Dann kam Georges Lemaître. Der Belgier war nicht nur Physiker, sondern auch Jesuitenpriester und erkannte, dass man de Sitters Modell des Universums so modifizieren konnte, dass sich nicht nur alle Objekte im Raum voneinander entfernen. Es gab auch eine Lösung der Feldgleichungen, in der sich der Raum zwischen den Objekten ausdehnt und sich deswegen alle Galaxien von allen anderen Galaxien entfernen. Und Lemaître fand auch heraus, dass das bei fast allen Lösungen so war. Die statischen Spezialfälle von Einstein und de Sitter waren instabil und schon winzigste Störungen würden ebenfalls zu einem expandieren Universum führen.
Mittlerweile merkten auch die Beobachter, dass sich im Universum vielleicht mehr tat, als man dachte. Leute wie Vesto Slipher und Knut Lundmark konnte die Geschwindigkeit von fernen Galaxien messen. Die Entfernungen zu diesen Galaxien konnten sie vorerst nur abschätzen, aber es sah alles so aus, als würden sich die Galaxien umso schneller bewegen, je weiter sie entfernt sind: Genau das, was man von einem expandieren Universum nach Lemaître erwarten würde. Aber Einstein war immer noch dagegen: “Ihre Berechnungen sind zwar mathematisch richtig, aber ihre Physik ist schrecklich.”, sagte er zu Lemaître und ließ sich erst im Jahr 1930 umstimmen. Mittlerweile hatte auch Edwin Hubble (ohne die Beiträge seiner Kollegen und Vorarbeiter wie Slipher, Lundmark oder Humason zu würdigen) die berühmte Beziehung zwischen Abstand und Geschwindigkeit ferner Galaxien veröffentlicht (siehe hier für Details) und gezeigt, dass sich wirklich alle Galaxien von allen anderen wegbewegen. Und als Einstein 1930 Hubble am Mount-Wilson-Observatorium traf, ließ er sich schließlich überzeugen.
Das Universum expandierte also und Einsteins Gleichungen beschrieben diese Expansion. Aber warum expandiert es? Wenn sich heute alles immer weiter voneinander entfernt, dann müssen die Dinge früher näher beieinander gelegen haben. Und irgendwann muss sich alles mehr oder weniger am gleichen Fleck befunden haben. Es muss also einen Zeitpunkt der “Schöpfung” gegeben haben; einen Zeitpunkt, an dem das Universum begann zu expandieren. Georges Lemaître war natürlich sehr vorsichtig und als er seine Theorie der Entstehung des Universums veröffentlichte, vermied er darin jede Anspielung auf Religion oder die göttliche “Schöpfung”. Der Titel seiner kurzen Notiz zum Thema war “The Beginning of the World from the Point of View of Quantum Theory” und darin beschrieb er, wie das Universum aus einem “Uratom”, das die gesamte heutige Materie enthielt, entstanden sein könnte und die netterweise gleich neben einer Geschichte über den Darminhalt einer Kobra veröffentlicht wurde:
Der Text endet mit den Worten:
“The whole matter of the world must have been present at the beginning, but the story it has to tell may be written step by step.”
Ja, es hat dann wirklich noch ein bisschen gedauert, bis man den ganzen Vorgang halbwegs verstanden hat. Aber Lemaître machte den ersten Schritt und Einstein war nun bereit, ebenfalls zu folgen: “Dies ist die schönste und befriedigenste Erklärung der Schöpfung, die ich je gehört habe”, war Einsteins Fazit, nach dem er das Thema 1933 mit Lemaître persönlich besprochen hatte.
Mit ein bisschen mehr Vertrauen in seine eigene Mathematik hätte Einstein nicht nur die Grundlage für die moderne Kosmologie schaffen können. Er hätte die Expansion des Universums und den Urknall vorhersagen können und wäre damit dann wohl endgültig und konkurrenzlos als das größte Genie aller Zeiten in die Geschichte der Menschheit eingegangen. Aber Einstein war eben auch nur ein Mensch und hat sich in diesem Fall von seinen Überzeugungen in die Irre führen lassen. Zum Glück waren de Sitter, Friedmann, Lemaître und all die anderen da, um die Arbeit weiter zu führen. Aber es war noch ein weiter Weg…
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