Es geht weiter mit dem Astrodicticum-Simplex-Buchclub. Wir lesen gemeinsam ein Buch und zwar “Die Vermessung des Universums” von Lisa Randall (Hinweis: Das hier ist keine komplette Rezension des Buches. Ich erwähne hier nur ein paar interessante Themen und gebe keinen vollständigen Überblick. Ich gehe davon aus, dass jeder der am Buchklub-Projekt mitmacht, das Buch auch selbst gelesen hat und über den Inhalt Bescheid weiß). Im ersten Teil haben wir über Sinn und Unsinn von langen Einleitungen diskutiert und über Randalls Erklärung der wissenschaftlichen Methodik. Im zweiten Teil haben wir gelesen, wie Randall Wissenschaft gegenüber Kunst und Religion abgrenzt. Im dritten Teil gab es eine Einführung in die Grundlagen der Teilchenphysik und die Funktionsweise eines Teilchenbeschleunigers und in Teil 4 hat Randall erzählt, was man mit so einem Beschleuniger alles entdecken kann und wie die Technik dahinter aussieht. Teil 5 handelte von der spannenden Konstruktionsgeschichte des LHC und den angeblichen Gefahren, die von ihm ausgehen. Und in den nun folgenden Kapitel 11 und 12 geht es um die Frage, wie man Risiken eigentlich abschätzt und wie man vernünftige Messungen anstellt.
Im letzten Kapitel des Buchs hat Randall über die Frage gesprochen, ob am LHC schwarze Löcher entstehen können, die irgendwann die Erde zerstören. Das ist natürlich nicht der Fall – aber es zeigt, wie man sich mit Risiken auseinandersetzen kann und oft auch muss. Dieses Thema führt sie in Kapitel 11 genauer aus. Randall beschreibt, wie man Risiken abschätzen bzw. berechnen kann, wie schwierig das sein kann und welche Fehler dabei oft gemacht werden. Gleich am Anfang spricht so von der seltsamen Einstellung, die manche Menschen zu Risiken haben. Ganz konkret vorhandene Risiken werden ignoriert und man konzentriert sich dafür lieber auf Risiken, die nicht vorhanden sind bzw. vernachlässigbar. Die Leute regen sich zum Beispiel über die Wissenschaftler am CERN auf, die angeblich Experimente durchführen, die die ganze Erde zerstören können, ignorieren aber die Tatsache, dass die Menschheit seit einiger Zeit tatsächlich ein “Experiment” durchführt, das das Potential hat, die Welt wie wir sie kennen komplett zu verändern. Das ist natürlich der Klimawandel und es ist seltsam, dass er von so vielen nicht ernst genommen wird. Ich möchte diese Frage daher gleich an alle zur Diskussion weitergeben:
Warum wird der Klimawandel in gewissen Kreisen immer noch so heftig abgestritten? Selbst wenn wir die Erkenntnisse der Wissenschaft ignorieren und davon ausgehen, dass die Menschen nicht verantwortlich sind für das was passiert, werden die Folgen einer Klimaveränderung deswegen ja nicht weniger schlimm und wir müssen trotzdem Wege finde, damit klar zu kommen. Und selbst wenn wir diese Folgen ignorieren und selbst wenn die ganzen Treibhausgase die wir in die Luft pusten völlig unschädlich wären, müssen wir trotzdem früher oder später (eher früher) einen Weg finden, ohne die fossilen Energiequellen klar zu kommen. Eine seriöse Auseinandersetzung mit diesem Thema sollte also im Interesse aller sein. Warum geschieht das nicht? Liegt es daran, dass viele Leute vielleicht das Gefühl haben, dass ihnen “die Wissenschaft” oder “die Politik” vorschreiben will, wie sie ihr Leben zu führen haben? Ist es absichtliche Ignoranz weil wir uns nicht eingestehen wollen, dass wir vielleicht gerade ganz großen Mist bauen?
Risiken abzuschätzen ist auch deswegen schwierig, weil man nicht alle Faktoren kennt bzw. nicht alle Faktoren auf allen Ebenen berücksichtigt werden. Randall bringt immer wieder Beispiele aus der Wirtschaft, wo zwar die großen Abläufe im Blick behalten werden, aber nicht das, was auf den unteren Ebenen abläuft. So können die Aktionen einzelner Bänker oder Spekulanten ganze Volkswirtschaften in Gefahr bringen. Hier unterscheidet sich die Physik aber von der Wirtschaft denn wie in Kapitel 1 beschrieben sind die Effekte der kleinen Skalen auch auf diese kleinen Skalen beschränkt und wirken sich nicht auf die größeren Skalen aus.
