Besonders kritikwürdig ist jedoch, dass damit aller Erwartung nach zum wiederholten Male auch kreationistische Lehren am Wissenschaftsstandort Jena verbreitet werden. Der ehemalige US-amerikanische Präsident George W. Bush unterstützte die Kreationisten öffentlich in ihrer Forderung, dass die wortgetreue biblische Schöpfungslehre gleichberechtigt zur Evolutionstheorie im Biologieunterricht gelehrt werde. Es gibt viele Varianten dieser pseudowissenschaftlichen Ideologie, die teilweise sogar behauptet, dass die Erde eine Scheibe sei (1), alle Darwinisten seien Terroristen (2), die Konzentrationslager seien auf Darwin zurückzuführen (3) und im Creation Museum in Kentucky wird Besuchern weisgemacht, dass Dinosaurier und Menschen zur selben Zeit gelebt hätten (4).
In allen Spielarten des Kreationismus werden biblische Mythen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen vermengt, wodurch ein Gemisch aus Fakten und Fiktionen entsteht, das dem Prinzip des methodischen Naturalismus widerspricht und daher nicht an einer Universität gelehrt werden sollte. Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen (5) – insbesondere müssen die Evangelikalen von den beiden christlichen Großkirchen unterschieden werden: Deren Position zur Evolution ist zwar alles andere als klar (6), jedoch wird gemeinhin davon ausgegangen, dass sie den Kreationisten eine Absage erteilen (7). Kreationistische Unterrichtsmaterialien wurden hingegen bereits in Berliner Grundschulen gesichtet (8). Insbesondere an evangelischen Bekenntnisschulen und anthroposophischen Waldorf- Einrichtungen droht die Unterwanderung des Biologie-Unterrichts. Das Thüringer Amt für Verfassungsschutz warnte jüngst in einem Schreiben vom 13. Dez. 2013 – das über das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur auch die FSU Jena erreicht hat – vor dem Bildband „Atlas der Schöpfung“. Dieser wurde bereits 2007 an öffentliche Einrichtungen verschickt und stammt von dem Türken Adnan Oktar, der unter dem Namen Harun Yahya in den 1980er Jahren als Kreationist und Holocaustleugner bekannt wurde. Der Autor vertritt eine anti-darwinistische Position und fordert die wortgetreue Auslegung des Korans. Es zeigt sich damit, dass der Kreationismus nicht nur zur Überhöhung des christlichen, sondern auch des islamischen Glaubens geeignet ist. Die Ausblendung wissenschaftlicher (und damit religions- und nationenunabhängiger) Erkenntnisse kann somit den Boden für fundamentalistische Forderungen jeglicher Couleur bereiten. Umso mehr erstaunt es, dass Sie, Herr Rektor und Herr Oberbürgermeister, trotz der Sensibilisierung durch den Verfassungsschutz für die Gefahren des Kreationismus, diese „Hochschultage Jena“ unterstützen. In jene vermeintlich harmlosen Veranstaltungen sind mehrere Vorträge von Mitgliedern der „Studiengemeinschaft Wort und Wissen“ eingebettet. Hierbei handelt es sich um einen 1979 gegründeten christlichen Verein evangelikaler Prägung. Die Studiengemeinschaft ist bekannt für ihre Bemühungen, das von Reinhard Junker und Siegfried Scherer herausgegebene kreationistische Werk „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ an deutschen Schulen zu etablieren.
Kritiker halten dem Verein zwar zugute, dass sich seine Mitglieder teilweise von den Absolutheitsansprüchen einiger US-amerikanischer Vertreter des Kreationismus distanzieren würden – nichtsdestotrotz vertreten sie einen auf der wörtlichen Auslegung der Bibel basierenden Schöpfungsglauben und behaupten ein „Intelligent Design“. Prof. Dr. Ulrich Kutschera, Beiratsmitglied der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung, wirft der Studiengemeinschaft Wort und Wissen vor, eine geschickt konzipierte Propaganda-Aktion (9) zu betreiben. Kutschera leitet gemeinsam mit dem in Jena lehrenden Prof. Dr. Uwe Hoßfeld den Arbeitskreis (AK) Evolutionsbiologie im Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO), dessen Kritik jedoch nicht nur auf Wort und Wissen abzielt, sondern auf alle Formen des Kreationismus. Uwe Hoßfeld, der u. a. der Arbeitsgemeinschaft Biologiedidaktik an der Friedrich-Schiller-Universität vorsteht, war 2006 als Vertreter der Wissenschaft zum sog. „Erfurter Dialog“ (einer Podiumsdiskussion in der Thüringer Staatskanzlei) zum Thema „Evolution und Schöpfung“ (10) geladen worden und warnte dort vor den Gefahren des Kreationismus. Bereits damals war die Universität in die Kritik geraten, den Kreationisten eine Plattform zu bieten:
Nachdem der damalige Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus seine Einladung (11) in die Staatskanzlei an Prof. Dr. Siegfried Scherer, (besagter Co-Autor des kreationistischen „Lehrbuchs“) aufgrund öffentlichen Drucks zurückziehen musste (12), konnte der ehemalige Vorsitzende von Wort und Wissen nur wenige Tage später dafür an der Universität seine pseudowissenschaftlichen Lehren verbreiten (13).
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