht…
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