Ein Aspekt der Risikoabschätzung ist die Erstellung einer Kosten-Nutzen-Analyse – was in der Wissenschaft aber nicht immer so einfach ist. Die Arbeit am CERN ist Grundlagenforschung und da weiß man eben nicht im voraus, was am Ende dabei raus kommt. Die Entwicklung des World Wide Web hat für die gesamte Welt(wirtschaft) einen enormen Nutzen gehabt – aber es war nicht abzusehen, dass die Erforschung der subatomaren Welt irgendwann in einem weltweiten Datennetz für die Allgemeinheit resultieren wird und eine entsprechende Kosten-Nutzen-Analyse wäre unvollständig.
Eine weitere wichtige Frage lautet also: Wer entscheidet? Wer bestimmt, welche Projekte wichtig genug sind um umgesetzt und finanziert zu werden? Wer entscheidet, dass die Risiken gering genug sind? Eine klare Antwort gibt es nicht – aber jede Menge zu diskutieren, also gebe ich sie weiter:
Wer soll über Forschungspolitik entscheiden? Die Forscher selbst, die aber natürlich in diesen Fragen nicht neutral sein können – dafür aber am besten Bescheid wissen? Die Politiker, die als gewählte Volksvertreter eigentlich zuständig sind, aber nicht unbedingt qualifiziert und vielleicht auch von Lobbyisten beeinflusst werden? Oder die Bevölkerung selbst, die am Ende ja von den Ergebnissen profitiert, von den Risiken betroffen ist und das ganze über ihre Steuergelder auch finanziert – aber im Allgemeinen gar nicht genug Ahnung hat, um eine informierte Entscheidung zu treffen?
In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch gerne auf eine sehr interessante Folge des Resonator-Podcast verweisen, bei der ein Professor für Technikphilosophie und Leiter des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag über seine Arbeit mit der Risikoabschätzung spricht.
Kapitel 11 fand ich zwar sehr interessant zu lesen – aber der Zusammenhang mit dem Rest des Buches ist mir nicht so ganz klar geworden. Bei Kapitel 12 ist das aber offensichtlich. Hier geht es um Messungen und Unsicherheiten und die spielen in der Teilchenphysik eine wichtige Rolle. In der Wissenschaft muss man sich immer damit beschäftigen, dass man die Dinge nicht beliebig exakt messen kann und der Zufall bei den Messungen ebenfalls berücksichtigt werden muss. Man muss einen Weg finden, mit den Messfehlern umzugehen und die Wahrscheinlichkeiten in den Griff bekommen. Randall spricht einen weiteren Punkt an, über den sich gut diskutieren lässt:
Im Lehrplan von Harvard wurde ein Element eingeführt, dass “empirical reasoning” genannt wurde. Ich weiß nicht, wie es in der deutschen Ausgabe übersetzt wurde. Aber “rationales Denken” würde vielleicht gut passen. Damit ist gemeint, dass man lernen soll, wie man empirische Daten sammelt, gewichtet, Wahrscheinlichkeiten zuweist, versteht und interpretier, Daten auswertet und vor allem feststellt, wann die Daten nicht reichen, um Aussagen treffen zu können. Wo wird so etwas auch hier bei uns gelehrt und wo sollte es gelehrt werden? Wann kann man damit anfangen, so etwas zu unterrichten? Ist das etwas, das nur für Wissenschaftler von Interesse ist oder sollte das zur allgemeinen Ausbildung in Schulen und an Universitäten gehören?
Randall betont, wie wichtig das Wissen über Messfehler und Unsicherheiten ist und das man eigentlich immer die Fehlergrenzen seiner Ergebnisse angeben muss. Aber selbst dann muss man sich auch mit den Wahrscheinlichkeiten beschäftigen und das gilt vor allem in der Teilchenphysik. Ich habe das in diesem Artikel schon mal ausführlich beschrieben und möchte das hier deswegen nicht wiederholen.
Nach all den Geschichten über Messungen und Unsicherheiten wird es jetzt langsam mal Zeit, dass wir auch erfahren, wie am LHC Dinge gemessen werden und das erfahren wir in Kapitel 13 des Buches. Kapitel 14 erklärt dann, wie man die Messungen interpretiert und (unbekannte) Teilchen identifiziert. Die beiden Kapitel sind zwar ein klein wenig länger als bisher, aber ich schlage trotzdem vor, dass wir sie bis zum 4. April lesen – denn dann haben wir auch gleich den dritten Teil des Buches abgeschlossen und können zu den interessanten Ergebnisse übergehen.
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