Nicht alles, was man in Zeitungen oder Blogs lesen, im Fernsehen sehen oder im Radio oder Podcasts hören kann, ist auch richtig. Das ist eine Binsenweisheit und eigentlich nicht weiter bemerkenswert. Medien werden von Menschen gemacht und Menschen machen Fehler. Aus meiner ganz persönlichen Sicht ist das immer dann besonders ärgerlich, wenn es um Wissenschaft geht. Es wissen sowieso schon viel zu wenig Leute über Wissenschaft Bescheid und wenn dann auch noch in der Zeitung falsch darüber berichtet wird, dann schmerzt das noch einmal extra. Und irreführende Schlagzeilen sind eine Klasse für sich. Denn wenn man etwas liest, dann auf jeden Fall die Schlagzeile. Der Artikel, der darunter folgt, mag gelesen werden oder auch nicht – aber die Schlagzeile, die ja auch überall in allen Links bei Sozialen Medien u.ä. auftaucht, ist das, was am stärksten hängen bleibt und sich am meisten verbreitet. Und wenn da Unsinn drin steht, wird eben auch dieser Unsinn verbreitet und es hilft wenig, wenn der Artikel selbst eigentlich ganz in Ordnung wäre. Natürlich darf eine Schlagzeile durchaus ein wenig provokativ sein; sie darf auch mal Dinge verkürzen und mit der Neugier der Leserinnen und Leser spielen. Aber sie sollte trotz allem keine falsche Botschaft verbreiten. Aber leider begegnen mir auch im wissenschaftlichen Bereich immer wieder solche Schlagzeilen und ich hatte schon länger vor, daraus mal eine Serie für mein Blog zu machen. Diese Serie beginnt heute und zwar mit einer Schlagzeile die ich bei “Focus Online” gefunden habe.
“Warum in Deutschland stärkere Erdbeben drohen”(WebCite) lautet die Überschrift des am 30. Juni 2014 erschienen Artikels. Und sie legt nahe, dass es in Zukunft in Deutschland mehr Erdbeben geben wird als früher. Sie suggeriert, dass irgendetwas passiert ist, dass dazu geführt hat, dass die Zahl der Erdbeben demnächst steigen wird. Wenn uns etwas “droht”, dann ist eine neue Gefahr aufgetaucht, die zuvor nicht vorhanden wird. Was also ist passiert und was wird in Zukunft die Erde in Deutschland öfter beben lassen? Nichts, natürlich. Die Gefahr durch Erdbeben ist in Deutschland heute genau so groß wie sie es auch früher schon war und wie sie es in Zukunft sein wird. Die Erdbebenforscher haben die Gefahr nur besser verstanden als vorher.
Es geht um die Arbeit des SHARE-Konsortiums. “SHARE” steht dabei für Seismic Hazard Harmonization in Europe und unter der Leitung von Geophysikern aus der Schweiz hat man Erdbebendaten aus ganz Europa gesammelt und historische Daten aufbereitet. Bis jetzt hatten unterschiedliche Länder unterschiedliche Messverfahren und Modelle verwendet und die nationalen Daten konnten nicht immer gut miteinander verglichen werden. SHARE hat das jetzt alles vereinheitlicht und alle Daten mit einem einzigen Computermodell ausgewertet. So war es möglich, die geologischen Bewegungen in ganz Europa in einer großen Datenbank zusammenzufassen und am Ende die European Seismic Hazard Map 2013 zu veröffentlichen. Die berücksichtigt alle Erdbewegungen die in der Vergangenheit gemessen wurden und zeigt auf, wo die geologisch aktiven Zonen zu finden sind.
Die Gefährdungswerte sind jetzt europaweit vergleichbar und Erdbebeningenieure, der Zivilschutz oder Versicherungen können ein realistischeres Bild der tatsächlichen Gefahr durch Erdbeben gewinnen als es vorher möglich war. Und unter anderem hat sich dabei auch gezeigt, dass in manchen Regionen Deutschlands, wie zum Beispiel die schwäbische Alb oder der Rheingraben im europaweiten Vergleich eine höhere Wahrscheinlichkeit für Erdbeben herrscht als man bisher angenommen hatte. Das ändert aber nichts an der tatsächlichen Gefahr durch Erdbeben. Nur weil die Wissenschaftler nun diese neue Karte veröffentlicht haben, fängt die Erde in Deutschland nicht plötzlich an, stärker zu beben als zuvor. Die Gefahr durch geologische Aktivität ist heute nicht größer als sie es in der Vergangenheit war. Es ist nichts passiert, dass eine neue “Bedrohung” durch Erdbeben verursacht hat. Wir wissen nun nur besser über die Statistik Bescheid als vorher.
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