Dieser Artikel ist Teil einer fortlaufenden Besprechung des Buchs “Die perfekte Theorie: Das Jahrhundert der Genies und der Kampf um die Relativitätstheorie”* (im Original “The Perfect Theory: A Century of Geniuses and the Battle over General Relativity”* von Pedro Ferreira. Jeder Artikel dieser Serie beschäftigt sich mit einem anderen Kapitel des Buchs. Eine Übersicht über alle bisher erschienenen Artikel findet man hier
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Im ersten Kapitel des Buchs haben wir erfahren, was eigentlich das allgemeine an der Allgemeinen Relativitätstheorie ist und wie Albert Einstein überhaupt auf die Idee kam, sie zu entwickeln. Im zweiten Kapitel hat Einstein dann mühsamer Rechnerei endlich herausgefunden, wie er diese Theorie formulieren kann. Das dritte Kapitel hat gezeigt, dass wir aus der allgemeinen Relativitätstheorie überraschend viel über die Entstehung des Universums lernen können. Kapitel 4 hat erklärt, dass man aus ihr auch faszinierende Erkenntnisse über sterbende Sterne erhalten kann. Kapitel 5 beschäftigt sich nun damit, wie die restliche Welt in den folgenden Jahrzehnten auf Einsteins Arbeit reagiert hat.
In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hat nicht nur Einsteins Relativitätstheorie die Wissenschaft revolutioniert. Während Albert Einstein sich Gedanken über die Entwicklung des gesamten Universums machte, arbeiteten andere daran, die Welt der allerkleinsten Atome und Teilchen zu verstehen. Die Quantenmechanik wurde zum neuen Hit in der Physik und lief der Relativitätstheorie den Rang ab…
Außerdem gab es politische Gründe, die dazu führten, dass Einstein in den 1930er und 1940er Jahren nicht mehr so prominent war, wie zu Beginn seiner Karriere. In Europa übernahmen die Nazis die Macht und Einstein floh, gemeinsam mit so gut wie allen anderen jüdischen Wissenschaftler nach Amerika. In Deutschland bemühte man sich, die Erkenntnisse des unerwünschten Genies nach Möglichkeit zu ignorieren oder diskreditieren. Es wurde eine “Arbeitsgemeinschaft deutscher Naturforscher zur Erhaltung reiner Wissenschaft” gegründet und Physiker wie der Nobelpreisträger Philip Lenard verkündeten eine “Deutsche Physik” ohne “jüdische” Erkenntnisse, zu der auch die Relativitätstheorie gezählt wurde. Auch in der Sowjetunion war man von der Relativitätstheorie nicht sonderlich begeistert. Sie war zu abstrakt und zu weit entfernt vom staatlich verordneten dialektischen Materialismus und es half auch nicht, dass das aus Einsteins Arbeit resultierende Urknallmodell von Lemâitre, einem Jesuitepater, entwickelt wurde.
Und Einstein selbst konnte mit seiner Forschungsarbeit, die er nun in Princeton in den USA durchführte, auch nicht mehr an seine früheren Erfolge anschließen. Nachdem er mit seiner Relativitätstheorie eine einheitliche Beschreibung von Newtons Mechanik und der Gravitationskraft gefunden hatte, wollte er nun noch einen Schritt weiter gehen und alle bekannten Kräfte des Universums vereinheitlichen. Er hatte vor, seine Feldgleichungen so zu erweitern, dass sich damit neben der Gravitation auch die elektromagnetische Kraft beschreiben lässt und hoffte, auch die neuen Erkenntnisse der Quantenmechanik irgendwie unterbringen zu können. Dabei war er auch bereit, völlig radikale Ideen auszuprobieren. Zum Beispiel die Einführung einer zusätzlichen Raumdimension, die neben den drei bekannten Dimensionen des Raums und der einen Dimension der Zeit existieren sollte und mit deren Geometrie er das elektromagnetische Feld beschreiben wollte.
Zusätzliche Dimensionen sind heute ein weit verbreitetes Forschungsgebiet und vor allem in der Stringtheorie verbreitet. Damals war es aber ziemlich ungewöhnlich, sich damit zu beschäftigen und es ist kein Wunder, dass Einsteins Kollegen etwas befremdlich auf seine Arbeit reagierten, die noch dazu keine brauchbaren Ergebnisse lieferte. “Einstein ist komplett durchgeknallt”, lautete das nicht sehr schmeichelhafte Urteil des Physikers Robert Oppenheimer nach einem Besuch des Institute for Advanced Studies, an dem Einstein arbeitete und dessen Direktor Oppenheimer später werden sollte.
Oppenheimer hatte zwar zuvor noch selbst an der Relativitätstheorie gearbeitet und, wie im letzten Kapitel beschrieben, gezeigt, dass die Raumzeit in sich selbst kollabieren und schwarze Löcher bilden kann. Aber später zählte er die Relativitätstheorie zu den “Forschungsfeldern mit den geringsten Aussichten”. Vor allem auch, weil die Quantenmechanik immer beeindruckendere Erkenntnisse lieferte und in den Labors überall auf der Welt experimentiert und geforscht werden konnte. Mit der komplizierten und abstrakten Relativitätstheorie wollte sich da kaum noch jemand herumärgern. Und wenn es jemand tat, dann erst recht wieder mit absurden Ergebnissen.
Der große Mathematiker und Logiker Kurt Gödel, der berühmt wurde, weil er zeigen konnte, dass die Mathematik niemals alles beweisen würde können, was es zu wissen gibt, arbeitete ebenfalls in Princeton und war ein guter Freund von Einstein. Auch er machte sich an eine Lösung der Feldgleichungen und fand heraus, dass da noch viel seltsamere Dinge vorgehen können, als man bisher dachte. In einem rotierenden Universum (wie auch immer man sich das vorstellen mag), ließen Einsteins Gleichungen Bewegungen durch den Raum zu, die gleichzeitig auch rückwärts durch die Zeit führten. Gödel bewies, dass man in einem Universum dieser Art durch die Zeit reisen konnte und war besorgt wegen der Paradoxa (seinen eigenen Großvater umbringen, etc), die für ihn ein Zeichen waren, dass mit der ganzen Theorie etwas nicht stimmen konnte.
Aber zumindest die Medien und die Öffentlichkeit waren bis zuletzt begeistert von Einstein, der zum Inbegriff des klassischen Genies wurde und bekannt wie die anderen Prominenten aus Film, Musik und Sport. Einstein starb am 18. April 1955 – aber seine Theorie war noch lange nicht tot. Auch wenn sie bald erneut angegriffen werden sollte…
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