Der Anblick des Mondes am Himmel ist uns vertraut. Kein Wunder – der Mond sieht auch immer gleich aus. Von der Erde aus zeigt er uns immer die gleiche Hälfte (und ja, er dreht sich trotzdem um seine Achse). Die Rückseite des Mondes haben wir erst gesehen, als 1959 die sowjetische Raumsonde Lunik 3 dorthin flog und Bilder machte. Überraschenderweise sah sie ganz anders aus, als die Vorderseite. Ok, es war immer noch der Mond; als im wesentlichen eine leblose Gesteinswüste mit jeder Menge Krater. Aber es fehlten die dunklen Maria, die “Meere”, die wir als große Flecken auf der Vorderseite beobachten können. Die entstanden als der Mond noch jung war und jede Menge Magma über seine Oberfläche floss. Mittlerweile wissen wir, dass die Kruste auf der uns abgewandten Seite viel dicker ist. Die Dicke der Mondkruste beträgt dort circa 150 Kilometer; im Gegensatz zu den knapp 70 Kilometern auf der Vorderseite. Durch diese dicke Kruste konnte früher auch weniger geschmolzenes Gestein an die Oberfläche gelangen und darum fehlen dort die Meere.
Warum aber der Mond so asymmetrisch ist, weiß man nicht. Das “lunar farside highlands problem”, also die Frage nach dem Ursprung der dickeren Kruste auf der erdabgewandten Seite des Mondes, ist ungelöst. Aber natürlich gibt es einige plausible Hypothesen und kürzlich kam eine besonders überzeugende dazu.
Eine sehr spektakuläre Lösung für das Problem habe ich schon im August 2011 vorgestellt. Da haben Astronomen aus der Schweiz und Kalifornien die Entstehung des Mondes am Computer simuliert und gezeigt, dass es kurzfristig vielleicht zwei Monde gab, die dann zu einem Mond verschmolzen und dabei der Unterschied zwischen Vor- und Rückseite verursacht wurde. Angesichts der chaotischen Entstehungsgeschichte des Mondes ist das nicht unmöglich: Der Mond entstand, als vor 4,5 Milliarden Jahren die noch junge und unfertige Erde mit einem etwa marsgroßen ebenfalls noch unfertigen Planeten (dem man heute den Namen “Theia” gegeben hat) kollidiert ist. Theia wurde dabei völlig zerstört und auch ein Teil der Erde hat den Zusammenstoß nicht überlebt. Aus den Trümmern hat sich dann der Mond gebildet, den wir heute sehen können. Und es ist absolut möglich, dass die Überreste des Zusammenstoßes sich nicht sofort zu einem einzigen Mond geformt haben, sondern zuerst zwei oder mehrere kleine Monde gebildet haben, die dann ebenfalls miteinander kollidiert sind.
Aber um das Problem der unterschiedlichen Mondhälften zu erklären, braucht es diesen Umweg über einen zweiten Mond gar nicht, wie Arpita Roy und ihre Kollegen von der Pennsylvania State University zeigen konnten. In ihrer Arbeit mit dem Titel “Earthshine on a Young Moon: Explaining the Lunar Farside Highlands” erklären die Astronomen, dass es vielleicht die Erde war, die den Unterschied zwischen Vorder- und Rückseite des Mondes verursacht hat.
Die Idee dahinter ist eigentlich ziemlich simpel und von der Art, dass man sich wundert, dass noch niemand vorher darauf gekommen ist. Zuerst haben Roy und ihre Kollegen berechnet, wie lange es gedauert haben muss, bis Erde und Mond nach der Bildung durch die Gezeiten aneinander gebunden waren. Denn die Gezeitenkräfte zwischen Erde und Mond sind es ja, die dafür gesorgt haben, dass der Mond uns immer die selbe Hälfte zeigt (ich habe das hier ausführlich erklärt). Damals war der Mond der Erde noch viel näher und die Gezeitenkräfte entsprechend stark. Schon knapp 100 Tage nach seiner Entstehung wäre der Mond also durch die Gezeiten “gefangen” gewesen und hätte seine Rotation so angepasst, das er immer die gleiche Hälfte in Richtung Erde zeigt.
Es ist auch wenig überraschend, dass die Temperaturen damals noch ein wenig höher waren. Immerhin hatte die Erde gerade erst eine gewaltige Kollision hinter sich und war noch komplett aufgeschmolzen. Die Kugel aus zähflüssigen Gestein hatte eine Temperatur von knapp 8000 Grad und das hatte vielleicht auch Folgen für den Mond. Seine Vorderseite bekam die Infrarotstrahlung der heißen Erde voll ab und kühlte deswegen wesentlich langsamer ab als die im Schatten liegende Rückseite. Dort konnte sich die feste Mondkruste früher bilden und deswegen auch dicker werden als auf der Vorderseite.
Eine elegante und erstaunlich einfache Lösung für dieses Problem! Aber Eleganz und Einfachheit reichen leider noch nicht, um herauszufinden, ob die Hypothese auch richtig ist. Dazu braucht es vermutlich noch ein paar quantitative Abschätzungen (der Artikel von Roy und ihren Kollegen ist mehr eine kurze Notiz als eine komplett ausgearbeitete Theorie) die sich dann mit Beobachtungsdaten und geologischen Untersuchungen von Mondgestein überprüfen lassen. Aber es hat irgendwie etwas poetisches, wenn vor Milliarden Jahren das helle Licht der Erde für das Aussehen des Himmelskörpers verantwortlich war, dessen helles Licht wir heute in klaren Nächten bewundern…
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