Das Universum ist ja generell ziemlich faszinierend. Manchmal ist es aber auch regelrecht absurd. So wie zum Beispiel auf diesem Bild hier:
Wie? Das sieht alles ganz normal aus? Ganz normale Sterne am ganz normalen Himmel? Mag sein – aber auch nur, weil man nicht richtig hingesehen hat. Das Bild oben zeigt uns den Himmel so, wie wir ihn mit unseren eigenen Augen sehen könnten wenn sie so lichtempfindlich wären wie die großen Teleskope, mit denen die Aufnahmen gemacht wurden. Aber es gibt ja noch viel mehr zu sehen! Die Himmelskörper leuchten nicht nur im ganz normalen optischen Licht, sondern zum Beispiel auch im Radiolicht. Sieht man mit einem Radioteleskop nach, welche Regionen in diesem Himmelsausschnitt Radiostrahlung abgeben, dann sieht das so aus:
Immer noch nicht interessant genug? Dann kann man sich auch noch das Röntgenlicht ansehen. Auch das ist ganz normales Licht, nur eben mit einer viel kürzeren Wellenlänge als das optische bzw. Radiolicht. Ein Röntgenteleskop sieht diesen Himmelsausschnitt so:
Und jetzt sieht es wirklich interessant aus. Was ist das für ein wolkenartiges Gebilde links oben, das so viel Röntgenlicht abgibt? Und was ist das für ein schlangenartiges Dingens rechts unten, das ebenfalls hell im Röntgenlicht leuchtet aber auf den anderen Aufnahmen nicht zu sehen ist?
Was wir hier sehen können ist der sogenannte “Leuchtturm-Nebel” bzw. astronomisch offiziell der Pulsar IGR J1104-6103. Er befindet sich in unserer Milchstraße und ist knapp 23.000 Lichtjahre weit entfernt. Ein Pulsar ist das, was von einem sehr massereichen Stern nach dessen Tod übrig bleibt. Geht dem Stern der Brennstoff aus, explodiert er in einer Supernova. Jede Menge Material wird ins All geschleudert, bildet dort große wolkenartige Gebilde (sogenannte Supernovaüberreste) und in der Mitte bleibt nur ein sehr kleiner und extrem verdichteter Sternenrest übrig: Ein Neutronenstern bzw. ein Pulsar (Pulsare habe ich hier im Detail erklärt).
Normalerweise ist so eine Supernova-Explosion halbwegs symmetrisch und der dabei entstehende Pulsar bleibt in der Mitte der Supernovaüberreste sitzen. Manchmal aber ist die Explosion asymmetrisch und der Pulsar wird wie eine Kanonenkugel aus dem Nebel hinaus geschleudert. Genau das ist hier passiert und zwar so richtig extrem. Der Supernovaüberrest ist das große wolkenartige Gebilde oben links; der Pulsar befindet sich beim schlangenartigen Dingens unten rechts; dort wo auch die ganze Radiostrahlung auf dem zweiten Bild her kommt.
Detaillierte Untersuchungen der Supernovaüberreste (“The long helical jet of the Lighthouse nebula, IGR J11014-6103”) haben gezeigt, dass sie nur 10.000 bis 20.000 Jahre alt sind. Aus dem Abstand zwischen Überrest und Pulsar kann man die Geschwindigkeit berechnen, mit der sich der Pulsar bewegt. Und das sind gewaltige 3,2 bis 4 Millionen Kilometer pro Stunde! Das wäre schon außergewöhnlich genug – aber dann sind da noch die Jets des Pulsars!
Damit es nicht so verwirrend wird, sind hier nochmal alle drei Bilder überlagert und mit Beschreibungen versehen:
Jets sind im Universum an sich nichts Außergewöhnliches. Es gibt sie bei vielen Himmelskörpern und ganz simpel gesagt entstehen sie immer dann, wenn geladene Teilchen von einem Objekt mit starkem Magnetfeld ins All hinaus geschleudert werden. Die Teilchen werden vom Magnetfeld entlang der magnetischen Achse von Nord- und Südpol in zwei vergleichsweise dünnen Strahlen fokussiert. So etwas beobachtet man bei schwarzen Löchern, bei ganzen Galaxien oder eben bei Pulsaren. Nur sind die Jets normalerweise nicht so lang. Der im Bild sichtbare Jet des Leuchturm-Nebels erstreckt sich über unvorstellbare 37 Lichtjahre; also fast der zehnfachen Distanz zwischen der Sonne und dem sonnennächsten Stern, Proxima Centauri. Das ist wirklich lang und macht diesen Himmelskörper zum Rekordhalter in der Milchstraße: Der Leuchtturm-Nebel hat definitiv den Längsten!
Und schnell ist er auch noch… Das Material des Jets wird mit fast 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit ins All geschleudert. Das verursacht seltsame relativistische Effekte: Bei solchen hohen Geschwindigkeiten wird das ausgesandte Licht in die Bewegungsrichtung fokussiert. Oder anders gesagt: Bewegt sich die Teilchen des Jets (annähernd) in unsere Richtung, dann wird das Licht sehr hell; in der anderen Richtung dagegen sehr dunkel. Und das ist auch der Grund, warum man nur einen Jet sieht. Denn normalerweise sollten da ja zwei sein, die sich in entgegengesetzte Richtungen bewegen. Der andere Jet ist aber so dunkel, dass er kaum zu sehen ist. Auf dieser Röntgenaufnahme kann man ihn gerade so erkennen:
Die Wissenschaftler haben außerdem festgestellt, dass der Jet eine korkenzieherartige Struktur aufweist, was darauf hindeutet, dass der Pulsar ein wenig wackelt und zwar mit einer Periode von 66 Jahren. Und als ob das noch nicht genug Seltsamkeiten wären, ist da ja noch das grüne Dingens auf dem Radiobild. Das ist der sogenannte “Pulsarwindnebel (PWN)”. Das ist sowas ähnliches wie ein Kometenschweif und besteht aus hochenergetischen Teilchen, die den Pulsar umgeben und die er bei seiner schnellen Bewegung teilweise hinter sich lässt. Das heißt, dass der Pulsarwindnebel die Bewegungsrichtung des Pulsars anzeigt und normalerweise ist das auch die gleiche Richtung, in die auch die Jets zeigen. Hier steht der Jet aber fast rechtwinkelig auf den PWN und warum das so ist, hat man noch nicht wirklich verstanden.
Aber genau deswegen schaut man ja ins Weltall! Man will Dinge finden, die man nicht versteht, damit man daraus etwas lernen kann. Objekte wie der Leuchtturm-Nebel stellen extreme Sonderfälle dar aber genau die sind es, bei denen wir Dinge sehen können, die wir sonst nicht sehen können! Und je mehr wir sehen, desto mehr verstehen wir auch irgendwann.
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